Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

36 Weltwoche Nr. 32.19
Bild: Sven Simon (picture alliance)


Oops, she did it again. Pfarrerstochter Angela
Merkel, die Kanzlerin des Landes, dem die
«Endlösung der Judenfrage» beinahe gelang,
pilgerte am 25. Juli einmal mehr auf den brau-
nen Hügel zu Bayreuth, um dem Wagner-Clan
die Aufwartung zu machen. Einer Familie, die
den Sieg der Weimarer Republik von 1918 ver-
achtete, den Versailler Vertrag als «Schandfrie-
den» bezeichnete und deren Patriarch, der
Komponist Richard Wagner, der unumstritte-
ne Vorreiter des deutschnationalen Juden-
hasses und das prägendste Vorbild Adolf Hit-
lers war («In Bayreuth wurde das geistige
Schwert geschmiedet, mit dem wir heute fech-
ten», Adolf Hitler).
Was fasziniert die Kanzlerin an Hitlers
«Kraftort», der ihm während seiner Schre-
ckensherrschaft als Propagandaplattform


Frau Merkel, warum gehen Sie da hin?

Bayreuth, wo die Wagner-Festspiele stattfinden, war der «Kraftort» Adolf Hitlers. Das hindert die


deutsche Kanzlerin nicht daran, seit zwanzig Jahren in derselben «Königsloge», in der Hitler seinem


«Meister» huldigte, den Platz des «Führers» warm zu halten. Von David Klein


Gespenstische Parallelen: Bundeskanzlerin Merkel, bayerischer Ministerpräsident Söder (l.), an der Eröffnung der Bayreuther Festspiele, Juli 2019.


diente und wo bereits seit Ende des 19. Jahr-
hunderts völkisch-antisemitische Ideologen
um den «Bayreuther Kreis» von einer «ras-
sisch homogenen Volksgemeinschaft» träum-
ten? Warum ist der Wirkungsort von Wagner,
der in seiner Hetzschrift «Das Judenthum in
der Musik» – eine unentbehrliche Ressource
der Nazis beim Kampf gegen die «entartete
Musik» – Juden als «unwillkürlich abstos-
send» beschreibt, sie aus rassischen Gründen
«zur künstlerischen Kundgebung» für «unfä-
hig» erklärt und ihre «Auslöschung» prophe-
zeit, für Merkel ein «ganz besonderer Ort», an
dem sie sich «zu Hause fühlt»?
Ist es mangelndes Feingefühl den deutschen
Juden gegenüber oder einfach nur Geschichts-
vergessenheit, dass die Kanzlerin seit Jahren in
Bayreuth über den roten Teppich flaniert, wo

Wagner einst proklamierte, er halte «die jüdi-
sche Rasse für den geborenen Feind der reinen
Menschheit und alles Edlen in ihr», Juden mit
«Würmern» und «Ratten» verglich und nach
einem Theaterbrand in Wien feixte, «es sollten
alle Juden in einer Aufführung des ‹Nathan›
verbrennen»?
Ziemt es sich für eine deutsche Kanzlerin,
Hitlers «Hoftheater», wo man gemäss Wag-
ner-Schwiegertochter Winifred, einer bis zu-
letzt reuelosen Antisemitin, «unentwegt an
den Führer und die nationalsozialistische Idee
glaubte», mit ihrer Dauerpräsenz zusätzliche
Popularität zu verschaffen, während deutsche
Nazis in Dortmund ungehindert «Wer
Deutschland liebt, ist Antisemit» grölen? Wa-
rum hört die Kanzlerin ihren «Lieblingskom-
ponisten» nicht beim Rheingau-Musik-Festi-
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