Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 39


mus und Raffinement» sah, keinesfalls ein
gewöhnlicher Antisemit wie nahezu alle sei-
ner Zeitgenossen. Wagner transzendierte den
gängigen Antisemitismus, indem er die «Ju-
denfrage» zum Gegenstand einer antisemiti-
schen Kulturtheorie erhob. «Wagners Juden-
feindschaft war rassistisch, er bestand auf
naturgegebenen Unterschieden zwischen
Nichtjuden und Juden», schreibt Matthias
Küntzel. «Es gelang ihm, diesen Rassismus
und die fundamentale Entgegensetzung von
‹deutsch› und ‹jüdisch› im Bildungsbürger-
tum zu verankern.»
Im «Parsifal» präsentiert der von Hitler als
«Meister» verehrte Wagner einen vom Juden-
tum «gereinigten» und «erlösten» Jesus
Christus. Eine Idee, die gemäss dem kriti-
schen Wagner-Forscher Hartmut Zelinsky
zentral war für Hitlers Ideologie des «reinen
Blutes». In Hermann Rauschnings Buch «Ge-
spräche mit Hitler» äussert sich der Führer
über den «Parsifal»: «Nicht die christ-
lich-schopenhauersche Mitleidsreligion wird
verherrlicht, sondern das reine, adlige Blut,
das in seiner Reinheit zu hüten und zu ver-
herrlichen sich die Brüderschaft der Wissen-
den zusammengefunden hat.» Wagner – für
Hitler «die grösste Prophetengestalt, die das
deutsche Volk besessen hat» und der Einzige,
den er als seinen «Vorläufer» anerkannte –
war mit dem, was Hitler als «umstürzende
Kulturlehre» bejubelte, Wegbereiter des mör-
derischen Rassenwahns, dem Millionen Ju-
den zum Opfer fielen.
Trotzdem halten der israelische Botschaf-
ter Jeremy Issacharoff wie auch Josef Schus-
ter, Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, der Kanzlerin die Stange:
«Bundeskanzlerin Merkel ist über jeden
Zweifel erhaben, wenn es um ihre Haltung
zur deutschen Geschichte geht», lässt die
israelische Botschaft via Pressesprecherin
Lea Meissner ausrichten und bittet um Ver-
ständnis, «dass wir uns zu diesem Thema
nicht weitergehend äussern möchten». Für
Jutta Wagemann, Sprecherin des jüdischen
Zen tralrats, der angesichts der jährlich drei-
zehn Millionen Bundeszuschüsse für den
Zentralrat wenig Lust verspürt, es sich mit
der Kanzlerin zu verscherzen, war Wagner
«unbestreitbar ein Antisemit». Dass «Bun-
deskanzlerin Angela Merkel die Musik Wag-
ners schätzt und regelmässig die Festspiele in
Bayreuth besucht», hält man jedoch für «völ-
lig unproblematisch».
Es bestehe ausserdem «kein Zweifel daran,
dass Frau Merkel sich kontinuierlich für die
Bekämpfung des Antisemitismus einsetzt».


Staatlich vorgelebte Doppelmoral


Das ist natürlich Unfug. Merkels «Bekämpfung
des Antisemitismus» erschöpft sich in bräsigen
Floskeln und ineffizienten Alibiübungen.
Während vorwiegend Muslime am Al-Quds-


Tag Jahr für Jahr auf deutschen Stras sen Nazi-
parolen skandieren, «solidarisiert» sich Merkel
an der Sommerpressekonferenz vom 19. Juli
mit den muslimischen US-Kongressabgeord-
neten Ilhan Omar und Rashida Tlaib, denen
mehrfach Antisemitismus nachgewiesen wur-
de. Die wiederholte Forderung des Zentralrats
der Juden in Deutschland, die alljährliche Het-
ze gegen Israel zu verbieten, ignoriert Merkel.
Die Bundesregierung finanziert über Aufbau-
programme und Hilfsprojekte in den Palästi-
nensergebieten und das sogenannte CSP-Pro-
gramm der EU, mit dem auch Gehälter und
Renten von Angestellten der Palästinensischen
Autonomiebehörde (PA) beglichen werden,
nachweislich Zahlungen mit, welche die PA an
Mörder von israelischen Zivilisten ausrichtet.
Merkel kämpft an vorderster Front für das
brandgefährliche Atomabkommen mit dem
Iran, während dessen Verhandlungen sich die
Kanzlerin gegenüber dem Mullah-Regime, das
regelmässig mit der Vernichtung Israels droht,
zu keiner Zeit für das Existenzrecht Israels aus-
sprach. Die mehr fachen Verletzungen dieses Ab-
kommens durch den Iran kommentiert Merkel
ebenso wenig wie, dass in Deutschland Juden
wieder auf offener Strasse angespuckt werden.
In der Uno stimmt Deutschland routinemässig
für antiisraelische Reso lutionen.
Christoph Heusgen, deutscher Uno-Bot-
schafter, langjähriger aussenpolitischer Bera-
ter und enger Vertrauter Merkels, macht sich
ausschliesslich mit Verurteilungen Israels be-
merkbar. So viel zu Merkels 2008 vor der Knes-
set in Israel getätigtem Versprechen, die Si-
cherheit Israels sei für Deutschland
«Staatsräson». Eine «Bekämpfung des Antise-
mitismus» sieht anders aus. Ganz im Gegen-
teil fällt in dieser Atmosphäre staatlich vorge-
lebter Doppelmoral Antisemitismus jeglicher
Art auf fruchtbaren Boden.

Immerhin ein Schmunzeln
Mit einer direkten Anfrage bezüglich der all-
jährlichen Bayreuth-Wallfahrten der Kanzle-
rin tut sich das Bundespresseamt schwer. Auf
sämtliche Fragen zu den Verstrickungen der
Wagners mit Hitler und den Nazis und dazu,
weshalb sich die Kanzlerin noch nie zu ihrem
Schaulaufen in Bayreuth positioniert hat, ge-
hen die Funktionäre bei der Pressestelle nicht
ein. Stattdessen schreibt der Chef vom Dienst,
Stefan Schneiderhan, der als «ein Regie-
rungssprecher» genannt werden möchte, die
Bundeskanzlerin besuche Bayreuth «grund-
sätzlich als Privatperson». Die Nachfrage, in-
wiefern man die Bayreuth-Besuche der
«mächtigsten Frau der Welt» (Forbes), die je-
weils von der gesamten Weltpresse kommen-
tiert werden, überhaupt als «privat» bezeich-
nen könne, würdigt das Bundespresseamt
keiner Antwort.
Kurz darauf meldet sich Martin Eifler, Lei-
ter Musik bei der Beauftragten der Bundesre-

gierung für Kultur und Medien, Monika
Grütters, der «gebeten» wurde, die Anfrage
zu beantworten. Es sei vor allem die «Atmo-
sphäre in Bayreuth, die Frau Merkel begeis-
tert», so Eifler am Telefon, «dort zu sein, wo
Wagners Werke entstanden sind». Meine Ent-
gegnung, man müsse ein Spiegelei nicht im
Hühnerstall geniessen, um dessen Entste-
hung zu würdigen, entlockt ihm immerhin
ein Schmunzeln. Bayreuth zu besuchen, sei
doch nicht verwerflich, so Eifler weiter. Dann,
flüsternd, wie hinter vorgehaltener Hand, es
würden schliesslich auch «Juden, sogar Ho-
locaust-Überlebende» bei der Regierung um

Tickets für Bayreuth anfragen. Juden dürfen,
mit Verlaub, in Deutschland hingehen, wo-
hin sie wollen. Sie können in Bayreuth der
Wagnerbüste im Festivalpark einen Hitler-
schnauzer aufmalen, zu Wagners «Walküren-
ritt» kopulieren oder auf die Holzstühle im
Festspielhaus defäkieren. Dieses Recht haben
sie sich bitterst verdient.
Das gilt jedoch nicht für die Kanzlerin. In
Bayreuth befand sich das von Wieland Wag-
ner geleitete Aussenlager Bayreuth, ein Able-
ger des KZ Flossenbürg, und in Wagners Villa
Wahnfried gaben sich antisemitische Rassen-
theoretiker die Türklinke in die Hand. Dar-
unter Hans von Wolzogen, Gründungsmit-
glied des Kampfbunds für deutsche Kultur,
der als Herausgeber der Bayreuther Blätter Hit-
ler «als Verkörperung des völkischen Geis-
tes» feierte, oder Wagner-Schwiegersohn
Houston Steward Chamberlain, der mit
«Grundlagen des neunzehnten Jahrhun-
derts» ein Standardwerk des rassistischen
und ideologischen Antisemitismus schrieb.
Während des Dritten Reichs waren Stadt und
Festspielgelände mit Bannern geschmückt:
«Führer! Wir tragen Dich in unserem Her-
zen!», «Führer! Deutschland bist Du!»
«Wer an der Seite von Nazis marschiert»,
schrieb Der Spiegel zu den Aufmärschen in
Chemnitz, «der kann hinterher nicht be-
haupten, er habe nichts damit zu tun – und
darf sich später nicht beklagen, mit den Na-
zis in einen Topf geworfen zu werden.»
Und wer als Kanzlerin des Landes, das
Hitlers Prämisse der «Vernichtung der jüdi-
schen Rasse in Europa» mit Hingabe aus-
führte, nicht den Anstand hat, dem Unort
Bayreuth fernzubleiben, sondern seit zwan-
zig Jahren in derselben «Königsloge», wo
auch Stammgast Hitler seinem «Meister»
huldigte, den Platz des «Führers» warm hält,
darf sich nicht beklagen, mit Hitler ver-
glichen zu werden. So einfach ist das, Frau
Merkel. g

Merkels «Bekämpfung des
Antisemitismus» erschöpft sich
in bräsigen Floskeln.
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