Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 43


An diesem heiteren Sommervormittag könnte
die Laune (mit Ausnahme der grünen Klima­
besorgten) nicht besser sein, ganz sicher nicht
die von Professor Werner J. Patzelt. Ausge­
rechnet der «umstrittene» Patzelt, der als
«Pegida­Versteher» ins mediale Zwielicht ge­
taucht wurde, legt in Sachsen eine methodisch
saubere und flächendeckende Studie über die
«Unterbringungssituation in Gemeinschafts­
unterkünften für Geflüchtete» vor. Wahr­
scheinlich wird er auch dafür gehasst werden;
in den Lokalblättern wird jedenfalls andern­
tags sein Name verschwiegen.
Sein ehemaliger Doktorand, Christoph
Meisselbach, die schütteren Haare zurückge­
bunden, präsentiert das befriedigende Ergeb­
nis auf einer Pressekonferenz im Landtag,
Patzelt irgendwie wollig und lockig schwei­
gend neben ihm.
Dort, wo politisch nachgebessert werden
muss, wird es getan. Auffälligkeiten gibt es
besonders bei allein reisenden jungen Erwach­
senen in privaten Unterkünften auf dem Land;
die Familienunterkünfte in Städten mit Frei­
zeitangeboten sind ziemlich problemfrei.
«Fast 100 Prozent der befragten Heimleiter
haben den Fragenkatalog, der mit seinen 90
Fragen 45 Minuten beansprucht, beantwor­
tet.» Die Untersuchung steht wissenschaftlich
auf festen Füssen.
Doch Patzelt ist aus einem anderen Grund
gut aufgelegt. Das hat mit seinem anderen Job
zu tun, dem wahrscheinlich schwersten, den
das politische Deutschland derzeit zu verge­
ben hat: Er soll der Alternative für Deutsch­
land (AfD) Stimmen abjagen, ausgerechnet
hier im Osten, wo sie mittlerweile Volkspartei
ist. (Wäre doch gelacht, wenn ich ihn nicht von
der Absurdität dieses Vorhabens überzeugen
könnte.)


Der Feind steht rechts


Hier, auf der Terrasse des Landtagsrestaurants
«Chiaveri» mit Blick auf die barocke Kuppel­
kette Hofkirche, Semperoper, Zwinger,
Frauenkirche über dem Elbufer, die ohnehin
beschwingt, berichtet Patzelt von einem Sieg
am frühen Morgen in der zuständigen Arbeits­
gruppe der CDU­Landtagsfraktion: Sie haben
seinen Vorschlag für ein fakultatives gesetzes­
aufhebendes Referendum, das «Volksveto»
gegen ein vom Landtag schon beschlossenes
Gesetz, endlich angenommen. Er wird eine
Woche später auf dem Parteitag ins Wahl­ und
Regierungsprogramm aufgenommen werden.
«Niemand sonst hat das im Programm – auch
die AfD nicht!» Der Feind steht rechts.
Damit allerdings macht Patzelt gleich auch
klar, auf welchem Seil er da tanzt. Er ist seit
1994 Mitglied der CDU. Und auch Mitglied der
Werteunion seit dem vergangenen Jahr, die
der CDU wieder ihre konservativen Wurzeln
freilegen möchte. Doch genau diese sind in
vielen Programmpunkten (Heimat, Familie,


Marktwirtschaft, christliche Werte) derzeit in
der AfD besser aufgehoben. Allerdings: Ein
Wechsel ins andere Lager kommt für ihn nicht
in Frage. «Ich bin kein Opportunist und kein
Deserteur.» Er will sich für seine Partei in den
Kampf stürzen. (Wir werden sehen.)
Seine grauen Locken wehen ihm ins Gesicht,
sein Lächeln über der bulligen Figur, die weis­
sen Hemdärmel hochgekrempelt, ganz
«August der Starke» (Weltwoche Nr. 33/18),
nimmt er erst mal die Penne all’arrabbiata in
Angriff. Man muss Prioritäten setzen.
Tatsächlich sprach Patzelt mit seiner Kritik
an der überstürzten «Willkommenskultur»
vielen aus der Seele. Er sass bedächtig in den
Fernsehstudios und war der gesunde Men­
schenverstand in Person. Mit jedem Terror­
anschlag, jedem Messemord bekam er mehr
recht. Gleichzeitig wuchs die AfD und wuchs
und wuchs.
In Sachsen ist die CDU mit 24 Prozent hinter
die AfD (26 Prozent) gefallen. «Das hat seine
ernstzunehmenden Gründe», sagt Patzelt,
und «die West­CDU ist da nicht sehr hilf­
reich».
Wähler zurückholen: eine Mammutaufgabe
in diesen Tagen, in denen die AfD­Wähler
besonders aus den Reihen der CDU­Partei­
führung mit Beleidigungen, ja Hetze über­
zogen werden, was Hunderttausende von

weiteren Überläufern produziert. Ja, sie jagt:
Aus der Arena!
Dieser Kerl mit seiner schwarzgerahmten
Brille passt in keine Schublade. Er selber würde
sich eher auf dem linken Flügel sehen: «Links­
liberal, und das extrem!» Mit dem Bayerisch,
das aus ihm rollt und grollt wie einst aus Franz
Josef Strauss, klingt das besonders lustig.
Die Bundes­CDU verstehe die Bedingungen
im Osten einfach nicht. «Die hat doch erst das
Verlangen nach einer Alternative für Deutsch­
land hervorgebracht, nämlich durch ihre
angegrünten, nach links gerückten Positio­

nen», sagt er. «Wir brauchen wohl begrenzte
Konflikte mit der Bundesführung der Partei.»
(Viel Glück dabei!)
Nun ist ja die Sprachregelung in Talkshows
wie «Anne Will», dass die AfD ständig nur eine
Opferrolle spiele. «Allerdings sind von 417 At­
tacken 212 gegen die AfD gerichtet», sage ich.
Patzelt: «Sie inszeniert sich nicht als Opfer, sie
ist es, wenn sie nämlich keine Versammlungs­
orte mehr anmieten kann, wenn selbsternann­
te Antifaschisten ihre Wahlkampfstände zer­
stören, wenn sie im Parlament ausgegrenzt
wird wie eine Leprakolonie. Da spüren die
Leute doch genau: Das ist undemokratisch!»

Seine Taktik: Er hört zu
Dennoch ist er gegen eine mögliche Koalition
mit der AfD (so wie diese gegen eine mit einer
Merkel­CDU), denn man wisse bei ihr nie, ob
gegen eine pragmatische Parteiführung nicht
alsbald geputscht werde. Er hält die AfD also
für eine unzuverlässige Truppe. «Sollte es
knapp werden für Ministerpräsident Michael
Kretschmer, sollte man über eine Minderheits­
regierung nachdenken, ganz ohne Tolerie­
rungspartner und mit einem ständigen Rin­
gen um wechselnde Mehrheiten. «Aus allen
Lagern?» – «Aus allen Lagern!»
Nun aber los zum nächsten Termin: Auf
zum Friseur!
Es gibt eine eiserne Regel im Reportagejour­
nalismus: keine Taxifahrer zu Wort kommen
lassen. Warum, weiss keiner; womöglich, weil
man ihnen alles Mögliche in den Mund legen
kann. Hier muss die Regel gebrochen werden,
denn Patzelt hat sich als die Lage analysieren­
der Wahlkämpfer auch im Taxi zu bewähren.
Seine Taktik: Er hört zu!
Diesem Fahrer zum Beispiel, Ende dreissig,
sportliche Figur, Ex­Soldat. Er ist so gar nicht
mit der Verteidigungsministerin Ursula von
der Leyen zufrieden. «Statt sich vor ihre Armee
zu stellen, lässt sie wie im Kundus­Ausschuss
gegen diese ermitteln.» Der Mann kocht.
«Noch nicht mal für anständige Ausrüstung

«Da spüren die Leute
doch genau: Das ist
undemokratisch!»

Werner Patzelt

Der bayerische Professor und Politiker ist
polyglott, studierte in Michigan und
Strassburg, habilitierte in München und
zog 1992 nach Dresden, um an der dortigen
technischen Hochschule das politik­
wissenschaftliche Institut aufzubauen. Er
liebt die klare Sprache. Als die Patrioti­
schen Europäer gegen die Islamisierung
des Abendlandes (Pegida) in Leipzig auf
die Strasse gingen, erklärte er ihre Proteste.
Er warnte die Parteien davor, im Taumel
der deutschen «Willkommenskultur»
diese «Repräsentationslücke» rechts der
CDU zuzulassen.
Mittlerweile stellt sich heraus, dass Pegi­
da recht hatte: sowohl mit dem Vorwurf der
«Lügenpresse», welche ihre Manipulatio­
nen heutzutage «Framing» nennt, wie mit
der Furcht vor «Überfremdung» – in eini­
gen deutschen Grossstädten wie Frankfurt
sind Deutsche mittlerweile in der Minder­
heit. Doch Patzelt blieb sich bei allen An­
feindungen – man brannte sein Auto nie­
der – treu und unverdrossen. Derzeit sitzt
der Bajuware des Ostens in der CDU­Pro­
grammkommission für den Wahlkampf
und versucht, der AfD Stimmen abzujagen.
Seine jüngste Veröffentlichung: «CDU,
AfD und die politische Torheit». (mat)
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