Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

44 Weltwoche Nr. 32.19


sorgt sie! Es ist doch peinlich, wenn die Pan­
zerkameraden mit Attrappen auf Nato­Manö­
vern unterwegs sind oder wenn sie Besenstiele
schwarz anmalen müssen, weil die Bord­
kanonen fehlen.»
Patzelt lässt die Tirade interessiert über sich
ergehen. Da ist nämlich viel über Stimmungs­
bilder zu erfahren... und ohnehin nichts zu
verteidigen. Tatsächlich wird das Kabinett
Merkel ja selbst vom Spiegel nur noch als Ge­
samtkatastrophe beschrieben, und das fängt
bei Ursula von der Leyen nur an, die sich der­
zeit in einem parlamentarischen Untersu­
chungsausschuss für Kungeleien mit Berater­
firmen zu verantworten hat.
Selbst auf N­TV online wird so kommen­
tiert: «Der Ausschuss hat in stundenlangen
Sitzungen bis jeweils tief in die Nacht Fakten
und Indizien hervorgebracht, die sprachlos
machen und geeignet sind, Deutschland als
Bananenrepublik zu diskreditieren. Jeder, der
‹das System› und ‹das Establishment› verach­
tet, dürfte sich bestätigt sehen.»
Und die Kritik hört bei Wirtschaftsminister
Peter Altmaier noch längst nicht auf, gegen
den nun die grossen Verbände wegen kom­
pletter Ahnungslosigkeit mobilmachen.
Einige nennen dessen «Exzellenzinitiative»
für Unternehmen das «Neue Ökonomische
System der Planung und Leitung» (NÖSPL) –
ein alter Heuler aus der DDR, der 1963 be­
schlossen wurde.
«Und die Aussenpolitik?», frage ich hinter­
hältig, um weiter Öl ins Feuer zu giessen. Der
Ex­Soldat platzt wie erwartet. «Heiko Maas
will im USA­Iran­Konflikt vermitteln?», ruft
der Mann. «Wem soll denn Deutschland noch
Angst machen können; das ist doch ein Witz,
den Bubi nimmt doch keiner ernst in seinen
engen Anzügen, der sieht doch aus wie ein
Konfirmand!»
«Allerdings treibt er Sport», wirft Patzelt
füllig von der Rückbank ein, und es klingt
nach sanfter Ironie.
Der Friseur hat seinen Salon im schönen,
bürgerlichen Striesen. Patzelt rezitiert den
Volksmund: «Willst das Leben du geniessen, /
musst wohnen du in Striesen.» Unsauberer
Endreim, aber in Zeiten des Rap geht das wohl
in Ordnung.
Patzelt ist seit Jahren hier Stammkunde. Die
Flurwand ist bepflastert mit Meisterbrief und
unzähligen Diplomen der Fachkräfte für «Wet
Paint» und «Organic Haircutting». Bei Patzelt
tut es das Kommando «Kurz, aber nicht zu
kurz», ein Klassiker; und als er vom
Haarwaschbecken zurück auf dem Friseurses­
sel Platz nimmt, die angeklatschten Locken
tropfend, sieht er im Profil mit dem kleinen
Doppelkinn tatsächlich aus wie Franz Josef
Strauss nach einer schweisstreibenden Wahl­
kampfrede.
«Sie haben ja auch schon meinen Sohn bear­
beitet», sagt er lächelnd zur Friseuse, doch wohl


in meine Richtung, «da war er noch klein» (und
mir fällt nicht ohne Schrecken mein eigener Va­
ter ein, der mich in den sech ziger Jahren, als alle
Welt lang trug, miss trauisch zum Friseur be­
gleitete und auf die sporadischen Fragen des
Friseurs «Reicht das?» ohne von seiner Zei­
tungslektüre aufzuschauen, rief: «Kürzer!»
Mein Vater war wohl, von heute aus betrachtet,
seiner Zeit voraus, denn selbst in der Bundesli­
ga hat sich «kurz» durchgesetzt.)

In der Mittagsglut
Anschliessend stehen wir auf der Friseurter­
rasse über leuchtenden Asterbeeten in der Mit­
tagsglut und warten auf das nächste Taxi und
damit auf das für einen CDU­Wahlkämpfer
wahrscheinlich nächste aufschlussreiche Ge­
spräch. Logisch, dass wir übers Klima reden.
Ist der Kampf gegen den Klimawandel denn
im Programm? Klar, sagt Patzelt.
«Das gibt Pluspunkte», sage ich. «Es gibt
noch Wichtigeres», sagt Patzelt, denn Klima
sei auch ein grosses Ablenkungsmanöver der
Grünen, um nicht über die Migration und de­
ren Folgen reden zu müssen. Der Klima­Hype
wird vergehen, da ist er sicher, und «Robert
Habeck wird das Gleiche erleben wie Martin

Schulz». Wie alle wissen, ist der einstige Mes­
sias der Partei mit dieser abgesoffen.
Nicht, dass Patzelt menschengemachte
Schäden bestreitet. Bei neun Milliarden Men­
schen und ihren Industrie­Emissionen gebe es
ganz sicher klimatische Auswirkungen. Und
gerade deshalb: «Die friedliche Nutzung der
Kernkraft aufzugeben, war kurzsichtig; viel­
mehr hätte man weiter an rückstandsfreien
Fusionsreaktoren arbeiten sollen.» (Das ist die
ebenso gängige wie richtige AfD­Kritik an der
opportunistisch grünen Kanzlerin.)
Mit dem nächsten Taxi kommt, wie erwar­
tet, der nächste Blick in Tiefenschichten ost­
deutschen Volksempfindens. «Im Westen
versteht man nicht, dass die Menschen hier
Erfahrungen mit einer Diktatur gesammelt
haben, wo in allen Zeitungen das Gleiche
stand», sagt der Fahrer.
Wegen Patzelts bayerischem Zungenschlag
meint er, dem Professor den Osten erklären zu
müssen; offenbar ist der nach seinem Friseur­
besuch nicht wiederzuerkennen.
Der Mann ist älter, breites Wettergesicht un­
ter Schiebermütze. Er weiss, wovon er spricht.
«Wir haben auch politisch nur Einheitsbrei
gehabt. Da ist doch klar, dass sich die Wähler
eine Alternative wünschen.» Das Ganze auf
Sächsisch, nu wor?
Auf der gelben Seitenfassade des Hauses, in
dem Patzelt zur Miete wohnt, prangt die Zahl

1900 in Stuck. Alles hier ist Gründerzeit, bür­
gerliche Behaglichkeit. Vier Treppen, und wir
schnaufen beide. «Der Nachteil ist, dass es kei­
nen Fahrstuhl gibt». Nu wor!
Schöne grosse kühle Altbauwohnung mit
Parkett. Patzelt betätigt die Espressomaschi­
ne; anschliessend zeigt er vom Balkon hinü­
ber auf die Strassenecke, an der Antifaschis­
ten vor zwei Jahren unter dem Motto «Nie
wieder» seine Mitsubishi­Familienkutsche
abgefackelt hatten; er war gerade beruflich in
Tunis. «Letztendlich bin ich der Antifa dank­
bar», sagt er und lacht, «dadurch bin ich, we­
sentlich ökologischer, auf die öffentlichen
Verkehrsmittel umgestiegen, die hier für
mich sehr günstig liegen. Im Übrigen hatte
das Auto schon 220 000 Kilometer auf dem
Buckel.»
Eigentlich wollte ich ihn Cello spielen sehen,
doch sein Instrument ist in der Werkstatt; der
Steg war verzogen und musste erneuert wer­
den. Als Ersatz bietet er ein Youtube­Video an,
das ihn als Solisten in einem Cello­Konzert von
Carl Stamitz auf der von ihm gegründeten Mu­
sikwoche in Schmochtitz zeigt. Bald erfüllen
warmsatte Saitenklänge sein Arbeitszimmer.
(So also kann das klingen, denke ich bewun­
dernd, bei mir hat es nur zu einer gekratzten
Version des Largo aus Händels «Xerxes»­Oper
gereicht, wieder war das kulturzertrümmern­
de 1968 schuld! – das Jahr, in dem ich vom
strengen Internat nach Stuttgart zur Familie
wechselte, ausnahmsweise nicht gefeuert,
sondern freiwillig, ans Karlsgymnasium, wo
Schiller, der Freiheitsdichter, zur Schule ge­
gangen war – ich spürte, die Hippiebewegung
braucht mich, die counterculture, nicht zuletzt
die Weltrevolution, die Herrschaftskritik –
letztlich der logische Weg zum Sympathisan­
tentum mit der AfD.)

Stärker als der liebe Gott?
Patzelt spielt, wenn es der Terminplan zulässt,
täglich eine Stunde. Besondere Freude berei­
ten ihm die Sessions mit seinem Sohn Willi,
der am Klavier oder auf der Geige musiziert.
Und an Heimspiel­Wochenenden geht es mit
ihm zu Dynamo Dresden. Kurze Fachsimpelei
hier im Wohnzimmer, unter einem Gemälde
mit leuchtend farbigen Quadraten seines
Künstlerfreundes Roland Unger, über die
Transferpolitik von Bayern München.
Doch die Musik ist seine wirkliche Leiden­
schaft. Patzelt leitet seit vier Jahrzehnten
Chor­ und Instrumentalwochen. Die Musik
wird, meint er, womöglich auch der Kirche
über mancherlei Umbrüche der Moderne hin­
weghelfen. Jedenfalls «haben wir hier in der
Diaspora eine äusserst lebendige Gemeinde»,
und tatsächlich macht er seit Jugendzeiten
Kirchenmusik – inzwischen gemeinsam mit
seinem Sohn.
Neben anderem hat er einen Gesprächskreis
katholischer Intellektueller mitbegründet;

«Letztendlich bin
ich der Antifa dankbar»,
sagt er und lacht.
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