Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

46 Weltwoche Nr. 32.19
Bild: Menahem Kahana (Getty Images)


«Seid ihr zum Training bereit?» schreit der
Instruktor. «Ja!», ruft die Gruppe. Und laut
und schneidig geht es weiter: «Von jetzt an
gilt: Aggressiv sein! Klar?»
Wir sind im Westjordanland, im Camp von
Caliber 3, in der grössten israelischen Anti-
Terror-Akademie. Ehemalige Elite-Offiziere
verbreiten und vermarkten hier ihre Erfahrun-
gen im Kampf gegen den Terror. Sie bringen den
Kunden nicht nur bei, wie sie sich bei Attacken
mit der Waffe wehren können, sondern auch,
dass das scharfe Beobachten der Umgebung
zum Einmaleins der Terror bekämpfung zählt.
Geübt wird auf einem nachgestellten orien-
talischen Markt. Auf dem Gelände sind At-
trappen von Gemüse- und Früchteständen
aufgestellt. Während man arglos die Fake-
Ware prüft, ertönt plötzlich der laute Warnruf
«Terrorüberfall!». Im Nu ist ein Kommando
zur Stelle, stellt den Verdächtigen nach, setzt
einen Kampfhund ein, schiesst, um die An-
greifer auszuschalten. «Wir müssen Zivilisten
schützen und uns gleichzeitig an unsere ethi-
schen Werte halten», sagt der Instruktor, ein
Einwanderer aus den USA, der in der israeli-
schen Armee während mehrerer Jahre in einer
Anti-Terror-Einheit gedient hat.
Gründer der Sicherheitsakademie ist Sha-
ron Gat. Er war in der israelischen Armee ein
gesuchter Spezialist für den Kampf gegen Ter-
roristen. «Ich wurde als Kämpfer geboren,
und ich werde als Kämpfer sterben», sagt der


47-jährige Reserveoffizier. Nach seinem Aus-
tritt aus der Armee wurde er häufig mit Anfra-
gen zum Kampf gegen den Terror konfron-
tiert. «Weil ich sah, dass es für mein Wissen
eine Nachfrage gibt, gründete ich mein Unter-
nehmen.» Das war vor fünfzehn Jahren. Heu-
te erwirtschaftet er mit 150 Mitarbeitern einen
Umsatz von rund 15 Millionen Franken.
Seine Kurse werden jährlich von 120 000 Per-
sonen besucht. «Wir sind vermutlich die gröss-
te Anti-Terror-Akademie der Welt», sagt Gat.
Zu seinen Kunden zählen Polizeifachleute
und Personenschützer aus Israel, aus Europa
und den Vereinigten Staaten. Darunter seien
auch Schweizer Teilnehmer – Namen sind Gat
aber nicht zu entlocken. Bei ihm trainieren zu-
dem junge Israelis während vier Wochen, um
sich auf den dreijährigen Militärdienst vorzu-
bereiten, und wer mag, kann sich in ein Über-
lebenstraining einschreiben, in dem man
lernt, 48 Stunden lang widrigsten Bedingun-
gen zu widerstehen.
Beliebt ist die Akademie auch bei Touristen,
mit denen Gat 20 Prozent seines Umsatzes
generiert. Für sie gibt es eine Schnellbleiche
im Umgang mit automatischen Flinten und
Scharfschützengewehren. In meiner Gruppe
war eine Familie aus Pittsburgh: Nach dem
Massaker in der Synagoge Ende Oktober mit
elf Toten hätten sie sich spontan entschlossen,
den Kurs zu absolvieren – mit Kindern, Eltern
und Grosseltern.

Ob aus China oder Japan, Europa oder Amerika:
Touristen können sich auf Wunsch auch in Krav
Maga unterrichten lassen, der für Israels Sicher-
heitskräfte entwickelten Nahkampfmethode,
bei der unter anderem Boxen, Ringen, Judo und
Karate kombiniert werden. «Wir warten nicht,
bis der Selbstmordatten täter zuschlägt», bringt
Gat die israelische Mentalität auf den Punkt,
«wir müssen stets bereit sein.»
«Verstanden?», will der Instruktor in schnei-
digem Ton wissen. – «Verstanden!»
Das Trainingscamp liegt ausserhalb der
Siedlung Efrat, südlich von Jerusalem in
besetztem Gebiet. In den palästinensischen
Nachbardörfern stösst Caliber 3 auf Kritik. Das
Camp heize die Spannungen zwischen Israelis
und Palästinensern an, indem Palästinenser
als Terroristen und Feinde dargestellt würden,
auf die man schiessen müsse, um sich zu ret-
ten. Gat hat für diese Kritik wenig Verständnis.
«Es ist leider eine Realität, dass wir fast täglich
von Arabern angegriffen werden», erklärt er.
Vom Libanon über Syrien und Jordanien bis
nach Ägypten würden Terroristen Pläne
aushecken, um Israel und dessen Bürger anzu-
greifen. «Um nahe an der Realität zu sein,
zeige ich, wer unser Feind ist.»

«Ihr müsst in die Armee gehen»
Als Gat ein Kind war, hoffte seine Mutter noch,
dass Israel an seinem achtzehnten Geburtstag
in Frieden leben und er nicht rekrutiert werden
würde, erinnert er sich. Heute trichtert er seinen
Kindern illusionslos das Gegenteil ein: «Ihr
müsst in die Armee gehen, das ist eine Tat-
sache.»
Caliber 3 ist nicht nur ein künstlicher Schau-
platz für Anti-Terror-Übungen, sondern auch
Tatort. Nicht weit davon entfernt kam es wie-
derholt zu Attacken, zum Beispiel Mitte Sep-
tember im vergangenen Jahr. Ari Fuld, ein ame-
rikanisch-israelischer Doppelbürger aus Efrat,
wurde in einem Einkaufszentrum von einem
palästinensischen Teenager von hinten mit
dem Messer angegriffen. Fuld konnte gerade
noch erkennen, dass der Terrorist sich ein wei-
teres Opfer suchte, eine Falafelverkäuferin. Mit
letzter Kraft rannte Fuld, lebensgefährlich ver-
letzt, dem Terroristen nach und überwältigte
ihn, bevor dieser mit dem Messer ein zweites
Mal zustechen konnte. Kurze Zeit später starb
Fuld, nachdem er das Leben der Frau gerettet
hatte. Er hatte zu den Ersten gehört, die bei
Gat ein Training durchliefen, um Terroropfer
zu verhindern. g

Hochschule gegen den Terror

An einer israelischen Akademie kann man Kurse zur Gewaltbekämpfung buchen.


Die Klientel reist aus aller Welt an. Das Training ist wirksam.


Von Pierre Heumann


«Zivilisten schützen»: Trainings-Camp von Caliber 3.

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