Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
Weltwoche Nr. 32.19 5
Bild: Kevin Lamarque (Reuters)

G


rossbritanniens neuer Premierminister
Boris Johnson wird massiv unterschätzt.
Das lässt sich allein schon daran ablesen, dass
Tages-Anzeiger, Schweizer Fernsehen und die
NZZ nicht müde werden, ihre Leser vor dem
«Clown» zu warnen.
Die Mainstream-Medien führen nun schon
seit Monaten eine Kampagne gegen den hoch-
gebildeten Ex-Journalisten, der es immerhin
geschafft hat, in der linken Stadt London
zweimal als Tory-Bürgermeister gewählt zu
werden.
In den Zeitungen lese ich, Johnson sei
sprunghaft und unberechenbar, also alles
andere als vertrauenswürdig. Ich habe ihn vor
knapp fünfzehn Jahren persönlich kennen-
gelernt, mehrmals getroffen, mit ihm zusam-
mengearbeitet und einige seiner Bücher
gelesen.
Mag sein, dass er auch schon mal eine Mei-
nung geändert hat, doch anders als bei Frau
Merkel, die für ihren «Pragmatismus» in den
Medien gefeiert wurde, ist Johnson die «Wind-
fahne», gegen die aus vollen Rohren gefeuert
werden darf.
Was immer diese oberflächlichen, ihre eige-
nen politischen Vorurteile und Vorlieben an
Johnson abarbeitenden Rezensenten bewegt:
Sie verkennen den roten, unverrückbaren
Faden im politischen Denken des neuen
Premiers: seine fundierte EU-Skepsis.
Johnson ist kein Amateur. Er hat als Korres-
pondent in Brüssel gearbeitet. Seine Kolum-
nen im Daily Telegraph waren brillant. Als in
Europa die meisten noch blind der EU hinter-
herliefen, klärte Johnson seine Leser über die
Irrwege und Fehlkonstruktionen Brüssels auf.
Seine Diagnosen waren hellsichtig, auch
lustig, aber selbstverständlich ist Johnson, ein
subtiler Intellektueller, der freilich schlau
genug ist, seine Brillanz nicht an die grosse
Glocke zu hängen, auch ein sensibler Politiker,
der Grossbritannien nicht einfach in eine of-
fene Feldschlacht mit der EU führen wird.
Diese Ambivalenz, man könnte es auch Vor-
sicht nennen, wird Johnson in den Medien
freihändig als Wankelmut ausgelegt. Man
glaubt eine Diskrepanz zwischen Worten und
Taten auszumachen – auf dem Papier EU-
Kritiker, in der Praxis aber zögerlich, nicht
wirklich bereit, Grossbritannien in die Unab-
hängigkeit zurückzuführen.

Mal sehen. In seiner ersten Woche als Premier
hat Johnson seine Gegner überrascht. Seine
ersten Personalentscheide lassen den pickel-
harten Willen erkennen, die EU tatsächlich
am 31. Oktober zu verlassen. Wenn es sein
muss, ohne Deal. Was ihm die Medien, die
zunächst seine angebliche Unentschlossen-
heit geisselten, natürlich wieder um die Ohren
schlagen.
Johnson hat sogar in Aussicht gestellt, die
EU-Austrittsgebühr von 39 Milliarden Pfund
zurückzubehalten. Was ist so schlimm daran?
Die EU ist weltweit der einzige Verein, bei dem
man zahlen muss, wenn man rein will, bei dem
man zahlen muss, wenn man drin ist und bei
dem man zahlen muss, wenn wenn man raus
will. Und wenn man Schweiz heisst, muss man
auch zahlen, obschon man gar nie drin war.
Leider machen auch Schweizer Medien und
Meinungsmacher bei diesem roboterhaften
Boris-Bashing mit. Sie übersehen das Wesent-
liche: Wenn Johnson Erfolg haben wird, wor-
an er sehr ernsthaft arbeitet, dann wäre das
eine grossartige Nachricht für die Schweiz.
Wie Grossbritannien will die Schweiz gute
Beziehungen mit der EU. Sie will Freihandel,
eine geregelte Zuwanderung, wechselseitigen
Austausch, aber die Schweiz will auch, wie
Grossbritannien, die Kontrolle behalten dar-
über, was auf ihrem Staatsgebiet passiert.
Ein Austritt Grossbritanniens schwächt den
EU-Zentralismus und stärkt das Eigengewicht
der Mitgliedstaaten. Vielfalt vor Einfalt. Das
ist gut für die Schweiz, die wie Grossbritan-
nien auf Augenhöhe mit der EU zusammenar-
beiten will, aber eben ohne Bevormundung
und Diktate aus Brüssel.
Johnson brachte in der Weltwoche einst die
Idee von «Britzerland» ins Spiel – engere wirt-
schaftliche Kooperation der beiden Freiheitsin-
seln. Journalisten haben an unkonventionel-
len, inspirierenden Ideen wenig Freude. Sonst

Editorial


Boris, Trump,


Schweiz


Eine neue Allianz
freiheitsliebender Länder.
Von Roger Köppel

würden sie nicht so erbarmungslos auf John-
son einprügeln.
Noch härter als auf Johnson schiessen die
Schweizer Medien auf US-Präsident Donald
Trump. Alles, was er macht, ist falsch. Angeb-
lich. Seine Erfolge sind keine Zeile wert. Dass
der Amtsinhaber von Washington der Schweiz
eine Geburtstagskarte zum 1. August schrieb,
wird belächelt oder ausgeblendet. Dabei ist es
ein interessantes Zeichen.

W


as sich zwischen der Schweiz, Gross-
britannien und den USA abzeichnet,
sind die zarten Knospen einer neuen Allianz
frei heitlicher, weltoffener Staaten. Inter-
nationale Zusammenarbeit ja, aber keine
büro kra tischen Zwangsjacken: Das ist von
alters her das Freiheitsverständnis der angel-
sächsischen Staaten, der Schwesterrepubliken
der Schweiz.
Geschenkt, dass Trump nicht dem Idealbild
eines Schweizer Konsenspolitikers entspricht.
Aber der Mann im Weissen Haus hegt offen-
kundig Sympathien für das unabhängige
EU-Nichtmitglied mitten in Europa. Das ist
erfreulich. Und im besten Interesse unseres
Landes.
Trumps 1.-August-Gruss ist eine Anerken-
nung der schweizerischen Unabhängigkeit.
Gerade weil die Schweiz nicht Mitglied der EU
ist, kann sie auf das Wohlwollen des US-Präsi-
denten zählen. Und vielleicht bald ein Freihan-
delsabkommen mit den Amerikanern unter-
schreiben. Wem das peinlich ist, der hat den
Sinn für Realpolitik verloren.
Die Schweiz bleibt interessant, solange sie
sich nirgends bindet. Unabhängigkeit bedeu-
tet, ermöglicht Weltoffenheit. Die Chancen
zeigen sich immer deutlicher. Briten, Ameri-
kaner, Chinesen, auch die Russen ziehen die
Schweiz einer arroganten, besserwisserischen
EU vor. Gut so.

Zarte Knospen.
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