Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
50 Weltwoche Nr. 32.19

E


s ist halb zwei Uhr morgens, wir befinden
uns irgendwo auf einer Autobahn in Süd-
deutschland. Knappe drei Stunden sind wir
schon unterwegs in dem zweistöckigen Bus,
elf Stunden Fahrt stehen uns noch bevor. Tom
Gabriel Fischer verabschiedet sich. Er wolle fit
sein am folgenden Tag. Kaum ist der Sänger
im oberen Stock verschwunden, wo die Schlaf-
pritschen sind, beginnt Gitarrist André
Mathieu vom Bandleader zu schwärmen.
«Tom hat ein ganzes Genre geprägt, er wird
weltweit verehrt.» Im Ausland werde er stets
umschwärmt, er spiele an den wichtigsten
Festivals rund um den Globus. «Nur in der
Schweiz kennt ihn niemand.»
Wir befinden uns auf der Reise nach Wacken.
Das 1800-Seelen-Kaff nördlich von Hamburg
erfährt alljährlich eine Invasion von 75 000
schwarzgekleideten Rockern. Tom Gabriel
Fischer ist zum fünften Mal an die viertägige
Veranstaltung eingeladen, die als grösstes
Heavy-Metal-Festival der Welt gilt. Mit seiner
früheren Band Celtic Frost spielte Fischer ein
Mal, mit seiner jetzigen Hauptband Triptykon
zwei Mal als Headliner auf der Hauptbühne,
jeweils vor rund 50 000 Zuschauern.
Nun geht es mit seinem Nebenprojekt
Triumph of Death nach Wacken – einer neuen,
vierköpfigen Formation, die ausschliesslich
Songs von Fischers Jugendformation Hell-
hammer spielt – einer Band, die in der Metal-
Szene bis heute Kultstatus geniesst.
Die Reise ins Epizentrum der finsteren Mu-
sik startete um elf Uhr nachts in der Industrie-
zone von Opfikon. Ein schwarzer Doppelstock-
bus mit der Aufschrift «Nightliner Service»
wartete vor Fischers Proberaum. Zwanzig
Schlafplätze hat der Bus, allerdings sind in die-
ser Nacht nur fünf belegt: von den vier Band-
mitgliedern und dem Journalisten, der sie die
nächsten dreissig Stunden begleitet. Die Tech-
niker und Bühnenhelfer reisen individuell mit
dem Flugzeug an. «Ja, dieser Bus ist Luxus,
aber den gönnen wir uns», sagt Fischer, «dafür
spiele ich schon 38 Jahre.»
Die Stimmung ist ruhig, keine Musik wird
abgespielt, niemand trägt Kopfhörer. Eine
gewisse Anspannung ist den Musikern anzu-
sehen. Für alle ausser dem 56-jährigen Fischer
wird es das Debüt in Wacken sein. Eine Riesen-
sache. Fischer beschwichtigt. Wacken sei zu
einem Freizeitpark geworden. Die Musik sei
nur noch ein Aspekt von vielen. «Dieser Gigan-
tismus ist nicht so meine Sache.» Er bevorzuge
kleinere Veranstaltungen, wo die echten Fans

unter sich seien. Es sind die Worte eines Aus-
senseiters, der plötzlich im Zentrum eines
Festivals steht, das Mainstream geworden ist.
Trotz der riesigen Konkurrenz an Sommer-
festivals ist das Wacken Open Air stets Monate
im Voraus ausverkauft. Sich vier Tage lang
ungeduscht im schwarzen T-Shirt bei hartem
Sound auszutoben, ist eine gefragte Ablen-
kung vom Alltag, das Abtauchen in eine andere
Welt. In Wacken gelten eigene Regeln. Ob jung
oder alt, Bauer oder Banker, dürr oder dick, an
dem Festival sind alle gleich.

Harte Kerle und ihre Katzenbilder
Die Bandmitglieder trinken einige Biere, er-
zählen von früheren Tourneen in vollgestopf-
ten Nightlinern, wo es gestunken habe und die
Toilette übergequollen sei. Heute ist alles
anders. Mit Tom unterwegs zu sein, ist für alle
eine grosse Ehre, wie sie immer wieder sagen.
Im Bus darf geraucht werden, doch die
Musiker beschränken sich auf E-Zigaretten.
Aus Rücksicht auf Fischer, der weder raucht
noch Alkohol trinkt, geschweige denn andere
Drogen konsumiert. Tom Gabriel Warrior, wie
er sich auf der Bühne nennt, der Krieger der
Finsternis, ist zudem Veganer und engagiert
sich für den Tierschutz. Die langhaarigen Ker-

le und die einzige Frau im Bus, Bassistin Mia
Wallace, zeigen einander auf ihren Mobiltelefo-
nen Bilder ihrer Katzen. Offensichtlich das
bevorzugte Haustier von Metal-Musikern.
Auch Fischer lebt mit drei Prachtsexemplaren
in seiner Wohnung in Bassersdorf.
Achtzehn Jahre alt war Thomas Gabriel
Fischer, als er mit zwei Kollegen in Nürensdorf
ZH die Band Hellhammer gründete. Es waren
Jungs am Rande der Gesellschaft – mit einer
verpfuschten Jugend –, die sich zum Musik-
machen zusammentaten. Fischer und seine
Mutter lebten in einer Messie-Wohnung mit
neunzig Katzen. Der Teppichboden war mit
deren Fäkalien getränkt. Ein Horror. Der Vater
haute ab, als Tom klein war. Mit ordentlich
Wut im Bauch nahmen sich die Kerle die här-
testen Metal-Bands zum Vorbild und versuch-
ten, sie in Sachen Härte zu überbieten.
In den 1990er Jahren erlangte Black Metal
vor allem in Skandinavien mit seinen Verbin-

Rock


Bis die Knochen vibrieren


Unterwegs im Tourbus mit der härtesten Band der Schweiz an das grösste Heavy-Metal-Festival
der Welt. Tom Gabriel Fischer gehört zu den Helden des legendären Wacken Open Air bei Hamburg,
das jährlich 75 000 schwarzgekleidete Rocker anlockt. Von Rico Bandle

dungen zum Okkultismus zweifelhaften
Ruhm. Kirchen gingen in Flammen auf, Leute
brachten sich im Rausch von Schlagzeug und
Gitarre um. Hellhammer war damals schon
zehn Jahre lang Geschichte, trotzdem wurde
die Band für die Auswüchse mitverantwort-
lich gemacht. Als Beweis diente eine Liedzeile,
in der es um das Anzünden von Kirchen ging.
Dabei – die Band hatte in den zwei Jahren ihres
Bestehens keinen einzigen öffentlichen Auf-
tritt gehabt. Niemand hatte die verschrobenen
Kerle mit ihrem düsteren Sound und den lan-
gen Haaren ernst genommen.
Durch die Demotapes wurde Hellhammer
lange nach ihrer Auflösung zur Kultband. Ihre
Musik gilt heute in der Szene als wegweisend.
Weltweit berufen sich Heavy-Metal-Formatio-
nen auf Hellhammer und die Nachfolgeband
Celtic Frost. So bezeichneten etwa Nirvana
und Foo Fighters die Schweizer als wichtige
Inspirationsquelle.
Mit Celtic Frost gelang der grosse Durch-
bruch. Die Band machte Tourneen in den USA,
Südamerika und Japan und verkaufte rund
zwei Millionen Alben. Ein enormer Wert für
eine Black-Metal-Formation. In der Schweiz
aber nahm kaum jemand Kenntnis von dem
Phänomen. Erst als vor zwei Jahren Fischers
langjähriger Weggefährte Martin Stricker
alias Martin Eric Ain starb und Rockgrössen
aus aller Welt ihrer Trauer Ausdruck gaben –
Metallica spielte zu Ehren Strickers an einem
Konzert sogar einen Celtic-Frost-Song –,
merkten hiesige Journalisten, dass da offenbar
etwas Grosses war.

Auftritt: Chris von Rohr
Mittlerweile ist es halb drei Uhr im Tourbus,
allmählich legen sich auch die anderen Band-
mitglieder auf ihre Schlafpritschen. Mir als
Nightliner-Neuling geben sie den Tipp, mich
mit den Füssen in Fahrtrichtung hinzulegen,
um bei einer Vollbremsung den Kopf nicht an-
zuschlagen. Eine Fahrerin und ein Fahrer
wechseln sich am Steuer ab, gestoppt wird nur
zum Tanken.
Punkt dreizehn Uhr erreicht der Bus Wacken.
Kaum ausgestiegen, umarmt Fischer die ers-
ten Leute. Er scheint alle zu kennen: Musiker,
Roadies, Veranstalter. Der Backstage-Bereich
von Wacken, das «Artist Village», ist wie ein
grosses Familientreffen. Die Künstler und ihre
Entourage werden mit ausgezeichnetem Es-
sen von Fernsehkoch Tim Mälzer verköstigt.
Hier laufen wir auch einem alten Bekannten

Jungs am Rande der Gesellschaft,
die sich zum Musikmachen
zusammentaten.
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