Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 53


Bühnenmonster: Frontmann Fischer. Musik wie eine Steinlawine: Triumph of Death nach dem letzten Song.


Backen runter. Der Musiker greift zu einer
Parfümflasche. «Ich rieche gerne gut auf der
Bühne», sagt er.
In der Garderobe ist ein Hinweis angebracht,
wonach es den Bands strikt verboten ist, eine
«Wall of Death» anzuordnen. Das Konzert
werde ansonsten sofort abgebrochen. Eine
«Wall of Death» bedeutet, das aufgepeitschte
Publikum in zwei Gruppen aufzuteilen, mit
einem Leerraum in der Mitte. Dann rennen die
Massen aufeinander los. Diese im Heavy Metal
verbreitete, brutale Form des Pogo-Tanzes hat
schon Todesfälle verursacht.
Um 23.15 Uhr holt ein Bus die Band ab und
fährt sie zum Zelt, wo das Konzert stattfindet.
«Jetzt führt man uns zur Guillotine», witzelt
Fischer. Die Instrumente und Verstärker ste-
hen schon auf der Bühne bereit. In Wacken
sind immer zwei Bühnen nebeneinander plat-
ziert, so dass auf einer aufgebaut werden kann,
während auf der anderen gespielt wird.
Es herrscht eine gespenstische Stimmung
hinter dem Vorhang. Einerseits ist da ein bom-
bastischer Lärm der Band nebenan, anderer-
seits strahlen die Musiker in ihrer Konzentra-
tion meditative Ruhe aus. Jedes Kabel wird
kontrolliert, jedes Instrument getestet, nichts
dem Zufall überlassen. 23.55 Uhr, alles ist
bereit. Einzelne Bandmitglieder gähnen, ein
Ausdruck der Anspannung.


Höllentempo, Höllenlärm


24 Uhr, der Vorhang fällt, geradezu sanft star-
tet die Musik, um dann wie eine Steinla wine
über einen herzufallen. Ein Höllentempo, ein
Höllenlärm, ein Höllengesang. Das ist er also,
dieser rohe, ursprüngliche Black Metal aus
den frühen 1980er Jahren; diese Lärmmaschi-
ne mit Punk-Einfluss, die von Nürensdorf aus
die Welt eroberte.


Die Bodenplatten unter den Füssen beginnen
zu zittern, der düstere Sound durchdringt
sämtliche Poren, selbst die Knochen scheinen
zu vibrieren. Das Publikum vor der Bühne
gerät in einen Rauschzustand, rennt im Kreis,
einige schütteln die Mähne. Auf der Seite, wo
die zufällig hergeratenen Festivalbesucher ste-
hen, wirken viele Leute wie erstarrt. Selbst für
hartgesottene Metalheads ist dieser archaische
Sound gewöhnungsbedürftig. Eine Zeitschrift
bezeichnete 1983 die Musik von Hellhammer

als «metallic holocaust», als «ultra-brutal».
Eine Wortwahl, die man erst nachvollziehen
kann, wenn man sich der Band ausgesetzt hat.
Hellhammer wieder aufleben zu lassen, ist
nur schon deshalb ein Gewinn, um aufzuzei-
gen, welche Entwicklung diese Art von Musik
und mit ihr deren Vorreiter Tom Gabriel
Fischer genommen haben. Der Sound von
Celtic Frost und dann auch von Triptykon ist
melodiöser geworden, atmosphärischer. Neben
dem knurrenden Gesang («Growling») ist in
manchen Songs eine sanfte Frauenstimme
hinzugekommen.
Überhaupt fällt in Wacken die wagnerische
Opulenz vieler Heavy-Metal-Bands auf, die
opernhafte Ästhetik. Auch Fischer ist von der
klassischen Musik beeinflusst, etwa von den
düsteren Sinfonien Carl Orffs, Antonin
Dvoráks und Franz Liszts. Für Celtic Frost hat
Fischer ein Stück mit klassischen Musikern
geschrieben, natürlich ein Requiem, also eine
Totenmesse. Es handelt sich um eine Trilogie,
deren dritter Teil erst kürzlich von Triptykon

und einem Orchester in den Niederlanden ur-
aufgeführt worden ist. Als Fischer von einem
Journalisten gefragt wurde, ob ein solches
Projekt auch in der Schweiz machbar wäre,
antwortete er: «No way. No way in hell.» Dass
er in seiner Heimat so wenig Anerkennung
erhält, noch nie eine Auszeichnung bekom-
men hat, ist bei Fischer und seinem Umfeld
immer wieder ein Thema.
Jetzt, in Wacken, spielt das keine Rolle. Die
Musiker strapazieren ihre Instrumente aufs
äusserste. Fischer knurrt mit voller Kraft ins
Mikrofon. Von Singen zu sprechen, wäre
wohl verfehlt. Zwischen den Songs aber kann
Fischer seinen liebenswürdigen Charakter
nicht verbergen. Wenn er sich mit tiefer Stim-
me an die Zuschauern richtet, so tönt er wie ein
sympathischer Märchenerzähler, der den bö-
sen Wolf spielt.
Punkt ein Uhr ist fertig. Keine Zugabe, keine
grosse Verabschiedung. Dabei war der Auftritt
ein Triumph. Noch Stunden später wirken die
Vibrationen im Körper nach. Die Band ist be-
geistert. Und erleichtert. Man hatte Bedenken
gehabt, ob dieses Projekt an einem Festival wie
Wacken funktionieren würde, wo viel Lauf-
publikum ist, wo viele Leute den Hintergrund
von Hellhammer wohl nicht kennen. Es hat
funktioniert. Und wie.
Der Bus fährt zurück ins «Artist Village».
Das Essenszelt ist mittlerweile geschlossen,
also ordert man einige Pizzas.
Die Schminke wird entfernt, aus Tom
Gabriel Warrior wird wieder Tom Gabriel
Fischer. Der Nightliner zurück nach Opfikon
fährt erst um vier Uhr los, in zweieinhalb
Stunden also. Egal. Es gibt noch viel zu reden
über diesen denkwürdigen Abend. Und schla-
fen kann nach einem solchen Adrenalinschub
ohnehin noch lange niemand. g

Fischer ist von Komponisten
wie Carl Orff, Antonin Dvorák
und Franz Liszt beeinflusst.
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