Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
56 Weltwoche Nr. 32.19
Bilder: Emanuel Stotzer

D


ie Neurologie kann noch nicht genau
erklären, wie im Hirn Glück entsteht.
Sieben Areale, mindestens, sollen an der
Glücksproduktion beteiligt sein. Dreh- und
Angelpunkt des Glücks ist offenbar das vent-
rale tegmentale Areal im Mittelhirn, das eine
rege Beziehung zum Belohnungssystem, dem
mesolimbischen, unterhält, dessen Treibstoff
Dopamin ist, das gemeinhin als Glückshor-
mon gilt und angrenzende Hirnregionen eu-
phorisiert. Was man mit Sicherheit sagen
kann, ist, dass Glück sehr einfach und sehr
kompliziert zugleich ist.
Alles, was ich über Glück weiss, ist, dass es
zerbrechlich und etwas ist, was kommt, wenn
man Glück hat. Und dass die Frage, wie Glück
entsteht, ganz im Gegensatz zu jener, wie
Glück zergeht, im Grunde unbeantwortbar
ist. Drei Tage schwebte das Glück wie fraglos
im Engadin zwischen Zuoz und Samedan, zog
mal hoch zum Muottas Muragl und wieder
runter nach St. Moritz ins «Palace»-Hotel. Die
Geschichte dieses unbeschwerten Seins ist die
Geschichte von vielleicht fünfzig Menschen
insgesamt, die an einem vom Engadine Golf
Club mit viel Herzblut, Leidenschaft, Know-
how und, ja, Liebe organisierten Turnier teil-
genommen haben oder sonst wie dabei waren.
Ryder Cup Trust heisst das Turnier, es gibt es
seit ein paar Jahren, ins Leben gerufen hat es die
amerikanische Unternehmerin, Society- Lady
und heimliche amerikanische Königin von
Monte Carlo, Susan Feaster, und es fand bis jetzt
immer in Monaco statt. Ein Team aus den USA
spielt gegen eines aus Europa, ganz wie im Ori-
ginal, dem Ryder Cup, bei dem seit 1927 alle
zwei Jahre die besten Golfprofis diesseits und
jenseits des grossen Teichs um die Königskrone
des Golfs spielen. Im Engadin waren eine Hand-
voll Profis, zwei Handvoll Prominente, und der
Rest waren begabte und sehr begabte Amateu-
re. Die meisten hatten ein Single-Handicap,
und das ist etwas, was alle Golfer, die Handicaps
im zweistelligen Bereich haben, sehr, sehr
glücklich machen würde, weil viele Amateur-
golfer einer tragischen Dynamik unter liegen;
an einem Tag glauben sie, einen wesent lichen
Schritt vorangekommen zu sein, am nächsten
schlagen sie sich zwei zurück, am wiederum
nächsten Tag machen sie wieder einen Schritt
nach vorne, jahrelang geht das so.
Die Teams spielten an drei Tagen je eine
Runde auf einem 18-Loch-Platz, zwei auf dem
Course von Zuoz-Madulain, eine auf jenem
von Samedan. Sie schlugen und streichelten

die Bälle, als ob sie eine Seele hätten, für einen
guten Zweck, den Ryder Trust, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, als Botschafter des Gol-
fes jungen Menschen Zutritt zu den Fairways
des Spiels und seinen charakterbildenden
Werten wie Geduld, Fairness und Umgang mit
Niederlagen und Siegen gegen sich selbst zu
ermöglichen.

Aufkommende Berauschtheit
Team USA sieht auf den ersten Blick ein wenig
aus, als ob die Mission «Make America Great
Again» wäre. Die Spieler kommen wie aus
einem Guss daher, sind gross und geben sich
grossartig, und auf ihren Schuhen steht «USA».
Team Europa ist eine Ansammlung von jungen
Profis und meist älteren Golf-Aficionados und
Howard Carpendale, der der einzige Promi ist,
sieht man einmal von den vielen Unterneh-

mern, Immobilienbesitzern, Jachtbauern, En-
gadiner Tycoons und ehemaligen schottischen
Rugby-Spielern ab. Die amerikanischen Promis
sind solche, die wir nicht kennen in Europa,
ehemalige Quarterbacks mit Superbowl-
Erfahrung, Baseballspieler und Basketballer.
Ob einer noch aktiv ist oder schon länger zu-
rückgetreten, erkennt man an zwei Merk-
malen. Diejenigen, die ihre Sportkarriere schon
hinter sich haben, spielen besser Golf und trin-
ken abends mehr. Die noch aktiven Spitzen-

sportler wie NBA-Star Mike Conley essen Hähn-
chen anstatt Bündnerfleisch und trinken
Wasser anstatt Wein aus Malans.
An einem Dienstag um neun Uhr morgens
begann das Turnier unter einem blauen Him-
mel, zwischen hohen, noch mit Schneetupfern
gesprenkelten Bergen und auf einem perfekt
hergerichteten Platz. Da ist die übliche Stim-
mung aus Konzentration und dem Versuch,
locker zu bleiben. Die Grenze zwischen der Er-
de des Alltags und den elysischen Landschaf-
ten des Seins war noch nicht überschritten.
Das kam erst abends nach der ersten Runde,
die Europa knapp gewonnen hatte, weil Zuoz
ein gebirgiger, wenn man so will, Golfplatz ist
und kein Highway-Course, wie die Amerika-
ner es gewohnt sind. Der Abend war ein klei-
nes Barbecue mit DJane Tanja La Croix und
Gin-Degustation auf der Terrasse des Restau-
rants des Zuozer Golfklubs. Es ist schwer zu
sagen, was genau geschah, sieht man einmal
von der aufkommenden Berauschtheit ab an
diesem vielleicht wärmsten Abend des dies-
jährigen Engadiner Sommers.
Vielleicht kann man es so formulieren; stellt
man sich die Etikette des Golfes, dieses eher
zurückhaltende Gentleman-Ding zwischen
Stock-im-Arsch und James Bond, als Hemd
vor, öffnete sich zuerst der Kragen, dann ein
Brustknopf, und am Ende war das Hemd da
und dort ganz weg. Nach dem Hemd fielen die
Masken, und sie wurden während der nächs-
ten zwei Tage nicht wieder aufgesetzt. Max
Frisch, hätte er Golf gespielt, das im Grunde
genauso demokratisch ist wie sein gepredigter
Sozialismus, würde wahrscheinlich schreiben:

Auf den Greens des Lächelns: Team USA (l.), Tourniergründerin Susan Feaster (M.), Team Europa.

Nach dem Hemd fielen die
Masken, und sie wurden nicht
wieder aufgesetzt.

Sport


The Big Swing


Drei Tage lang spielten vierzig Golferinnen und Golfer aus Europa und den USA im Engadin
gegeneinander. Es war bisweilen, als ob die Bälle und die Existenzen in den Himmel flögen.
Von Michael Bahnerth
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