Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 59
Bild: Peter Paul Rubens – The Courtauld Institute of Art, London


Annahme und Zurückweisung: Kain und Abel.


Nach dem Krieg gelang es ihnen weitgehend,
sich als Opfer zu definieren.
Wegleitend ist der Opfermythos auch für
das marxistische Geschichtsbild. Hier sind die
Opfer die Ausgebeuteten. Sozialisten in allen
Parteien teilen die Welt in Ausbeuter und Aus-
gebeutete auf. Letztere sind durch Opferga-
ben, nämlich gigantische Umverteilungen, zu
heilen. Da es sich um ein religiöses Ritual han-
delt, ist es unerheblich, ob die Gelder irgendet-
was bewirken.
Nach sechzig Jahren Entwicklungshilfe
mit einer Billion Dollar für Afrika – einem
wichtigen Grund für viele Miseren auf dem
Kontinent – fordern europäische Politiker an-
gesichts der Migration noch mehr vom Fal-
schen. Auch Alleinerziehende, Migranten,
Delinquenten, Suchtkranke, Frauen, Musli-
me, ganze Völker in fernen Ländern werden
zu victimae erklärt und erhalten die Weihe.
Migranten geniessen auch dann noch den
Opferstatus, wenn sie sich durch Übergriffe
und Rechtsbrüche als Täter erwiesen haben.
Afrikaner beklagen längst, dass viele Ent-
wicklungsprojekte mehr Schaden als Nutzen
angerichtet haben. Ebenso wirken die Um-
verteilungsströme auf allen Ebenen durch
Fehlanreize, Betrugsmöglichkeiten und ge-
frässige Bürokratien zerrüttend. Die Umver-
teilung ist irrational und folgt dem primitiv-
religiösen Opferinstinkt. Und die Armuts-
definition der Uno stellt sicher, dass die Ar-
mut, wenn nicht faktisch, so doch statistisch
zunimmt.

Entwarnung
Spenden für Menschen in Not waren stets und
bleiben auch in Zukunft sinnvoll. In Extrem-
situationen lassen sich staatliche Beiträge und
Eingriffe durchaus begründen. Die Hilfsmass-
nahmen müssen den Empfängern dienen,
dürfen aber auch den Spendern ein gutes Ge-
fühl vermitteln. Spenden aus der eigenen Ta-
sche erhöhen die Treffsicherheit. Wer sich je-
doch laufend mit staatlichen Geldern heiligen
will, setzt verhängnisvolle Anreize und öffnet
die Schleusen für die Korruption.
Die Welt ist grundsätzlich viel besser, als sie
dargestellt wird. Abwärtsbewegungen, Rezes-
sionen und Einbussen ändern daran nichts.
Rückschläge können die Verwendung der vor-
handenen Mittel optimieren, die Solidarität
zwischen den Menschen stärken und die Um-
welt entlasten. Die Vergebung ist – nicht nur
den Deutschen – zugesagt. Der archaisch-reli-
giöse Blindflug mit Opferhandlungen hin-
gegen endet im Nihilismus.

Peter Ruch war reformierter Pfarrer in verschiedenen
Gemeinden, zuletzt in Küssnacht am Rigi.
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