Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

K


ürzlich geriet ich in eine Demonstration ge-
gen das Klima. Ich wollte mir am Kiosk
zwanzig Stück «Minor Gianduja Intenso» ho-
len, eine neue Kreation dieses Prügeli-Herstellers,
die an Köstlichkeit nicht zu überbieten ist. Doch
die Demonstranten hatten den Kiosk bereits
umstellt, vielleicht vermuteten sie dort das Zen-
trum der Klimaerwärmung, ich weiss es nicht.
Ich kam jedenfalls nicht mehr an den Kiosk her-
an, und weg kam ich auch nicht mehr, es standen
zu viele Schüler mit Stirnpickel und frischgewa-
schenen Haaren herum, die den herben Kräuter-
duft biologischer Shampoos verströmten. Die
Schüler trugen T-Shirts, die unglaublich reich
beschriftet waren, ich hatte den Eindruck, es mit
sehr mitteilungsbedürftigen Seelen zu tun zu
haben. Auf dem T-Shirt eines Gymnasiasten mit
Rastalocken stand: «Dinosaurs didn’t believe
in.. .» Den Rest konnte ich nicht lesen, weil der
Bursche das T-Shirt in die Hose gesteckt hatte.
Ist das jetzt modern: T-Shirt in der Hose? Früher
hat man das immer über der Hose getragen. Ob-
wohl es früher ja kälter war als heute.
Der Rasta-Gymnasiast schwenkte eine Fahne
mit einem Eisbärenkopf drauf, und weil ich un-
bedingt wissen wollte, woran Dinosaurier nicht
geglaubt hatten, zog ich ihm das T-Shirt aus
dem Hosenbund. Da stand: «... climate change.»
Ich hatte etwas Originelleres erwartet, zum Bei-
spiel «Dinosaurs didn’t believe in asteroids».
Das wäre doch viel hintergründiger gewesen,
denn Asteroiden waren in der Vergangenheit
für Klimaveränderungen verantwortlich, die
wesentlich sportlicher daherkamen als die jetzi-
ge, die mir ein bisschen lau erscheint. Ich fragte
den Gymnasiasten, wie viele Menschen denn
bisher eigentlich schon an der Klimaerwär-
mung gestorben seien? Er sagte: «Zuerst ster-
ben die Eisbären, dann die Menschen.»
Ich musste an meinen ehemaligen Schwager
Ralf denken, der vor vier Jahren auf der Insel
Spitzbergen von einem Eisbären angegriffen
wurde. Ralf hätte sich sicher gewünscht, dass
zuerst die Eisbären und dann die Menschen
sterben, aber es war leider umgekehrt. Jetzt
kam Bewegung in die Menge, denn einige
Journalisten vom Fernsehen drängelten sich

Weltwoche Nr. 32.19 63
Bilder: SM, Franz Neumayr, Roman Zach-Kiesling (APA, Keystone) (3)


Im Internet

Wird 2020 mitgestalten: Rabl-Stadler. http://www.schwaningerpost.com


Vordereingang: Ehepaar Sixt.


Guter Griff: Moretti, Tscheplanowa.


Unten durch


Beim Kiosk


Von Linus Reichlin


die Münchner Autoverleih- Königin, und auf
den Industriellen-Erben Muck Flick, der, mit
zwei Regenschirmen bewaffnet, aus einer Li-
mousine kletterte. Und Alexander Pereira,
der kurzzeitig hier Intendant war (von 2012 bis
2014, länger hielten sich er und die Salzburger
gegenseitig nicht aus), kam und lächelte tap-
fer, er gibt sich wie immer bubenhaft frohge-
mut, die Ärgernisse in Mailand (er hätte seinen
Vertrag mit der Scala gern verlängert, wird
aber durch Dominique Meyer von der Wiener
Staatsoper ersetzt) sieht man höchstens seiner
schlohweissen Haarpracht an.
Star der Salzburger Festspiele ist traditionell
der «Jedermann» – und damit die Buhlschaft.
Mit der Russin Valery Tscheplanowa hat man
da einen guten Griff getan, die passende Ge-
liebte für Titelheld Tobias Moretti. «Jeder-
mann», das Mysterienspiel von Hugo von
Hofmannsthal, wird seit Gründung der Fest-
spiele vor dem Salzburger Dom gespielt, alle
Vorstellungen sind immer wirklich – und rest-
los – ausverkauft. Dass sich gerade die Reichen


  • Publikum der Festspiele ist naturgemäss die
    weltweite Finanzelite – «das Spiel vom Ster-
    ben des reichen Mannes» so gern und immer
    wieder (es gibt Leute, die gehen jedes Jahr in
    den «Jedermann») anschauen, gibt Hoffnung
    für diese oft so unerklärbare, in Sachen Werte
    so durcheinandergeschüttelte Welt.
    Seit 1995 ist Helga Rabl-Stadler Präsidentin
    der Salzburger Festspiele. Die 100-Jahr-Feier
    2020 will sie noch mitgestalten. Dann hat sie
    versprochen zurückzutreten. Für die Papa-
    razzi war sie an diesen Festspielen der Star. Sie
    berichteten vor allem über die bunten Farben
    ihrer Kleider.


Stecker. Seinen Freunden lag er in den Ohren.
Alles hätte er für sie getan. Solides Miteinan-
der, kaum Streit – obwohl sie ja auch nicht
immer einfach gewesen sei. Und stets etwas
spröde. Aber es hatte gepasst. Sie im Einkauf
einer Modekette, er in der Buchhaltung eines
Landmaschinenherstellers: In ein paar Jahren
hätten sie sich ein kleines Haus gekauft und es
mit einer Familie gefüllt. Und dann das! Wie
konnte er sich nur so täuschen in dieser zuge-
knöpften Frau ohne Schminke.
Weil das nicht lange auszuhalten war, pack-
ten seine Freunde Mike Anfang Juli ins Auto.
Ab nach Italien, der soll mal auf andere Gedan-
ken kommen.
Die anderen Gedanken kamen in Form lan-
ger, nackter Beine auf Mike zu. Weiter oben:
zwei grosse Argumente unter einem knappen
Bikinioberteil. Gestatten, Carmen. Wahnsin-
nig charmante Frau mit wasserblonden Haa-


ren. Eine, die noch um vier Uhr morgens
bei der Pool-Party lachend mit Mike rum-
schäkerte. Eine, die am nächsten Tag mit
ihm Wasserski fahren ging – und im Bett
Sachen machte, die er nicht für möglich ge-
halten hatte. Frisches Leben pulsierte
durch Mikes Adern. War er gerade noch ver-
früht in eine Mittlebenskrise geschlittert,
so war er nun wundersam verjüngt, fast
nochmal Teenager. Und nun sah er sich also
in der Zukunft mit Carmen, umgeben von
wahnsinnig schönen, gemeinsamen Kin-
dern. Dass sie ebenfalls nur Ferien machte
in Italien, aber eigentlich in Australien leb-
te, tat seiner Verliebtheit keinen Abbruch.
Dass sie dort als Stripperin arbeitete, liess
ihn auch nicht zweifeln. «Ich glaube, Car-
men ist die Richtige!», rief er seinen Freun-
den auf der Heimfahrt ins Aargauische im
Auto zu – und alle seufzten.
››› Fortsetzung auf Seite 64
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