Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
66 Weltwoche Nr. 32.19
Bild: Gabriel Hill

E


in Fall in Kanada schlägt hohe Wellen.
Eine Transgender-Frau, sie besitzt Penis
und Hoden, zerrt Kosmetikerinnen vor Ge-
richt, weil die sich weigern, ihre Intimzone zu
wachsen. Jessica Yaniv hat sechzehn Beschwer-
den gegen Frauen am Gerichtshof für Men-
schenrechte in British Columbia eingereicht,
wie die Online-Ausgabe von The Spectator
jüngst berichtete. Yaniv argumentiert, dass die
Kosmetikerinnen die Menschenrechte verletz-
ten und transphob seien. Die betroffenen Ge-
schäfte sind Damensalons – dafür, Intimzonen
von Männern zu enthaaren, sind die Mitarbei-
terinnen gar nicht geschult. Man stelle sich
vor: Frauen müssen nun vor Gericht kämpfen,
weil sie keine Penisse und Hoden anfassen
wollen. Irre Welt.
Wer die Transgender-Frau kritisiert, gilt
unter Gender-Aktivisten als transphob. Das
wurde auch dem britischen Comedian Ricky
Gervais unterstellt, nachdem er sich via Twit-
ter in die Debatte einmischte: «Wie kamen wir
an den Punkt, wo Frauen für ihr Recht kämp-
fen müssen, zu entscheiden, ob sie einen ‹big
old hairy› Penis und Hoden wachsen wollen
oder nicht? Es ist kein Menschenrecht, seine
Eier poliert zu bekommen.»
Das Bittere daran ist, dass es hier keine Ge-
winner gibt. Eine der Kosmetikerinnen hat
schon ihren Job verloren. Und die allermeisten
Transgender würden Frauen nie in diese Lage
bringen – die Community wird wegen solcher
Leute aber pauschal in der Öffentlichkeit so
wahrgenommen und leidet darunter. Im Zuge
der Berichterstattung sind weitere Dinge ans
Licht gekommen: Anscheinend wollte Yaniv
mit Kindern einen «Oben ohne»-Schwimm-
Event organisieren, bei dem die Eltern nicht
dabei sein sollten; Daily Mail schreibt, dass
Yaniv des unangemessenen Verhaltens mit

einem vierzehnjährigen Mädchen beschuldigt
wird. Transgender-Frau Blaire White, eine US-
Youtuberin, die ich sehr schätze, sagt in ihrem
Video: «Diese Person ist die Verkörperung
dessen, was Leuten Angst macht, wenn es um
Transgender geht. Es ist eine gefährliche
Person, die die Trans-Community in ein
schlechtes Licht rückt.» Yaniv habe ganz klar
medizinisch keine Umwandlung vollzogen,
darum glaube White, dass sie sich nur als
transgender ausgibt: «Trans-Frauen – beson-
ders vor ihrer Operation – fühlen sich unbe-
haglich mit dem Teil da unten, sie zwingen
sich nicht bei Frauen in Salons auf und wollen
auch nicht an der Stelle berührt werden.»
Beim Thema Geschlechtsidentitätswechsel
bin ich hin- und hergerissen. Einerseits ist un-
bestritten: Menschen, die sich mit ihrem bio-
logischen Geschlecht nicht identifizieren, soll
ein Identitätswechsel nicht unnötig schwerge-
macht werden. Auch wie sich eine Person
selbst sieht, ist jedem seine Sache; ich spreche
jeden so an, wie er/sie es möchte. Und die meis-
ten Transgender denken ja nicht: «So, heute
bin ich mal eine Frau und morgen ein Mann»,
sondern sie fühlen, dass etwas nicht stimmt
und sie nicht im richtigen Körper sind.

A


ndererseits offenbaren Fälle wie dieser,
dass die Transgender-Ideologie, laut der
jeder sein Geschlecht selbst bestimmen und
seine eigene Wahrheit gemäss seinem emotio-
nalen Selbstverständnis kreieren kann, nicht
zu Ende gedacht wurde. Die Gesetzeslage in
Kanada besagt, dass man eine Person mit je-
nem Geschlecht anerkennen und ansprechen
muss, mit dem sie sich identifiziert, und man
schon nur für das Infragestellen eines Ge-
schlechts, egal, ob ein medizinisches Attest
vorliegt, rechtlich belangt werden kann. In der

Tamaras Welt


Durchgeknallt


Weil sie keine Hoden enthaaren, müssen sich Frauen in Kanada
vor Gericht gegen den Vorwurf der Transphobie verteidigen.
Sind wir jetzt alle gaga? Von Tamara Wernli

Schweiz leben schätzungsweise zwischen 100
und 200 Menschen mit einer Trans-Identität,
laut US-Studien liegt der Bevölkerungsanteil
insgesamt bei ein bis zwei Prozent. Auch bei
uns ist es Ziel des Bundesrates, dass Trans-
menschen künftig ihr Geschlecht «unbüro-
kratisch» mittels einer einfachen Erklärung
gegenüber dem Zivilstandsbeamten ändern
können, ohne dass eine vorgängige medizini-
sche Untersuchung notwendig ist. Der Bun-
desrat wird die Botschaft zur Änderung des
Zivilgesetzbuches voraussichtlich noch 2019
verabschieden.

W


ie realistisch aber ist es, Geschlechts-
identitätswechsel ohne äusserliche
Merkmale einer Umwandlung und vor allem
ohne medizinische Bescheinigung gesetzlich
zu fördern und zu begünstigen? Welche ge-
sellschaftlichen Folgen hat es, wenn wir alle
unser biologisches Geschlecht so leicht ändern
können? Spinnt man es weiter, könnten ja Job-
suchende je nach Stellenbeschrieb einfach ihre
Identität anpassen. Oder erfolg lose Profiboxer
ein Comeback bei den Damen geben. Wie geht
man mit der vermehrt ein tretenden, absurden
Situation um, dass Transgender nach ihrer
Transformation vom Mann zur Frau in sport-
lichen Wettkämpfen wie beim Gewichtheben
gegen Frauen antreten, haushoch gewinnen
und die biologisch weiblichen Athletinnen
keine Chance gegen sie haben, weil deren kör-
perliche Überlegenheit trotz Hormonbehand-
lung vorhanden ist?
Ist es nicht auch Diskriminierung, wenn
eine Person per Gesetz mit der Transphob-
Keule niedergestreckt werden kann, weil sie
sich weigert, Hoden zu wachsen? Oder das
Geschlecht eines Mitarbeiters hinterfragt? Auf
ihrem Standpunkt besteht, dass ein biologi-
scher Mann immer ein Mann ist? Jeder soll so
leben können, wie er möchte, aber andere, wie
im Fall Yaniv, zu Handlungen zu zwingen, die
sie nicht wollen, das hat dann auch nichts
mehr mit Toleranz zu tun und sollte nicht von
fragwürdigen Gesetzen gestützt werden.

Tamara Wernli, Video-Bloggerin, lebt bei Basel.
Aktuelles Video auf http://www.weltwoche.ch
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