Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
Weltwoche Nr. 32.19 7
Bild: Peter Klaunzer (Keystone)

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rei nach Bob Dylans «Blowin’ in the
Wind»: In wie vielen Betten muss ein
Mann gelegen haben, bis er in 10 Downing
Street schläft? Boris Johnson hatte unzählige
Adressen. Das Chaos fing schon bei der Geburt
am 19. Juni 1964 in New York an, was ihn auto-
matisch auch zum US-Staatsbürger machte;
den Pass gab er erst 2016 zurück, als er Aussen-
minister wurde. Er hörte als Kind schlecht und
kapselte sich ab. Das wirkte als Triebfeder
seiner Intelligenz und Fantasie. In den ersten
vierzehn Jahren seines Lebens wechselte er im
familiären Hin und Her zwischen den USA
und Europa 32 Mal das Kinderzimmer, am
längsten hielt es ihn in Brüssel, wo sein Vater
Stanley im Europaparlament sass.
Johnson war ein Schutz- oder Deckname, sein
Urgrossvater hiess Ali Kemal, war Innenminis-
ter des Osmanischen Reiches und wurde ermor-
det. Der Grossvater kam als Flüchtling nach
London und nahm den Allerweltsnamen John-
son an, und Boris war eigentlich Alexander, die
Familie rief ihn Al. Der Zweitname Boris ist
seine karrieretaugliche Identität, eine Marke
wie Willy Brandt, Grock oder Lenin. Als Hoch-
begabter erhält er ein King’s-Scholars-Stipen-
dium am Elite College Eton. Hier beginnt Al
sich Boris zu nennen. Er studiert alte Sprachen
in Oxford, wird ein aufregender Journalist mit
schnellen Reflexen und haarsträubenden
Widersprüchen, schliesslich der velofahrende
Mayor von London. Und stets fällt ihm diese
weissblonde Kindsfrisur in die Stirn, die aus-
sieht, wie wenn er zu spät aufgestanden wäre;
Babyface wird fast alles verziehen.
Jetzt ist der Zügelwagen vorgefahren, aber
nicht vor 10 Downing Street, sondern vor der
geräumigeren Nr. 11, wo sich die Regierungs-
chefs seit Tony Blair einquartieren. Boris, der
erprobte Unbehauste, zweimal geschieden,
zieht mit Girlfriend Carry Symonds, 31, ein, sie
bewohnen aber weiterhin auch die private
Bleibe, einen viktorianischen 3,7-Millionen-
Pfund-Bau mit Cheminée im Badezimmer
und genügend bedrooms, manchmal kracht es
zwischen den beiden. Peter Hartmann

W


as macht die Schweiz zu einem attrakti-
ven Wirtschaftsstandort, was macht den
Franken zu einer starken Währung mit hoher
Kaufkraft für die Bürger, was bringt Vertrauen
in die Wirtschaft? Es müssen etliche Faktoren
stimmen, aber einer ist unerlässlich: Rechts-
sicherheit. Es ist ein grosser Trumpf des Lan-
des, dass sich die Bürger und Unternehmen
auf das verlassen können, was in Gesetzen und
Verordnungen steht, und dass sie immer wie-
der bestätigt erhalten, dass sich auch die Ver-
waltung daranhält und im Bedarfsfall hilfsbe-
reit ist. Nach dem Urteil des Bundesgerichts
zur Lieferung von UBS-Kundendaten an den
französischen Staat ist der Glaube in die Soli-
dität der Schweizer Rechtsordnung erschüt-
tert. Gegenüber ausländischen Behörden wird
ein Tor geöffnet, das viele Bankkunden, Ban-
kiers und Bürger für fest verschlossen ge-
glaubt hatten.
In der Finanzbranche hat man zwar bereits
viele Unwägbarkeiten erlebt, seit der Gesetz-
geber nach der Finanzkrise neue Regulie-
rungswellen ausgelöst hat und die Finanzauf-
sichtsbehörde Finma mit grossen Freiräumen
bei der Überwachung von Banken und der
Durchsetzung der Regeln ausgestattet worden
ist. Aber nach dem Bundesgerichtsurteil er-
reicht die Unsicherheit in der Wirtschaft eine
neue Stufe. Die Banken befürchten riesige

administrative Lasten, wenn es darum gehen
wird, bei allen betroffenen Kundenbeziehun-
gen sicherzustellen, dass nicht Drittpersonen
in den Datenstrudel geraten. Unverständlich
ist für Banker auch, warum jetzt dieses Urteil
ergangen ist, nachdem die allermeisten Kun-
den ihre Beziehungen doch legal gemacht hät-
ten und nun sowieso der automatische Infor-
mationsaustausch greife.

Im Verbund gegen die Legislative
Der Fall mit den UBS-Daten ist auch deshalb
ein Alarmsignal, weil dieser an frühere Beob-
achtungen auf einem anderen Gebiet erin-
nert. Im Jahr 2014 lehnte der Nationalrat nach
langen Jahren der Auseinandersetzung den
damaligen Vorschlag zur Revision des Kar-
tellgesetzes ab – unter anderem, weil dieser
ein sogenanntes Teilkartellverbot gebracht
hätte. Dies hätte bedeutet, dass Vertriebsver-
einbarungen zwischen einem Hersteller und
einem Händler, der ihm die Ware abnimmt,
viel rascher unter den Verdacht der Wettbe-
werbsverletzung gekommen wären als bis-
her. Im Sommer 2016 jedoch wischte das
Bundesgericht den Beschluss des Gesetzge-
bers beiseite. Die Richter urteilten, dass der
Hersteller der Zahnpasta Elmex Parallelim-
porte in die Schweiz nicht durch spezielle
Verträge unterbinden dürfe. Damit machte
das Gericht genau das Teilkartellverbot zur
Praxis. In der Wirtschaft herrscht seitdem
Unsicherheit darüber, was eigentlich noch er-
laubt ist; es dominiert die Angst vor Wettbe-
werbsbehörde und Gerichten.
In beiden Fällen hat die Judikative der Exe-
kutive Unterstützung geleistet in der Ausein-
andersetzung gegen die Legislative bezie-
hungsweise den Souverän. Die Richter haben
aus eigener Kraft etwas eingeführt, was das
Parlament vorher abgelehnt hat. Beobachter
sehen darin ein Anzeichen, dass die Gewalten-
teilung zwischen den drei Staatssäulen Legis-
lative, Exekutive und Judikative nicht mehr so
funktioniert, wie sie früher gedacht war. Das
heisst: Statt dass die drei Gewalten durch checks
and balances sich gegenseitig so kontrollieren,
dass die Staatstätigkeit in vernünftige Bahnen
gelenkt wird, schaukeln sie sich gegenseitig zu
Regulierungen auf, die die Rechtssicherheit
schwächen. Immerhin ist die Aufmerksamkeit
des Publikums geschärft. Und das Volk als
Souverän würde nicht tatenlos zusehen, soll-
ten Gerichte zur Unterstützung der Verwal-
tung neigen.

Im Auge


Ein Bett für Boris


Kommentare


Spiel gegen den Souverän


Von Beat Gygi _ Funktioniert in der Schweiz das Zusammenspiel
von Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichtsbarkeit noch richtig?
Nach dem Entscheid zu den UBS-Daten steigt die Unsicherheit.

Boris Johnson, Premierminister.

Was ist noch erlaubt? Bundesrat Parmelin.
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