Süddeutsche Zeitung - 09.08.2019

(Frankie) #1
Knapp einen Monat ist es her, dass der
US-amerikanischeSongwriter David
Berman nach einer zehnjährigen musi-
kalischen Auszeit unter dem AliasPur-
ple Mountainsmit einem grandiosen
Album zurückkehrte, welches ihn auf
der Höhe seiner Kunst zeigte. Zu hören
war darauf ebenjener Americana-
Sound, zu dem Berman über die Jahre
auch als Kopf seiner gefeierten Indie-
RockbandSilver Jewsgefunden hatte.
Zu hören war auf dem neuen Album
jedoch auch ein Sänger, der die Be-
schwingtheit der Musik mit Texten
konterkarierte, die tief in sein Seelenle-
ben blicken ließen. Die schmerzhaft
klare autobiografische Art und Weise,
auf die er um sich selbst kreiste, ver-
wies auf einen gebrochenen Menschen,
der nach Jahren zwischen Drogenabhän-
gigkeit und Depressionen offenkundig
noch immer nicht zu sich selbst gefun-
den hatte. Kurz bevor er eine Tournee
beginnen wollte, ist David Berman, wie
sein Label Drag City mitteilte, tot in
seiner Wohnung aufgefunden worden.
Er wurde 52 Jahre alt. pfn

von rudolf neumaier

E


s hätte auch Physik werden können.
Daniela Schneider, 26, hat ein Einser-
Abitur hingelegt damals in Wolfen-
büttel. Physik studieren und nebenbei mu-
sizieren, so stellte sie sich das vor. Sie wäre
auch nicht die erste Physikerin geworden,
die sich neben Formeln und Theorien mit
Noten und Tönen zerstreute. Ein gewisser
Einstein und sein Kollege Heisenberg spiel-
ten für ihr Leben gern, Geige der eine, Kla-
vier der andere, von Werner Heisenberg ist
Mozarts d-Moll-Konzert auf Platte überlie-
fert. Manchmal paaren sich Wissenschaft
und Kunst kongenial.
Als junger Mensch ist man hin und her-
gerissen zwischen nüchternem Interesse
und glühender Neigung, deswegen lotete
Daniela Schneider erst mal ihr Herz aus. Es
hätte auch Physik werden können, ja, aber
es wurde Musik. Kirchenmusik. Es war ei-
ne Berufung.


Daniela Schneider reiste nach der Schu-
le für ein freiwilliges soziales Jahr auf die
Philippinen. Als Hilfslehrerin unterstützte
sie katholische Missionsschwestern, die
Pallottinerinnen. Sie bekam ein hölzernes
Brustkreuz und eine Aufgabe: Kinderbe-
treuung. Sie zeigte den philippinischen
Kindern die Blockflöte und die Melodica.
Und als sie durch die Slums in ihrem Vorort
von Manila ging und hörte, wie die Kinder
in den Bretterverschlägen übten und üb-
ten und bald ihre ersten Melodien zuwege
brachten, war ihr alles klar. Den Menschen
Musik bringen – das war es. Das ist es.
„Ich bin ausgesendet, um anderen Men-
schen ein Segen zu sein“, sagt sie. Andere
tuten ihr Lebensmotto mit Aplomb hinaus
wie eine Fanfare, wenn sie überhaupt eins
haben, oder wiederholen es so lange, bis
sie selbst nicht mehr wissen, was sie wol-
len, doch diese Frau lässt es mal eben so fal-
len. Dafür hallt es umso stärker nach.
„Den Menschen ein Segen sein. Schön
gesagt. Wie meinen Sie das?“
„Wenn man mit Liebe für andere da ist,
dann kann man ihnen ein Segen sein.“
„Mit Kirchenmusik?“
„Egal in welchem Bereich. Bei mir ist es
eben die Kirchenmusik. Ich fühle mich im
katholischen Glauben wohl.“
Über Jahrhunderte hinweg war die Kir-
che flächendeckend die bedeutendste Kul-
turvermittlerin. Sie beschäftigte Maler
und Bildhauer, sie förderte die Buch- eben-
so wie die Tonkunst und engagierte Instru-
mentalisten und Sänger. Zur höheren Ehre
Gottes wurden Jünglinge mit besonders
schönen Stimmen kastriert.
Für Richard Wagner, bekanntlich kein
Freund der Religion, war Musik eine Kreati-
on des Christentums. „Erst durch die Ton-


kunst ward die christliche Lyrik daher zu ei-
ner wirklichen Kunst“, schrieb er 1880 in
der Abhandlung „Religion und Kunst“,
„die kirchliche Musik ward auf die Worte
des dogmatischen Begriffes gesungen; in
ihrer Wirkung löste sie aber diese Worte
bis zum Verschwinden ihrer Wahrnehm-
barkeit auf, so dass sie, hierdurch den rei-
nen Gefühlsgehalt derselben fast einzig
der entzückten Empfindung mittheilte.“
Streng genommen sei die Musik die einzi-
ge dem christlichen Glauben ganz entspre-
chende Kunst, wie „die einzige Musik, wel-
che wir, zum mindesten jetzt, als jeder an-
dern ebenbürtige Kunst kennen, lediglich
ein Produkt des Christentums“ sei.
Entzückte Empfindung wecken – das
ist die Aufgabe der Kirchenmusiker immer
gewesen. Wer, einerseits, die gängigen Got-
teslob-Gebrauchsgesänge kennt, kann
leicht am Erfolg zweifeln. Andererseits ist
das christliche Musikrepertoire schier un-
erschöpflich: vom Gregorianischen Choral
bis hin zu zeitgenössischen Komponisten
wie John Rutter, zu den Gospels und christ-
licher Popmusik, Latin- und Tangomessen
mit Tanz. Alles kann, nichts muss. „Die Kir-
chenmusik hat sich seit dem Zweiten Vati-
kanischen Konzil stark verändert, und sie
wird sich in den nächsten Jahrzehnten wei-
ter verändern“, sagt Daniela Schneider.
Der Trend: mehr Band mit Schlagzeug,
weniger Orgel. Sie selbst hat mal einen Rap
geschrieben. Aber als praktizierende Al-
truistin tritt sie nicht mit dem Anspruch
an, die Kirchenmusik mit eigenen Impul-
sen zu verändern, sondern die Menschen
dafür zu begeistern, die mit ihr arbeiten.
Sie hat gelesen, dass deutlich mehr Leu-
te – wie sie selbst – nach wie vor sonntags
in den Gottesdienst gehen als samstags ins
Fußballstadion. Das stimmt sie zuversicht-
lich. Wenn von 23 Millionen Katholiken
zehn Prozent regelmäßig die Kirche besu-
chen, teilen sich die Kirchenmusiker im-
mer noch ein Millionenpublikum.
„Wir machen jeden Sonntag Live-Mu-
sik.“ Da kommt es auf die richtigen Töne
an. Jede Pfarrgemeinde hat andere Ansprü-
che. Die einen wollen es immerzu mög-
lichst virtuos und feierlich, die anderen –
und das sind die meisten – wollen schnell
wieder nach Hause. Und dann hat man ja
noch den Pfarrer, dem man auf keinen Fall
die Show stehlen sollte.
Die Wahl des Studienortes fiel Daniela
Schneider ziemlich leicht. Obwohl die ka-
tholische Kirche unter Priestermangel und
Mitgliederschwund leidet, gibt es immer
noch ein Dutzend Städte in Deutschland
mit Kirchenmusikschulen. Während ande-
re Studenten erst mal nach der Kneipen-
dichte einer Stadt googeln oder sich an den
fachlichen Schwerpunkten ihres Lehrkör-
pers orientieren, zählte Frau Schneider die
Orgeln. Die Hochschule für katholische Kir-
chenmusik in Regensburg, die älteste ihrer
Art in Deutschland, verfügt über 14 Übeor-
geln. Bei etwa 20 bis 30 Studierenden pro
Jahrgang ein beachtliches Angebot. „Ein

paradiesischer Zustand“, sagt sie, „ich
konnte eigentlich ständig üben.“ Zum Ver-
gleich: In Stuttgart, wo sich ihr Verlobter
derzeit auf den Master-Abschluss vorberei-
tet, gebe es ganze drei Instrumente.
Ihr erster Chor bestand aus zwei Sänge-
rinnen, die bulgarisch-orthodoxe Kirchen-
gemeinde in Regensburg ist überschau-
bar. Die Herausforderung bestand darin,
dass in dieser Konfession Instrumente im
Gottesdienst nicht statthaft sind. Ihre ers-
ten Erfahrungen mit größeren Chören sam-
melte sie dann in Dorfpfarreien.

Daniela Schneider ist groß genug, dass
sie die Orgelpedale spielen kann, aber die
Orgelbank darf nicht zu hoch eingestellt
sein. Sie trägt eine randlose Brille, ihr locki-
ges Haar geht ihr gerade über die Schulter.
Der äußeren Erscheinung nach wirkt sie
nicht wie eine Autoritätsperson, die zwei
Dutzend Leute von einem Moment auf den
anderen aus einem Fortissimo ins Piano
dimmen und eine Pausenfermate bis zur
Unendlichkeit dehnen kann. Umso wichti-
ger ist Charme. Und den kann man trainie-
ren. „Als Leiterin kann ich nicht vor den
Chor treten und fragen, was möchtet ihr
singen. Da muss man was vorgeben.“
Musik heilt. Als Mensch, der ein Segen
für andere sein will, ist ihr das besonders
wichtig. Sie hat sich das auf den Notizzettel
geschrieben, das wollte sie unbedingt los-
werden, weil es beim ersten Gespräch zu
kurz kam. Schließlich soll auch der Zei-
tungsartikel über sie den Lesern vermit-
teln, wie gut Musik tut – und Segen soll er
bringen. Wer singt, muss sich öffnen, sagt
sie, er muss seine krumme Schutzhaltung
aufgeben, den Oberkörper aufrichten und

den Mund aufreißen, damit was heraus-
kommt. „Nur wenn wir unsere Schutzhal-
tungen aufgeben, können wir uns auch psy-
chisch wohlfühlen.“ Eine bessere Schulung
fürs eigene Körpergefühl gibt es kaum.
Bei einem evangelischen Chor in Re-
gensburg hatte sie einen Schlaganfall-Pati-
enten, dessen Sprachzentrum blockiert
war. Er brachte kein Hallo und kein Servus
mehr heraus. Aber singen konnte er. Danie-
la Schneider hat ihn zu Hause besucht, als
er nicht mehr in die Singstunden kommen
konnte, und mit ihm Musik gemacht. Sie
besucht ihre Chormitglieder immer, wenn
sie krank sind, Musik heilt.
Seit Herbst 2012 hat sie in Regensburg
studiert und Chöre geleitet. Am Ende absol-
vierte sie zwei Studiengänge, Musiktheo-
rie mit kirchenmusikalischer Komposition
und Chorleitung. Damit ist sie im Juli fertig
geworden. Zuletzt leitete sie einen Chor im
Regensburger Vorort Tegernheim. Zusam-
men mit der Blaskapelle und dem Kinder-
chor führten sie zur Priesterweihe eines
jungen Mannes aus der Gemeinde die im
Jahr 2003 entstandene Missa brevis des

Niederländers Jacob de Haan auf. Ein Rie-
senprojekt für Tegernheim. Der Dorfplatz
bebte. „Unter Danielas Leitung haben viele
festgestellt, dass sie einiges mehr können,
als sie wussten“, sagt eine Sängerin. Von je-
dem einzelnen ihrer 30 Chormitglieder ver-
abschiedete sich die Leiterin dann mit ei-
nem individuell gemalten Bild. Schneider
musiziert nicht nur, sie malt, schreibt Ge-
dichte und Geschichten und fotografiert.
Jetzt hat sie im Bayerischen Wald ange-
fangen, in Viechtach, 8400 Einwohner. Ei-
ne Vollzeitstelle mit viel Kinderarbeit und
natürlich mit liturgischen Diensten. In ei-
nem Jahr, wenn ihr Freund sein Masterstu-
dium abgeschlossen hat, will sie sich mit
ihm die Stelle teilen. Sie hat ihn in der Kir-
chenmusikschule kennengelernt so wie
sich ihre Eltern im Kirchenchor kennenge-
lernt hatten, den ihr Vater in Braunschweig
übernommen hatte.
Das hölzerne Brustkreuz der Pallottine-
rinnen, das sie vor acht Jahren von den Phil-
ippinen mitgenommen hat, trägt Daniela
Schneider heute noch über ihrer Bluse. Je-
der soll sehen, dass sie ein Segen sein will.

„The show must go on“, schreibt András
Schiff, aber „ohne mich“. In der Auseinan-
dersetzung zwischen ihm und der Schuber-
tiade Schwarzenberg (SZ vom 2. August)
hat sich der Pianist erstmals zu Wort gemel-
det. In seiner Erklärung geht es neben Fra-
gen der Programmgestaltung um das The-
ma Bösendorfer contra Steinway, das bei
der Schubertiade im Juni an Brisanz ge-
wann, weil Schiff in einem Meisterkurs wie-
der einmal die Vorzüge der Flügel von Bö-
sendorfer vor denen von Steinway heraus-
strich. Schiff sagt zu diesen „ironisch-kriti-
schen Äußerungen“, er möge „das eine
oder andere Mal ,über die Schnur gehauen‘
haben“, wofür er sich entschuldige.
Andererseits bewege er sich in dieser
Sache auf seinem „ureigenen Gebiet“ und
könne starke Argumente für sein Tun ins
Feld führen. Seiner ehrlichen und sicher
subjektiven Meinung nach passen „selbst
die besten Steinway-Instrumente – es gibt
sie! – nicht ideal zu Schuberts Klavier- und
Kammermusik“, weil sie, wiederum sei-
nem Empfinden nach, dafür „zu objektiv,
zu massiv, zu wenig gesanglich“ sind. Der
Künstler weiter: „Schuberts Musiksprache
gleicht einem Dialekt; sie ist ausgespro-
chen wienerisch oder überhaupt österrei-
chisch. Demzufolge mutet mich eine Schu-
bert-Wiedergabe auf einem Steinway an
wie Nestroy auf Hochdeutsch.“
Was ihn letztlich zur Aufkündigung der
langjährigen, an künstlerischen Sensatio-
nen überreichen Zusammenarbeit bewo-
gen hat, ist die kolportierte Mutmaßung,
er, Schiff, werde von Bösendorfer dafür be-
zahlt, Steinway zu diskreditieren. „Das ist,
milde gesagt, eine grobe Zumutung und
eine niederträchtige Beleidigung.“ us

Wie viele Menschen, denen man ein einzi-
ges Mal kurz begegnet ist, hat man Ende
seines Lebens vergessen? Es sind wohl Tau-
sende und Abertausende, nur selten prägt
sich ein solcher kurzer Augenblick für im-
mer ins Gedächtnis ein. Rafi (Nawazuddin
Siddiqui) fotografiert Menschen an einer
Anlegestelle in Mumbai und verkauft ih-
nen ein Polaroid, und würde er sich all die-
se Gesichter merken, wäre in seinem Kopf
kaum Platz für etwas anderes. Es hat einen
besonderen Grund, dass er Miloni (Sanya
Malhotra) nicht vergessen kann, die junge
Frau, die eines Tages gedankenverloren zu-
sagt, sich von ihm fotografieren zu lassen.
Sie ist nämlich mit dem Foto gedankenver-
loren weitergelaufen, ohne zu bezahlen.
Die beiden stammen aus unterschiedli-
chen Welten. Milonis Familie geht es gut,
sie wohnt in einer großen Wohnung mit
Dienstmädchen, und sie besucht eine Aka-
demie für Wirtschaftswissenschaften, die
sogar mit einem Bild von ihr wirbt. Die
Eltern haben den Sohn von Bekannten im
Auge, den sie Miloni gern als künftigen
Ehemann empfehlen würden. Rafi ist aus
einem armen Dorf nach Mumbai gekom-
men, jeden Cent, den er entbehren kann,
schickt er seiner Großmutter, die ihn aufge-
zogen hat. Er teilt sich eine improvisierte
Behausung mit einer Gruppe von Freun-
den, die alle nicht viel Geld haben, sich


Arbeit auf der Straße gesucht haben. Die
Großmutter macht sich Sorgen, dass Rafi
in seinem Alter immer noch nicht verheira-
tet ist, sie droht, ihre Medikamente nicht
mehr zu nehmen – Rafi ist auch wirklich
kein Junge mehr.
Die Neuigkeiten von der Großmutter im
Streik pfeifen in Mumbai die Straßenhänd-
ler von den Dächern, jeder scheint davon
gehört zu haben. Also druckt Rafi noch ein-

mal Milonis Foto aus und schreibt der
Oma, dies sei seine Verlobte. Auch Miloni
kann den Fotografen vom Pier nicht verges-
sen, denn auf dem Foto, das er von ihr ge-
macht hat, findet sie sich besser getroffen
als auf irgendeinem anderen, als habe er
ihr in dem Augenblick, als er auf den Auslö-
ser drückte, ins Herz geschaut, und sie
blickte glücklicher zurück, als sie sich
fühlt.

„Photograph“, der neue Film von Ritesh
Batra, ist in warmen Farben und wie auf Ze-
henspitzen erzählt. Was sehr passend ist,
denn er handelt von vorsichtigen Avancen,
die zwei sehr leise, eher schüchterne,
warmherzige Menschen einander ma-
chen. Der Inder Ritesh Batra hat „Lunch-
box“ gemacht und zuletzt, in den USA,
„Our Souls at Night“ mit Robert Redford
und Jane Fonda. Er ist also Spezialist für
komplizierte Liebesgeschichten, denen die
Umwelt nicht besonders gewogen ist. In
„Lunchbox“ entspinnt sich eine Liebesge-
schichte zwischen einem Mann kurz vor
der Rente und einer verheirateten Frau,
weil ihre täglich für ihren untreuen Gatten
zubereiteten Speisen vom Kurier an die fal-
sche Adresse geliefert werden; in „Our
Souls at Night“ erleben zwei verwitwete
Nachbarn miteinander einen zweiten Früh-
ling, dem ihre Kinder ein jähes Ende berei-
ten. Der Vorstellung von Romantik, bei der
die Liebe mühelos alle Konventionen
durchbricht und niederwalzt, was immer
sich ihr in den Weg stellt, kann Ritesh Ba-
tra offensichtlich nicht viel abgewinnen.
Miloni und Rafi merken lange nicht ein-
mal, dass sie vielleicht füreinander be-
stimmt sein könnten. Rafi sieht sich chan-
cenlos; und Miloni scheint zu glauben,
dass sie ihre Schuld nun einfach zehnfach
zurückzahlt, in Naturalien, in Mühe und

Zeit. Rafi hat sie ausfindig gemacht, als die
Großmutter ihren Besuch ankündigt. Ein
Treffen hat Miloni zugesagt, aber dann be-
sucht sie Rafi und seine Oma täglich, und
flugs stellt er fest, dass sich die beiden
Frauen sogar ohne ihn verabreden, zum
Einkaufen. Am Abend kniet sie sich neben
das Lager des Hausmädchens und fragt sie
aus nach dem Leben auf dem Lande.
Ein merkwürdiges Mädchen hat Batra
sich da ausgedacht, aber vielleicht ist das
in Indien gar nicht so abwegig. Sie soll sich
kleiden und studieren wie eine moderne
Frau, aber sie trägt diese Modernität wie
ein Korsett, sie hat ganz und gar nichts mit
Emanzipation zu tun. Niemand, so scheint
es, hat sie je gefragt, wie sie selbst sich ihr
Leben vorstellt, ob sie überhaupt Lust hat,
mit einem vermögenden, den Eltern geneh-
men, ungelenken Kerl nach Amerika zu zie-
hen. Freiheit ist das nicht.
Manchmal ist Freiheit das einfache Le-
ben auf dem Lande, mit jemandem, der ei-
nen ganz grundlos bezaubert hat, in einer
glückseligen Sekunde in einer Menschen-
menge am Pier. susan vahabzadeh

Photograph, Indien/USA 2019 – Regie, Buch: Ri-
tesh Batra. Kamera: Tim Gillis, Ben Kutchins. Mit:
SanyaMalhotra, Nawazuddin Siddiqui, Vijay Raaz,
Virendra Saxena. NFP/Filmwelt, 108 Minuten.

Nach der Diskussion um das Mäzenaten-
tum derumstrittenen Pharmaunterneh-
mer-Familie Sackler stellt die internatio-
nal einflussreiche deutsch-japanische
Künstlerin Hito Steyerl private Förderer
auch in Deutschland infrage. „Bis jetzt
ist der Einfluss privater Sammler und
Förderer längst nicht so massiv wie in
England und den USA“, sagte die Profes-
sorin in Berlin. Das scheine sich aber
gerade zu ändern. „Deswegen wäre jetzt
ein sehr guter Moment, den Einfluss
privater Sammler und Stiftungen auf
den öffentlichen Kunst- und Kulturbe-
trieb einer kritischen Prüfung zu unter-
ziehen.“ Es sei noch früh genug, um
gegenzusteuern. „Es geht mir nicht
darum, ob ein Mäzen schlimmer ist als
andere Förderer. Es geht mir darum,
das Prinzip als solches zur Debatte zu
stellen“, sagte Steyerl. Das Spannungs-
feld Künstler zu Mäzen habe sich ver-
stärkt. „Vor allem nach der Finanzkrise,
die zu weiteren Streichungen von Sub-
ventionen im Kulturbetrieb geführt hat.
Das war sozusagen der Anlass, dass
eine bestimmte Fördererkaste ver-
mehrt die Möglichkeiten hatte, ihren
Einfluss auszuweiten.“ Der Sackler-Kon-
zern Purdue Pharma stellt das Schmerz-
mittel Oxycontin her, das stark abhän-
gig macht und den Tod von mehr als
200 000 Menschen verursacht haben
soll.dpa Meinung

DEFGH Nr. 183, Freitag, 9. August 2019 HF2 11


Wer singt, muss sich öffnen,
muss seine krumme
Schutzhaltung aufgeben

David Berman gestorben


Feuilleton
Warum verlassen deutsche Direktoren
die von ihnen geführten Museen
in Florenz und Urbino? 12

Literatur
RebeccaSolnit über die
Geschichte des Wanderns
in Kultur und Literatur 13

Wissen
DerWeltklimarat gibt viele gute
Ratschläge. Doch alles zugleich
wird kaum zu schaffen sein 14

 http://www.sz.de/kultur

Live!


Jeden Sonntag!


„Musik heilt“: Daniela Schneider ist


Kirchenmusikerin in der bayerischen Provinz


Zu objektiv?


Passen Steinways zu Schubert?


Liebe auf den zweiten Blick


Der indische Regisseur Ritesh Batra erzählt in seiner Romanze „Photograph“ von einem ungleichen Paar in Mumbai


„Ich bin ausgesendet, um anderen Menschen ein Segen zu sein.“ FOTO: NATALIE NEOMI ISSER

FEUILLETON

Miloni(Sanya Malhotra) und Rafi (Nawazuddin Siddiqui) haben wenig gemein-
sam und kommen sich gerade deswegen näher. FOTO: NFP

Was tun junge Künstler, Literaten
oder Wissenschaftler, wenn sie noch
nicht etabliert sind? Sie denken über
Kunst, Literatur oder Wissenschaft
nach. In dieser Serie erzählen sie, wie
sie ihre Zukunft sehen – und die
Zukunft ihrer Disziplin. Diesmal:
Daniela Schneider, Kirchenmusikerin
in Viechtach im Bayerischen Wald.

A


M


S
T
A

RT

KURZ GEMELDET


HEUTE


Steyerl über Mäzene

Free download pdf