Süddeutsche Zeitung - 09.08.2019

(Frankie) #1
Der Mumel-Anbau ist ein schwieriges Ge-
werbe. Dies zumal, da es diese Pflanze
nicht gibt. Der Satiriker und Drehbuchau-
tor Peter – „Pit“ – Knorr hat gleichwohl jah-
relang alles in seiner Macht Stehende ge-
tan, der Mumel zu fröhlicher Verbreitung
zu verhelfen. Wer, wenn nicht er, ihr Erfin-
der, hätte sich des grauslich schmecken-
den Pflänzchens annehmen sollen, dem er
schon in grauer Vorzeit einen skandalträch-
tigen Auftritt bescherte: „Des weiteren“, zi-
tierte Knorr aus seinem fiktiven Urkunden-
schatz, „wäre ein Großaufstand im Kloster
St. Gallen zu vermelden, wo etliche Mön-
che dem Abt gedroht, wieder heidnisch zu
werden, so noch länger Mumeln als Mahl-
zeit aufgetischt werden.“
Seine Karriere begann Peter Knorr in
der Nachkriegszeit im Hessenland, als die
Deutschen auch Mumeln gern gegessen
hätten, wenn sie denn existent gewesen wä-
ren. Der Vater war Ingenieur, die Mutter
Lehrerin. Schon an der Universität Heidel-
berg, wo Knorr Geschichte, Politik und Ger-
manistik studierte, brillierte er in dem Stu-
dentenkabarett „Das Bügelbrett“. Ein Auf-
enthalt in den USA, die damals noch als
freie Welt galten, komplettierte seine Aus-
bildung in Sachen Lebenslust.
Eine Fügung war es, dass er 1969 Redak-
teur bei der SatirezeitschriftPardonwur-
de, wo er Mitstreiter und Freunde fand. F.
W. Bernstein, Bernd Eilert, Robert Gern-
hardt, Eckart Henscheid, Chlodwig Poth,
Hans Traxler, F. K. Waechter und Pit
Knorr: Sie alle bildeten die „Neue Frankfur-
ter Schule“. Deren Ziele bestehen in der Er-
niedrigung des Spießertums zur Heiter-
keit und der Erhebung alles Ernsthaften
zur Ironie. Keiner der Zeichner, Dichter, Ka-
barettisten, Radiomacher dieser Schule
hatte nennenswert viel Ahnung von Be-
triebswirtschaft. Gleichwohl gründeten sie
1979 Titanic, das laut Untertitel „endgülti-
ge Satiremagazin“. Nicht zuletzt Pit Knorr
ist es zu danken, dass die Zeitschrift ihre Fi-
nanzberater bis heute überlebt hat.
Viele Radiosendungen, die Knorr für
den Hessischen Rundfunk fabrizierte, er-
frischten das Leben der Hessen. Als Weih-
nachtsgabe unübertroffen ist das Dramo-
lett „Erna, der Baum nadelt“, das Knorr zu-
sammen mit Robert Gernhardt und Bernd
Eilert verfasste. Es wurde unter dem An-
sturm des Erfolgs in zahlreiche deutsche
Dialekte übersetzt. Außerdem hätte sich
Otto Waalkes ohne seine Texter Eilert und
Knorr wohl längst auf einen Leuchtturm
im Bayerischen Wald zurückgezogen.

Knorr ist ein begeisterter Boule-Spieler.
Alljährlich besucht er ein Weingut an der
Mosel, wo es beides gibt: einen Hof, auf
dem man spielen kann, und guten Ries-
ling. Wenn er Freunde dorthin mitnimmt,
kann es vorkommen, dass er aus dem Auto-
fenster weist und erklärt: Das da könne ein
Mumelfeld sein. Das ungeübte Auge mag
da bloß einen Kartoffelacker erblicken.
Aber so ist das nun mal mit Leuten, die ei-
nen weiten Horizont haben. Der von Knorr
weitet sich mit jedem Jahr. Am kommen-
den Sonntag feiert er seinen achtzigsten
Geburtstag. franziska augstein

Über eine Stunde schon dauert der erste
Akt von „Merope“ im Tiroler Landesthea-
ter, eine Kette von virtuosen Arien und
handlungstreibenden Rezitativen, wie in
der Barockoper üblich. Dann setzt die erste
langsame Arie einen Schnitt und zugleich
den ersten Höhepunkt: „Chi non sente al
mio dolore“ ist eine dieser wildschmerzli-
chen Linien, mit denen Sänger des 18. Jahr-
hunderts neben koloratöser Pracht ihr Pu-
blikum bewegen konnten. Ein Starauftritt
wurde hier in Szene gesetzt: der des Kastra-
ten Carlo Broschi, den unter seinem Künst-
lernamen Farinelli nicht zuletzt durch den
gleichnamigen Erfolgsfilm aus dem Jahr
1994 auch Nichtspezialisten kennen.
Wer „Farinelli“ gesehen hat, kennt auch
den Komponisten der Musik, die nun bei
den Innsbrucker Festwochen der Alten Mu-
sik nach fast dreihundert Jahren wieder zu
hören ist: Riccardo Broschi, den Bruder Fa-
rinellis. Der geniale Sänger und der eher
mittelmäßig begabte Komponist, erzählt
der Film, bilden ein eingespieltes Team,
bis Farinelli die Musik Georg Friedrich
Händels kennenlernt und in ihr eine Tiefe
findet, die die seines Bruders nicht er-
reicht. Das Meiste davon ist die kitschige
Rückprojektion eines romantischen Künst-
lerideals, stützt sich aber durchaus ge-
schickt auf die spärlich überlieferten Eck-
daten von Riccardos Biografie.
Nach einigen erfolgreichen Opern für sei-
nen Bruder bekam Riccardo als Komponist
nicht mehr wirklich ein Bein auf den Bo-
den und blieb lebenslang von dessen finan-
zieller Unterstützung und Protektion ab-
hängig. Auch dass Riccardo als Komponist
immer dann besonders inspiriert war,
wenn er für seinen Bruder komponierte,
kann man nun in „Merope“ hören: Der
Countertenor David Hansen, der bei den
Festwochen in die großen Fußstapfen Fari-


nellis tritt, muss höher hinauf und tiefer
hinunter als alle anderen Sänger, seine Ko-
loraturketten gleichen wahren Achterbahn-
fahren durch die Register, Trompeten ver-
leihen seinen Auftritten instrumentalen
Glanz. Er bekommt nicht nur die schönste
Arie mit obligater Oboe zu singen, sondern
auch das einzige Duett in der Endlosfolge
von Da-capo-Arien. Hansen schlägt sich
technisch achtbar, doch der Grundklang
der Stimme bleibt in Mittellage und Tiefe
fahl und verschattet.

Dafür darf er in der Inszenierung von Sig-
rid T’Hooft schaulaufen, als sei er gerade-
wegs dem Film entstiegen: In der Hand ei-
ne lodernde Fackel, auf dem Kopf einen
monströsen Hahnenkamm von Feder-
busch, schreitet er vor seinen Arien erst
mal die Bühne ab, schlägt gleichsam einen
Bannkreis um sich. Denn natürlich war Fa-
rinelli der Held in der im antiken Griechen-
land angesiedelten Handlung, in der er un-
ter den Namen Epitide den Tyrannen Poli-
fonte stürzen muss, der einst die anderen
Kinder seiner Mutter Merope getötet hat-
te. Das Libretto, nicht mehr als typische
Dutzendware aus dem Barock, kreist um
rechtmäßige und unrechtmäßige Herr-
schaft, und darum, dass fortwährend jeder
jeden täuscht. Wie auch im Bühnenbild
und den Kostümen von Stephan Dietrich al-
les Illusion, optische Täuschung ist, von
der Scheinarchitektur der barocken Gas-
senbühne und der gemalten Kulissen ange-
fangen.
Der Tyrann Polifonte, der bei der Premie-
re aufgrund einer Sängererkrankung von

Carlo Allemano aus dem Orchestergraben
gesungen wird, kommt mit Goldkrone und
langem weißen Bart wie der Märchenkö-
nig aus einem Kindertheater daher. Sigrid
T’Hooft hat sich in den letzten Jahren ei-
nen Namen als Regisseurin gemacht, die
die barocke Spielpraxis vor allem über das
zugehörige historische Bewegungsreper-
toire revitalisiert. Eleganz ist hier alles wie
in der höfischen Gesellschaft, die sich in
der Oper spiegelte, das Wahren von Hal-
tung noch im größten Missgeschick, Spiel-
bein vor Standbein, die Hände zierlich ge-
formt wie die Gesangslinien. Als die Titel-
heldin Merope, für die Mezzosopranistin
Anna Bonitatibus nicht ganz die dramati-
sche Durchschlagskraft mitbringt, im hier
höchstmöglichen Ausdruck von Erregung
einen Stuhl umstößt, wird er sofort von ei-

nem Statisten wieder aufgestellt. Und
selbst beim Verräter Anassandro, den der
Countertenor Filippo Mineccia wunderbar
warm, kraftvoll und elegant singt, sitzt der
schwarze Rock perfekt noch nach angebli-
chen Jahren im Gefängnis, die nur symbo-
lisch durch eine Kette angedeutet werden.
Die Bewegungen der Sänger sind dem
Tanz verwandt, wie in den Szenen mit dem
von T’Hooft nach Innsbruck mitgebrach-
ten Barocktanzensemble Corpo Barocco
deutlich wird. Jeder der drei Akte endet
mit einem rein tänzerischen Intermezzo,
wobei das zweite die Handlung komisch
parodiert: Eine Commedia-dell’arte-Trup-
pe verarbeitet den zuvor von Epitide alias
Farinelli heldisch zur Strecke gebrachten
wilden Eber buchstäblich zu Wurst. Auch
dass T’Hooft immer wieder solche dezen-

ten ironischen Brechungen einbaut, hält
den Abend über die eigentlich unzumutba-
re Aufführungsdauer von knapp sechs (!)
Stunden lebendig, lässt ihn zum starken
Plädoyer für die Erprobung einer szeni-
schen historischen Aufführungspraxis bei
Stücken dieser Bauart werden.
Dabei stammen die Tänze nicht einmal
vom Komponisten der Oper. Der Praxis
des 18. Jahrhunderts entsprechend, hat sie
der Dirigent und Festwochenintendant
Alessandro De Marchi aus Musiken ande-
rer Komponisten zusammengestückt. Wie
er auch Broschis Partitur retuschiert hat,
Füllstimmen eingefügt hat, um den Klang
des mit historischem Instrumentarium
spielendem Innsbrucker Festwochenor-
chester reicher und lebendiger zu machen.
Riccardo Broschi, hört man darüber, konn-
te alles, was ein Barockkomponist können
musste.
Man hört aber auch, dass der Film bei al-
ler romantischen Verkitschung nicht voll-
ständig irrt: Ein bis heute verkanntes Ge-
nie ist Farinellis Bruder nicht. Seine melo-
dischen Erfindungen schmeicheln dem
Ohr, flüchten sich aber tatsächlich oft
schneller als die besserer Barockkomponis-
ten in die bald hohl werdende Pracht der
Koloratur. Selten finden sie eine interes-
sante Wendung, und nie erreichen sie den
Punkt des unmittelbar Einleuchtenden,
der das Signum wirklich großer Musik ist.
De Marchi könnte vielleicht noch etwas
mehr rausholen, wenn er eine größere Dif-
ferenzierung der Orchesterfarben riskier-
te und sich nicht allzu oft eines schnellen
Standardtempos bediente. Die hinreißend
inszenierte Ausgrabung dieser Oper aber
ist zweifellos ein Desiderat, das hier als per-
fekte Symbiose von Musik und Szene eine
Tiefenfahrt in die Musikgeschichte ermög-
licht. michael stallknecht

von thomas steinfeld

E


s war August, als das italienische Kul-
turministerium bekannt gab, wer
fortan die zwanzig größten italieni-
schen Museen leiten sollte. Es hatte, zum
ersten Mal in der italienischen Geschichte,
eine internationale Ausschreibung gege-
ben. Viele Nicht-Italiener hatten sich be-
worben, etliche wurden zu Vorstellungs-
gesprächen eingeladen, am Ende waren
sieben Ausländer unter den Auserwählten:
drei Deutsche, zwei Österreicher, ein Kana-
dier und ein Franzose.
Im Ausland war man erstaunt, manch-
mal geschmeichelt, in Italien wurde ver-
nehmlich gemurrt, zumal sich die Berufun-
gen mit einer Reform des Museumswe-
sens verband, die zumindest den großen
Häusern eine relative ökonomische Auto-
nomie verlieh: Sie dürfen seitdem mit ei-
nem Budget wirtschaften. Mit den neuen
Kräften, versprach Dario Franceschini, der
damalige Kulturminister, werde man die
Museen aus dem 19. ins 21. Jahrhundert be-
fördern.
Das alles ist einige Zeit her, es geschah
im Jahr 2015. Die Kritiker der Initiative la-
gen am Strand, wie ihre Befürworter auch.
Doch was daraufhin geschah, war ein er-
staunlicher Erfolg: Die Besucherzahlen
stiegen, die Schlangen schrumpften, die Er-
träge wuchsen, und die Museen sahen bes-
ser aus als je zuvor.


Jetzt ist es wieder August, und weil die
Verträge damals für eine Frist von vier Jah-
ren geschlossen wurden, müssen sie nun
verlängert werden (was man in Italien nur
einmal tun kann). Doch es ist, den Erfolgen
zum Trotz, als wäre der große Plan zur In-
ternationalisierung der Museen von einer
inneren Erosion erfasst worden: Peter Auf-
reiter, der Direktor der Galleria Nazionale
in Urbino, wechselt zum Technischen Mu-
seum in Wien. Eike Schmidt, der Direktor
der Uffizien, des berühmtesten aller staatli-
chen italienischen Museen, soll im Novem-
ber die Leitung des Kunsthistorischen Mu-
seums in Wien übernehmen.
Peter Assmann, der Chef des Palazzo Du-
cale in Mantua, wird zu den Tiroler Landes-
museen in Innsbruck gehen. Italien, sagt
er, sei von einem heftigen Nationalismus
ergriffen worden. Dazu gehöre der Hass,
der Carola Rackete, der Kapitänin der „Sea
Watch“, in den Medien entgegenschlage
ebenso wie das wachsende Ressentiment
gegen Ausländer auf Direktorenposten.
„Jahrzehntelang haben die Italiener, auch
mit Blick auf internationale Fördermittel,
bei den Kunst- und Kulturschätzen das ge-
meinsame europäische Erbe beschworen.
Jetzt geht es bei den Altertümern nur noch
um die eigene, nationale Tradition.“
Keinem der Direktoren wird vom italie-
nischen Kulturministerium indessen so
mitgespielt wie Cecilie Hollberg, der Leite-
rin der Galleria dell’Accademia in Florenz,
des Museums, in dem nicht nur Michelan-
gelos David steht, sondern das auch über
die weltweit größte Sammlung von Gemäl-
den aus der frühen italienischen Renais-
sance verfügt. Im Juni erfuhr sie aus den
Zeitungen, dass ihr Museum im Herbst sei-
ne Selbständigkeit verlieren wird, zuguns-
ten eines Verbunds mit den Uffizien.
Und als am Montag die Namen der ers-
ten neun Direktoren veröffentlicht wur-
den, deren Verträge jetzt verlängert wur-
den, war zwar der Name Gabriel Zuchtrie-
gels dabei, des deutschen Direktors der an-
tiken Stätten in Paestum. Cecilie Hollberg
aber wurde nicht genannt, obwohl man ihr
(mit dem Vorbehalt, die Strukturen könn-
ten sich verändern) die Verlängerung noch
im Juni angeboten hatte und sie eigentlich
bei dieser ersten Runde hätte dabeisein


müssen. In der Pressemitteilung vom Mon-
tag heißt es indessen, dass die Posten in Ur-
bino und Mantua auf der Grundlage einer
internationalen Ausschreibung neu be-
setzt werden sollen.
Das Amt eines Museumsdirektors in Ita-
lien ist, jedenfalls, wenn es um ein Muse-
um von nationaler Bedeutung geht, nicht
mit einem formal gleichen Amt in Deutsch-
land zu vergleichen. Gewiss, es geht in bei-
den Fällen um Museen, um Kunstgeschich-
te, um die Erhaltung, Pflege und Öffentlich-
keit von Kulturschätzen, um Klimaanla-
gen, Besucherführung und Sicherheit. An-
ders als in Ländern nördlich der Alpen sind
Kunst und Kultur in Italien indessen hoch-
rangig politische Angelegenheiten.
Deswegen gibt es in der nationalen Re-
gierung einen Kulturminister. Und deswe-
gen verfügt dieser Kulturminister über ei-
nen Generalsekretär und ein Amt mit fast
zwanzigtausend Angestellten, in dem im
Bereich der „beni culturali“, der Kunst-
und Kulturschätze, nahezu alle Aktivitäten
von überregionalem Interesse zusammen-
gefasst und kontrolliert werden.
Auch deswegen bedeutete die Berufung
von Ausländern einen radikalen Wandel:
So, wie man es sich in Deutschland nicht
vorstellen könnte, einen Ausländer zum Di-
rektor einer großen Polizeibehörde zu er-
nennen, so erschien es in Italien als unmög-
lich, einen Ausländer zum Leiter eines gro-
ßen Museums zu machen.

Aus der politischen Bestimmung, die
mit dem Amt eines Museumsdirektors ver-
bunden ist, ergeben sich Folgen für die
praktische Arbeit. Auf der einen Seite ent-
steht eine Nähe zur Parteipolitik, die eine
eigene Form des Lobbyismus für die Muse-
en notwendig werden lässt. Wenn zwei
Kommunalpolitiker aus Florenz das Kul-
turministerium in Rom besuchen, um für
die Selbständigkeit der Accademia zu plä-
dieren, könnte dies eher schaden, wenn es
sich dabei im Politiker des „Partito Demo-
cratico“ („PD“), der sozialdemokratischen
Opposition, handelt, die Politiker der natio-
nalistische „Lega“ oder der radikaldemo-
kratischen „5 Stelle“ besuchen.

Selbstverständlich verträgt sich diese
Abhängigkeit nur schlecht mit der prinzipi-
ell langfristig angelegten Arbeit in einem
Museum. Für die Installation einer neuen
Klimaanlage, sagt Cecilie Hollberg, habe
sie mehr als drei Jahre kämpfen müssen –
die jetzige ist 40 Jahre alt, in einigen Sälen
gibt es gar keine. Jetzt beginnen die Arbei-
ten, während die Zukunft sowohl des Muse-
ums wie seiner Direktorin zu einer höchst
unsicheren Angelegenheit geworden sind.
Indessen war es nie unbekannt, wie italieni-

sche Kulturpolitik funktioniert: Ein neuer
Minister will Zeichen setzen, die „Lega“
wie die „5 Stelle“ sind nationalistischer ge-
sonnen als der „PD“, verfügen aber über
weniger Fachleute für die Kulturarbeit,
weshalb es zu überraschenden Besetzun-
gen kommt – und so geht das fort.
Auf der anderen Seite verlangt die politi-
sche Bestimmung der großen italieni-
schen Museen eine starken Bindung an die
Region und deren Wähler. Von den Anwäl-
ten des „territorio“ wurde die Internationa-
lisierung der großen Museen von vornher-
ein mit starkem Misstrauen begleitet, etwa
in Gestalt des Kunsthistorikers Tomaso
Montanari, der sich in unzähligen Publika-
tionen gegen das Prinzip des „events“ und
gegen den Zentralismus im Kulturbetrieb
wehrt und für eine Erneuerung der Muse-
en aus dem Geist der Kommune plädiert,
wobei seine Vorstellungen manchmal iden-
titäre Züge annehmen.
Alle neuen Direktoren haben auf solche
Ansinnen reagiert, erfolgreich, in Gestalt
von Freundeskreisen oder familienfreund-
lichen Angeboten. Der Vorbehalt, die Regi-
on im Zweifelsfall zu verraten, ist deswe-
gen nicht verschwunden. Tomaso Monta-
nari sitzt seit Juni im wissenschaftlichen
Beirat der Uffizien. Und allen Dementis
zum Trotz wollen die Gerüchte nicht ver-
stummen, die in Montanari den neuen Di-
rektor eines um die Accademia erweiter-
ten Verbunds sehen wollen, in deren Mitte

dann die Uffizien stehen würden. Erfahrun-
gen in der Leitung eines Museums besitzt
Montanari nicht, wiewohl es vor allem die
„5 Stelle“ gern gesehen hätten, wenn er in
der jetzt amtierenden Regierung (die wohl
nicht mehr lange bestehen wird) das Amt
des Kulturministers übernommen hätte.
„Ich habe einen Auftrag erhalten“, sagt
Cecilie Hollberg: „Gerne hätte ich die zum
Greifen nahen Ergebnisse der langwieri-
gen Ausschreibungen und Vorarbeiten
selbst erlebt. Aber ich hinterlasse ein wohl-
geordnetes Haus.“ Ihr Schicksal wird sich
vermutlich erst entscheiden, wenn die Na-
men der Direktoren veröffentlicht werden,
bei denen noch nicht bekannt ist, ob ihre
Verträge verlängert werden (Capodimonte
in Neapel und die Brera in Mailand vor al-
lem) – und wenn bekannt wird, was mit
den Uffizien geschehen wird. Gegenwärtig
erscheint es nicht einmal als völlig ausge-
schlossen, dass Eike Schmidt bleibt.
Wahrscheinlich wird sich auch erst
dann erweisen, wie und warum es zu jener
inneren Erosion in der Leitung der großen
italienischen Museen kam: Aus Nationalis-
mus, aus parteipolitischen Gründen, auf
der Grundlage von identitären Fantasien,
um die Macht der Zentralbehörde zu stär-
ken oder warum auch immer. Vom Stand-
punkt der Museen und ihres Publikums be-
trachtet, ist der Schaden, der durch die
jüngsten Querelen entstanden ist, aller-
dings schon beträchtlich.

Mumeln


für alle


Zum80. Geburtstag des
Satirikers Pit Knorr

Der Hollywood-Schauspieler Woody Harrel-
son („Natural Born Killers“, „True Detecti-
ve“) berichtet in der September-Ausgabe
vonEsquireüber ein Abendessen, das er
2002 mit Donald Trump, seiner Da-noch-
nicht-Gattin Melania und dem Da-noch-
Gouverneur von Minnesota, Jesse Ventura,
im Trump-Tower einnahm. Trump wollte
Ventura überreden, mit ihm 2004 als Präsi-
dentschaftskandidaten der Demokraten an-
zutreten. Harrelson sagt, dieser Abend habe
„sein Hirn gesprengt“. sz

„Jesse, ein guter Freund von mir, rief an:
,Donald Trump will, dass ich mit ihm kan-
didiere. Kommst du mit?’ Ich sagte zu. Es
wurde ein brutales Dinner. Zweieinhalb
Stunden. An einem Tisch mit vier Perso-
nen erwartet man ja, dass jeder etwa 25 Pro-
zent zur Unterhaltung beiträgt. Melania
hatte etwa 0,1 Prozent, höchstens. Ich kam
vielleicht auf 1 Prozent. Jesse, sagen wir,
drei Prozent. Trump bestritt den gesamten
Rest. Es wurde so schlimm, dass ich irgend-
wann einfach verschwinden musste, um ei-
nen durchzuziehen. Dann ging ich zurück
zu diesem Monolog-Monopoly. Sehen Sie,
ich komme in Hollywood so ziemlich rum,
und Sie dürfen mir glauben, dass ich schon
jede Sorte Narzissten erlebt habe. Aber die-
ser Bursche war jenseits von allem. Aber ei-
ne Sache hat er dann doch erzählt, die ich
interessant fand. Er prahlte damit, wie viel
Geld er habe: ,Vier Milliarden Dollar, viel-
leicht auch fünf – eine von diesen Zahlen,
ich hab’s vergessen. Aber egal. Es sind viele
Milliarden. Doch wenn ich einmal sterbe,
ganz egal, wie viel es dann ist, weiß ich hun-
dertprozentig, dass meine Kinder erbittert
darum streiten werden.’ Das war das einzig
wahre Statement an diesem Abend.“

Kunst und Kultur sind in Italien


Angelegenheiten von


höchster politischer Bedeutung


Die Bewegungen
der Sänger sind dem
Tanz verwandt

Die Leiterin der Accademia
in Florenz kämpfte drei Jahre
lang für eine Klimaanlage

Der Satiriker Peter –
„Pit“ – Knorr wurde
am 11. August 1939
in Salzburg geboren.
Er ist Mitbegründer
der Zeitschrift „Tita-
nic“ und arbeitete
lange mit Otto Waal-
kes zusammen.
FOTO: IMAGO/HUBERT JELINEK

Die hohle Pracht der Koloratur


Ein Coup: Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik zeigen die Oper „Merope“ von Riccardo Broschi, dem Bruder von Farinelli


Innere Erosion


Deutsche Direktoren haben die Besucherzahlen italienischer Museen wachsen lassen.


Nun kehren sie Florenz oder Urbino den Rücken. Als Folge des italienischen Nationalismus?


12 HF2 (^) FEUILLETON Freitag,9. August 2019, Nr. 183 DEFGH
GEHÖRT, GELESEN,
ZITIERT
Monolog-Monopoly
Spiel- vor Standbein: Mit ironischen Brechungen hält die Regisseurin Sigrid
T’Hooft ihre Inszenierung sechs Stunden lang lebendig. FOTO: FESTWOCHEN/RUPERT LARL
Als einige Direktoren aus Deutschland vor vier Jahren die Leitung italienischer Kulturstätten übernahmen, war das ein Epochenbruch. Die antiken Stätten in Paes-
tum führtseitdem Gabriel Zuchtriegel – und darf es auch weiterhin. Am Montag wurde bekannt, dass sein Vertrag verlängert wird. FOTO: PARCO ARCHEOLOGICO DI PAESTUM

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