Süddeutsche Zeitung - 09.08.2019

(Frankie) #1
Ein Picknick mitten auf dem Rathausplatz,
so feiert Augsburg seit Jahren sein Frie-
densfest: Hunderte Augsburger kommen
vor dem Rathaus zusammen, setzen sich
an weiß gedeckte Tischreihen und genie-
ßen das mitgebrachte Essen. Seit 1650
wird das Augsburger Friedensfest jedes
Jahr am 8. August gefeiert. Die Protestan-
ten bekamen nach dem Ende des Dreißig-
jährigen Krieges die Religionsfreiheit zu-
rück. Zum 300. Jubiläum des Festes im
Jahr 1950 wurde der 8. August ein gesetzli-
cher Feiertag. Er gilt nur für das Stadtge-
biet Augsburg, was der Stadt bundesweit
die meisten Feiertage beschert. 2005 rief
die Stadt Augsburg die sogenannte Frie-
denstafel ins Leben, an der die Augsburger
essen und „miteinander ins Gespräch kom-
men“ sollen, wie Oberbürgermeister Kurt
Gribl (CSU) sagt. Ins Gespräch kommen
wollten auch der Augsburger Flüchtlings-
rat und die Organisation „Seebrücke Augs-
burg“, die das Friedensfest nutzten, um
auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen:
Augsburg solle sich für die Seenotrettung
einsetzen. Die Stadt lehnt dies als Symbol-
politik ab, die Forderungen lägen außer-
halb kommunaler Zuständigkeit. ffu

Augsburg picknickt


für den Frieden


von kassian stroh

München– Olaf Zimmermann hat ein
Platzproblem. All die Pappen, das Plastik,
das Styropor – wo soll das hin? Sein Hei-
zungs- und Sanitärbetrieb sitzt mitten in
München, im dicht bebauten Stadtteil Le-
hel, der Hinterhof ist eng, aber Müll fällt
viel an bei Zimmermann. Immerhin, ein
Kollege hat einen Lagerplatz angemietet,
der hilft ihm gelegentlich aus, wie Zimmer-
mann sagt. Manchmal muss er das Zeug in
einem Container ein Vierteljahr lang zwi-
schenlagern, bis es abgeholt wird. Seine
Monteure schickt er deshalb von der Bau-
stelle am liebsten direkt zur Entsorgungs-
firma, in kleinen Mengen wird der Müll
dort „leichter angenommen als ein Contai-
ner“, hat er festgestellt. Denn auch die Ent-
sorger haben das Problem: Sie werden den
Abfall nicht los. Bayern hat ein Müllpro-
blem, gerade in diesen Wochen.
Und das trifft vor allem die kleinen Ge-
werbebetriebe. Landauf, landab schimp-
fen Handwerker, vor allem Dachdecker
und Spengler. „Die haben den ganzen La-
gerplatz voller Styropor, das sie nicht losbe-
kommen“, sagt Zimmermann. Auch als
Obermeister der Innung Spengler, Sani-
tär- und Heizungstechnik bekommt er den
Ärger der Kollegen mit. Und wenn sie den
Abfall loswerden, dann nur für viel Geld.
„Die Preise explodieren massiv“, sagt Zim-
mermann.
Oder drastischer formuliert: „Der
Markt steht kurz vor dem Kollaps.“ Dieses
Zitat hat Euwid, der wichtigste Informati-
onsdienst der deutschen Entsorgungsbran-
che, seinem jüngsten Marktbericht voran-
gestellt. Er klingt alarmierend, insbesonde-
re für Süddeutschland. In manchen Regio-
nen sei die Lage „mitunter dramatisch“ –
und zwar bei allem Müll, der nicht recycelt,
sondern verbrannt wird, ob er nun aus
Haushalten kommt oder aus Gewerbebe-
trieben. Deutschlands Müllverbrennungs-
anlagen sind alle randvoll. Und Pascal Hu-
go, der Autor des Marktberichts, sagt: „In
Bayern ist es besonders eng.“

Der Müllmarkt ist ein komplizierter, ent-
sprechend vielfältig sind die Ursachen. Da
ist zum einen das Bevölkerungswachstum
und die (noch) gut laufende Wirtschaft: Die
Bayern konsumieren mehr, die Handwer-
ker haben gut zu tun – so fällt viel Müll an.
Noch liegen keine genauen Zahlen vor,
aber das Landesamt für Umwelt (LfU)
kann bereits sagen, dass das Restabfallauf-
kommen im vergangenen Jahr erneut
leicht gestiegen ist.
14 Müllverbrennungsanlagen gibt es im
Freistaat. Sie alle werden von Kommunen
betrieben. Und Vorrang hat nach dem Ge-
setz stets die Entsorgung des Hausmülls,

dafür sind schließlich die Kommunen zu-
ständig. Diese Aufgabe „wird zuverlässig
erledigt, ein Entsorgungsengpass ist hier
nicht gegeben“, beteuert eine LfU-Spreche-
rin. Gewerbebetriebe hingegen müssen
sich selbst um ihren Abfall kümmern, mit-
hilfe privater Entsorgungsfirmen. Wer von
denen längerfristige Verträge mit einer Ver-
brennungsanlage geschlossen hat, hat we-
niger Probleme als diejenigen, die kurzfris-
tig auf freie Kapazitäten in den Öfen speku-
lieren. Seit Ende Mai nimmt zum Beispiel
die Müllverbrennungsanlage Schwandorf
Gewerbeabfall nur noch von Firmen an,
mit denen sie einen Vertrag hat. Eine Fol-
ge: Die Entsorger zahlen laut Euwid in Bay-
ern inzwischen bis zu 180 Euro je Tonne
Restmüll, doppelt so viel wie noch vor zwei
Jahren. Bei diesen Preisen rechnet es sich
für sie sogar, den Müll bis nach Skandinavi-
en zu transportieren, damit er dort ver-
brannt wird. Dort müssen sie nur etwa ein
Drittel zahlen.
Abfall ist ein internationales Geschäft,
er wandert immer dorthin, wo es am billigs-
ten ist. Und dahinter verbirgt sich eine wei-
tere Ursache der bayerischen Krise: Viele
Entsorger haben lange darauf gesetzt, ihn
in Asien loswerden zu können. Doch vor
zwei Jahren hat China damit begonnen, die
Grenzen dicht zu machen, andere Länder
folgen. Kann aber weniger exportiert wer-

den, bleibt mehr im Land. Ein Dominoef-
fekt. Inzwischen häuften sich die Anfragen
privater Entsorger, berichtet Günther Lan-
ger vom Abfallwirtschaftsbetrieb Mün-
chen, der am Nordrand der Landeshaupt-
stadt die größte Müllverbrennungsanlage
Bayerns betreibt. Gut 706 000 Tonnen
Müll wurden dort im vergangenen Jahr ver-
brannt, mehr als ein Fünftel des Gesamt-
aufkommens in Bayern. Der Gewerbemüll
machte davon beinahe ein Siebtel aus.

Die Betreiber der Müllverbrennungsan-
lagen sind nicht immer gut auf Industrie
und Gewerbe zu sprechen: Er könne es
nicht belegen, aber vielleicht sei es mit
dem Recycling von Gewerbeabfällen doch
nicht so weit her, „wie es die Industrie glau-
ben machen will“, sagt Langer. Stimmt
nicht, entgegnen andere – was getrennt
werden könne, werde längst getrennt. „Die
private Entsorgungswirtschaft hat sich ver-
kalkuliert“, sagt wiederum Gerhard Meier
mit Blick auf die Exportprobleme. Ende Fe-
bruar ist er als Chef der Müllverbrennungs-
anlage Ingolstadt in Rente gegangen, sitzt
aber weiter der Interessenvertretung der

„Thermischen Abfallbehandlungsanla-
gen“ auf Landes- und Bundesebene vor.
Bei denen sind Gewerbeabfälle auch des-
wegen nicht so sonderlich beliebt, weil sie
zunehmend aus Kunststoffen bestehen.
Die brennen einfach zu gut. Denn die Öfen
sind auf einen bestimmten Heizwert ausge-
legt, der sich an normalem Hausmüll orien-
tiert. Bei Kunststoffen liegt er oft um ein
Mehrfaches höher – dann aber kann insge-
samt weniger Müll in den Ofen geworfen
werden, damit der nicht zu heiß wird. Mit-
hin wird weniger verbrannt und auch ver-
dient. „Die Müllverbrenner wollen viel
Durchsatz, die verdienen ihr Geld an der
Waage“, sagt Marktexperte Hugo, weniger
mit dem Strom oder der Fernwärme, die
die Heizkraftwerke produzieren. Manche
Anlage senkt den Heizwert wieder, indem
sie dem Müll Klärschlamm beifügt. Aber
damit verringert sich die Kapazität für nor-
male Abfälle weiter.
Viele Ursachen, aber immer ein Ergeb-
nis: Es gibt zu viel Müll, der verbrannt wer-
den soll, für zu wenige Anlagen, die das
können. Zumindest im Moment.
Denn was die Zukunft bringt, ist unge-
wiss: Sollte sich die Konjunktur abkühlen,
könnte das die Lage wieder entspannen.
„Keiner weiß, wie die Situation in zwei,
drei Jahren ist“, sagt Maier. „Jeder stochert
derzeit mit der Stange im Nebel.“ Das aber

erschwert auch Investitionen in die Anla-
gen. „Ich kann einen Kommunalpolitiker
gut verstehen, der sagt: Warum soll ich ei-
nen Euro investieren in eine Anlage, die Ab-
fälle beseitigt, für die ich nicht zuständig
bin, und wo ich nicht weiß, ob sich das rech-
net“, sagt Maier. Von Neubauten ganz zu
schweigen: Einen solchen Plan zu verfol-
gen, vor betroffenen Anwohnern zu vertre-
ten und in einem jahrelangen Genehmi-
gungsverfahren durchzuhalten – das, sagt
Maier, „kann man nur machen, wenn man
nicht mehr gewählt werden will“. Dabei
sind die bayerischen Müllverbrennungsan-
lagen generell ziemlich in die Jahre gekom-
men, mithin auch störanfällig, was wieder-
um längere Ausfall- und Revisionszeiten
zur Folge hat.
Und das führt nun zum speziellen Müll-
Sommerloch, das in Bayern derzeit zu be-
obachten ist. Alle zwölf bis 15 Monate muss
ein Ofen für einige Wochen zur Revision ab-
geschaltet werden. Die Betreiber machen
das mit Vorliebe im Sommer. Denn da
braucht niemand die produzierte Fernwär-
me. Zwar stimmen sich die Anlagen unter-
einander ab, sie helfen sich gegenseitig aus
und nehmen sich im Rahmen eines bayern-
weiten „Ausfallverbunds“ den Hausmüll
ab. Aber generell sind im Sommer die Ver-
brennungskapazitäten geringer – sie feh-
len für den Gewerbeabfall.
Gleichzeitig können die Anlagen, die lau-
fen, weniger Abfall verbrennen. Denn des-
sen Heizwert ist auch wetterbedingt höher.
Das organische Material, das in den Rest-
mülltonnen landet, ist trockener; wird
Müll auf einem Umschlagplatz zwischenge-
lagert, verdunstet in der Sonne Wasser,
was ebenfalls den Heizwert steigen lässt.
Ein Problem in jedem Sommer. Besonders
schlimm waren diese Effekte im extrem
heißen Sommer 2018. Damals mussten die
Müllverbrennungsanlagen laut Euwid viel
Müll zwischenlagern und hegten die Hoff-
nung, die Halden in einem langen, harten
Winter abtragen zu können, wenn zum Bei-
spiel weniger gebaut und produziert wird.
Der aber blieb aus, die Bunker der Verbren-
nungsanlagen blieben voll, die Zwischenla-
ger auch. Bis jetzt – das macht die Lage im
Sommer 2019 doppelt schwierig.
Zumal da im Würzburger Müllheizkraft-
werk gerade eine der drei Ofenlinien für
längere Zeit ausfällt: Seit Anfang Juni wird
sie komplett erneuert. Damit aber fehlt in
Bayern eine Jahreskapazität von etwa
60 000 Tonnen – was die anderen Anlagen
zusätzlich auffangen müssen. Bis Ende
2020 soll das noch dauern. Und womöglich
wird im Anschluss dann noch ein weiterer
Würzburger Ofen erneuert.
„Alle Anlagen, nicht nur in Bayern, arbei-
ten auf Volllast“, sagt ihr Sprecher Maier.
„Aktuell ist alles auf Kante genäht“, sagt
auch der Euwid-Marktexperte Hugo.
„Wenn jetzt eine Anlage längere Zeit aus-
fällt, würde man das bundesweit spüren,
weil sich das wellenartig in der ganzen Re-
publik ausbreitet.“

München– DerTierschutzskandal im All-
gäu weitet sich erneut aus. Am Mittwoch
kontrollierten Amtstierärzte des Landrats-
amts Unterallgäu und Spezialisten des Lan-
desamts für Gesundheit und Lebensmittel-
sicherheit (LGL) einen weiteren großen
Milchviehbetrieb in Bad Grönenbach. Vor-
angegangen war ein anonymer Hinweis,
dass auf diesem Hof gegen Tierschutz-Vor-
gaben verstoßen werde. Inzwischen hat
sich die Staatsanwaltschaft Memmingen
eingeschaltet und Vorermittlungen aufge-
nommen. Damit sind drei große Milchvieh-
betriebe in dem 5700-Einwohner-Ort we-
gen mutmaßlicher Verstöße gegen den
Tierschutz im Visier der Behörden.
Ausgangspunkt des Skandals ist der
Milchviehbetrieb der Familie E.. Mit gut
2880 Kühen, die auf mehrere Betriebsstel-

len in Bayern und Baden Württemberg ver-
teilt sind, ist dieser Hof der größte seiner
Art im Freistaat. Die Organisation Soko
Tierschutz hatte im Juni in den Bad Grö-
nenbacher Ställen der Familie E. massive
Verstöße gegen die Tierschutz-Vorgaben
aufgedeckt. Auf den Aufnahmen ist bei-
spielsweise zu sehen, wie eine Kuh an einer
Baggerschaufel mit dem Kopf nach unten
über ein Gitter gezogen wird und ihr Kopf
auf dem Boden aufschlägt.
In der Folge dieses Skandals sind bisher
zwei weitere Milchviehbetriebe in Bad Grö-
nenbach angezeigt worden – ebenfalls we-
gen Verstößen gegen den Tierschutz. Nach
Informationen der SZ hält der eine Betrieb
1200 Milchkühe, in dem anderen leben zwi-
schen 400 und 500 Tiere. Der größere der
beiden Höfe habe sich viele Jahre ein „regel-

rechtes Wettrennen“ mit dem Großbetrieb
der Familie E. geliefert, wer mehr Kühe im
Stall habe, sagen Insider. Letztlich habe
der Landwirt das Rennen aufgeben müs-
sen, weil er an bauliche Grenzen gestoßen
sei. Die Vorwürfe gegen den 1200-Kuh-Be-
trieb sollen aber weniger massiv sein als
die gegen die Familie E. Allerdings soll es
auch um Verstöße gegen Hygiene-Vor-
schriften gehen. Der Betrieb hatte vor ei-
nem guten halben Jahr für Aufsehen ge-
sorgt, als sein Kälberstall abbrannte und
zehn Tiere starben.
Der dritte Hof war SZ-Informationen zu-
folge bereits 2017 und 2018 im Visier der
Unterallgäuer Veterinäre – einmal wegen
einer schwer verletzten Kuh, die letztlich
notgetötet werden musste, das andere Mal
wegen der Schlachtung eines Schafs, bei

der gegen Tierschutzvorgaben verstoßen
wurde. Wie der Betrieb der Familie E. soll
auch dieser Hof über mehrere Betriebsstät-
ten verfügen. Die Staatsanwaltschaft und
das Landratsamt Unterallgäu äußerten
sich bisher nicht zu den beiden Betrieben.
Auch zur Art der Vorwürfe und den Kontrol-
len machten sie keine Angaben. Letztere
müssten erst ausgewertet werden, hieß es.
Unterdessen hat die Soko Tierschutz
tierquälerische Praktiken auf Transporten
von Puten aus Ungarn in einen Schlachthof
im oberbayerischen Ampfing dokumen-
tiert. Die Bilder zeigen, wie Mitarbeiter des
ungarischen Mastbetriebs die Tiere schla-
gen, treten und in die Transportboxen des
Lkws hineinstopfen. Anschließend wur-
den die Tiere nach Ampfing gefahren, wo
die Süddeutsche Truthahn AG einen der

größten Geflügelschlachthöfe Deutsch-
lands unterhält. Dort werden täglich bis zu
20 000 Puten geschlachtet. Das Unterneh-
men teilte mit, der Mastbetrieb in Ungarn
werde bis zur Klärung der Vorwürfe keine
Puten mehr nach Ampfing liefern. Bisher
hätten sich jedoch aus den Transport- und
Veterinärprotokollen keine Hinweise auf
Tierschutzvergehen ergeben. Das Umwelt-
ministerium, das für den Tierschutz zu-
ständig ist, will die Vorwürfe aufklären.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Rosi
Steinberger beklagte, dass die Veterinärbe-
hörden es erneut nicht geschafft hätten,
die Missstände aus eigener Kraft aufzude-
cken. Sie und der SPD-Mann Florian von
Brunn forderten scharfe Kontrollen von
Tiertransporten und massive Sanktionen
bei Verstößen. christian sebald

Kunststoff brennt besonders gut,
das istein Problem.
Der Heizwert ist zu hoch

Abfall ist ein internationales
Geschäft, doch asiatische Länder
machen die Grenzen dicht

Weitere Kontrollen in Bad Grönenbach


Bereitsdrei große Milchviehbetriebe wegen Verstößen gegen den Tierschutz im Visier der Behörden. Vorwürfe auch gegen Putenmäster


Deggendorf– Eine Welle von Hasskom-
mentaren auf der Facebook-Seite der AfD
Deggendorf und des Landesverbands En-
de 2017 hat massive juristische Folgen. Im
Zuge der Ermittlungen wegen Volksverhet-
zung hat die Staatsanwaltschaft Deggen-
dorf inzwischen 97 rechtskräftige Strafbe-
fehle erlassen. Einen BR-Bericht dazu be-
stätigte der leitende Oberstaatsanwalt Ru-
dolf Helmhagen der SZ. Gut 200 afrikani-
sche Migranten hatten damals in Deggen-
dorf demonstriert, um die Bedingungen in
der örtlichen Großunterkunft anzupran-
gern. Die AfD hatte die Proteste gefilmt
und live im Netz übertragen, dabei kam es
in den Kommentaren zur Eskalation von
Beleidigungen, Rassismus und Gewaltauf-
rufen – bis hin zu Forderungen, die Migran-
ten zu vergasen. Insgesamt wurden in der
Folge 257 Verfahren wegen Volksverhet-
zung eingeleitet, 56 davon wurden einge-
stellt, da die Verfasser nicht zu ermitteln
waren. In 188 Fällen erging Antrag auf
Strafbefehl am Amtsgericht, in drei Fällen
wurde Anklage erhoben – auch, weil diese
drei Verdächtigen in der rechtsextremen
Szene bereits strafrechtlich aufgefallen sei-
en. Außer den 97 rechtskräftigen Strafbe-
fehlen dauern also 91 Verfahren noch an.
Bei den 97 Verurteilungen sind in 38 Fäl-
len die Strafen schon bezahlt worden, über-
wiegend mit einer Mindeststrafe von 90 Ta-
gessätzen (orientiert am Einkommen); bei
aktenkundigen Urhebern gab es teils mehr
Tagessätze. Die Verfasser stammen aus
ganz Deutschland. Weil sich die Volksver-
hetzung gegen die Demonstranten richte-
te, definierte man Deggendorf „als Tatort“
und konnte so die Ermittlungen effektiv in
der Region behalten. Die Kripo Straubing
führte Regie, hierzu wurden bundesweit
Polizeidienststellen mit Vernehmungen be-
auftragt. Durch die „Fleißarbeit“, so Helm-
hagen, habe man die meisten Verfasser er-
mittelt. Die AfD-Vertreter, die für die Tira-
den eine Plattform boten, bleiben unbehel-
ligt. Die Deggendorfer AfD-Chefin Katrin
Ebner-Steiner, auch Fraktionschefin im
Landtag, hatte gesagt, es sei innerhalb kür-
zester Zeit eine enorme Zahl an inakzeptab-
len Kommentaren eingegangen, die man
schnellstmöglich gelöscht habe. Sie distan-
ziere sich klar von strafbaren Äußerungen,
eine Reaktion des Rechtsstaats sei „durch-
aus willkommen“. „Völlig abwegig“ sei die
These, die AfD habe die Lage angestachelt
oder gar Kommentare organisiert. ojo


Bayern in der Müll-Krise


Die 14 Verbrennungsanlagen im Freistaat sind voll, Firmen und Handwerker
bekommen ihren Abfall kaum noch los. Und die Preise steigen

von andreas glas

N


eben der Gemüsepfanne „Valen-
cia“, Bio-Paprikareis und Ravioli
mit Hanf hatte die Regensburger
Uni-Mensa in dieser Woche auch Fleisch-
pflanzerl auf dem Speiseplan. Halb Rind,
halb Schwein, aber das nur als Randinfor-
mation für die zuletzt so besorgten
Schweinefleischtraditionalisten. Denn in
Regensburg geht es gerade gar nicht um
Schweinefleisch, sondern um Werkzeug,
das man braucht, um Fleischpflanzerl zu
portionieren und Hanf-Raviolo oder Bio-
Reis unfallfrei in den Mund zu balancie-
ren. Es geht um Messer, Gabel und Löffel,
Sammelbegriff: Besteck.
Während sich die Schweinefleischtra-
ditionalisten vor Schnitzelverboten fürch-
ten, sind die Bestecktraditionalisten se-
lig, seit das EU-Parlament ein Verbot für
Messer, Gabel und Löffel aus Plastik be-
schlossen hat. Das Verbot gilt erst im Jahr
2021, doch viele Eisdielen und Imbissbu-
den haben bereits umgestellt auf mehr
oder weniger umweltfreundliche Alterna-
tiven: Holzlöffel, Bioplastik-Gabeln oder
Maisstärke-Messer. Was das mit der Uni
Regensburg zu tun hat? Nun ja. Dort be-
wegt sich die Mensa ziemlich gegen den
Trend – und setzt neuerdings, kein Witz:
auf Plastikbesteck.
Was ist da los? Dieser Frage ist dieMit-
telbayerische Zeitung(MZ) nachgegan-
gen. Ergebnis: Dass Mensa und Uni-Cafe-
terias immer weniger Edelstahl- und im-
mer mehr Plastikbesteck auslegen, hat
nichts mit dem Einfluss der Plastikgabel-
Lobby zu tun – sondern mit der Schamlo-
sigkeit der Studierenden, die angeblich
pausenlos Esswerkzeug mitgehen las-
sen. Eine Cafeteria-Mitarbeiterin schätzt
den Verlust in der MZ „auf 50 Bestecke
pro Cafeteria“. Pro Tag! Das wären bei
sechs Cafeterias mehr als 7000 Bestecke
jährlich. Und Mensa und Semesterferien
sind da gar nicht einberechnet. Das Plas-
tikbesteck soll nun ans Klimagewissen
der Studierenden appellieren – und sie
dazu bewegen, geklautes Besteck zurück-
zubringen. Erst dann werde man wieder
ohne Plastik auskommen, droht der Lei-
ter der Hochschulgastronomie an der Uni
Regensburg. Er sagt: „Die Studierenden
haben es selbst in der Hand.“
Und die Zeit drängt. Nächste Woche
steht Krustenbraten auf dem Speiseplan.
Dünnes Plastik, dicke Kruste. Ob das gut
geht? Sind echt harte Zeiten für Schweine-
fleischtraditionalisten.


Dauereinsatz in den Müllverbrennungsanlagen: Die 14 kommunalen Betriebe in Bayern sind komplett ausgelastet. Der
Hausmüll hat Vorrang, Unternehmen müssen auf freie Kapazitäten warten. FOTO: FLORIAN PELJAK

Strafbefehle wegen


Volksverhetzung


MITTEN IN REGENSBURG

Mit Plastiklöffeln


gegen den Trend


FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA


DEFGH Nr. 183, Freitag, 9. August 2019 – R11


BAYERN
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