Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1
Kleine Bilder (v. o.): Jonathan Zizzo;
Noma Bar für DZ

We n n F le i s c h


zu billig ist


Welche Folgen eine


höhere Steuer für


Steak und Schnitzel


hätte
Wirtschaft, Seite 21


  1. AuguSt 2019 No 34


Murakami in


Bayreuth


Der japanische


Erfolgsautor über sein


Wagner-Erlebnis


bei den Festspielen
Feuilleton, Seite 33

Franziska giffey


könnte Chefin werden,


wäre da nicht ihre


Doktorarbeit. und was


will Kevin


Kühnert werden?
Wissen, Seite 27
Politik, Seite 4

Zitterwoche der


SPD


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DIE ZEIT


Mit Liebe


In Berlin ist eine 22-jährige Frau,
die sich als Polizistin ausgab, fest-
genommen worden. Ihre Pistole
war eine Attrappe. Die Frau sagte,
uniform, Polizeimarke und
Schlagstock habe sie von Kollegen
erhalten. Zwei Jahre lang habe sie
bei Einsätzen mitgewirkt. »Ich
habe das wirklich mit Liebe ge-
macht.« Bevor sich jetzt alle aufre-
gen, muss man fragen: Kann Berlin
auf Polizisten, die gratis und mit
Liebe arbeiten, verzichten? GRN.

PROMINENT IGNORIERT

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V


ielleicht haben einige Politiker im
Sommerurlaub tatsächlich goethe
gelesen. Von ihm stammt der schö-
ne Satz: »Es ist nicht genug, zu
wollen, man muss auch tun.« In
Sachen Klimakrise jedenfalls schei-
nen die führenden Politiker des Landes nun
offenbar wirklich in den Modus des Handelns zu
wechseln, und so häuften sich zuletzt die Vor-
schläge für ganz konkretes Machen.
Eine Auswahl: Die SPD-umweltministerin
will Plastiktüten verbieten, der CSu-Entwick-
lungsminister den Export von Plastikmüll. Der
Deutsche tierschutzbund fordert (mitten in der
grillsaison!) eine Fleischsteuer, unterstützt von
Politikern der grünen, der SPD und der union.
Die CDu-Chefin regt eine Abwrackprämie für
Ölheizungen an, der CSu-Chef einen früheren
Ausstieg aus der Kohle, billigere Bahntickets und
die Verankerung des Klimaschutzes im grund-
gesetz. Fliegen steht selbstredend auch auf dem
Index, diskutiert wird von einem innerdeutschen
Flugverbot (grüne) bis zur Verstaatlichung von
Fluggesellschaften (Linke) so ziemlich alles. und
dann gibt es natürlich noch die CO₂-Bepreisung,
eine jahrzehntealte, ziemlich einleuchtende Idee,
die wohl noch nie so kurz vor der umsetzung
stand wie heute.

Es müsse Schluss sein mit »Pillepalle«,
sagte die Kanzlerin in der Fraktion

Alle diese Vorschläge beruhen auf derselben Ein-
sicht: unser auf fossilen Rohstoffen basierendes
Leben muss endlich den Preis bekommen, den es
tatsächlich hat, einschließlich der Schäden für
Menschen, tiere und Klima – und es kann so nicht
weitergehen, wenn Überhitzung und Vermüllung
des Planeten irgendwie begrenzt werden sollen. Die
Fülle an Vorstößen zeigt zunächst einmal: Bewe-
gung. Die Erkenntnis, tatsächlich tun zu müssen,
scheint im Zentrum der Politik angekommen zu
sein. Das ist eine gute Nachricht. Selbst die Kanz-
lerin befand, getrieben vom Höhenflug der grünen
und den medienwirksam streikenden Jugendlichen
der »Fridays for Future«-Bewegung, dass die größe
der Herausforderung nach großen Lösungen ver-
lange. In einer Fraktionssitzung Anfang Juni sagte
Angela Merkel, die Kanzlerin der kleinen Schritte,
dass nun Schluss sein müsse mit »Pillepalle«.
Aber sind die jetzt diskutierten Maßnahmen
wirklich mehr als das?

Beispiel Plastik: Ein Verbot von Kunststofftüten
ist gut, tut aber auch nicht weiter weh, da ihre
Nutzung ohnehin abnimmt, seit sie in den meis-
ten Läden etwas kosten. Sinnvoller (und
schmerzhafter) wäre eine umfassende Strategie
etwa gegen Mikroplastik, das sich mittlerweile
schon in Fischen findet und möglicherweise
auch dem Menschen schadet. Eine Hauptquelle
der Partikel ist Reifenabrieb, sprich: das Auto.
Beispiel Fleisch: Es klingt schön, durch eine
Mehrwertsteuererhöhung auf Fleischprodukte
das Leben von Nutztieren verbessern zu wollen.
Allerdings sind diese Steuereinnahmen nicht
zweckgebunden und kämen somit wohl kaum
den tieren zugute. Zielgerichteter wären geset-
ze, die die Massentierhaltung einschränkten –
gerade für umwelt- und Klimaschutz: Die
Fleischproduktion trägt massiv zu Waldrodun-
gen, Wasserverseuchung und zum treibhausef-
fekt bei. Wie ein umsteuern aussehen könnte,
zeigen die Niederlande: Da zahlt der Staat
Abwrackprämien für tierställe.
Beispiel Fliegen: Natürlich muss niemand von
Frankfurt nach Berlin ein Flugzeug nehmen,
wenn die gleiche Reise mit der Bahn nur wenig
länger dauert. In der Flugscham-Debatte geht
jedoch leicht unter, dass die Züge schon heute oft
überfüllt sind. und dass innerdeutsche Flüge laut
umweltbundesamt weniger als ein Viertelpro-
zent der deutschen treibhausgas-Emissionen ver-
ursachen. Auch das sollte man einsparen – das
gesamtbild aber änderte sich dadurch kaum.
Zwischenbilanz der klimapolitischen Debatte
dieses Sommers? Lauter erste Schritte, aber im-
mer noch nicht mehr. Eher Pillepalle als großer
Wurf. Den soll – jetzt aber wirklich! – das Klima-
kabinett bringen, das am 20. September »Eck-
punkte für ein Maßnahmenpaket« zum Klima-
schutz verabschieden will. Über die Form einer
CO₂-Bepreisung wird noch gestritten, kommen
aber soll sie, endlich.
Dass für den Ausstoß von CO₂ bezahlt wer-
den sollte, weiß auch Angela Merkel schon lange.
Einst erwirkte sie einen CDu-Beschluss zuguns-
ten einer europäischen CO₂-Steuer. Merkel war
damals umweltministerin. Man schrieb das Jahr


  1. Knapp ein Vierteljahrhundert ist unge-
    nutzt verstrichen. Nun hat Merkel fast keine Zeit
    mehr. In diesem Herbst entscheidet sich, ob sie
    die Wende zur Klimakanzlerin noch schafft.


Jetzt die Taten!


Führende Politiker erkennen die Dringlichkeit des Themas.


Was daraus folgt, ist leider Stückwerk VON MERLIND THEILE


http://www.zeit.de/audio

KLIMASCHUTZ


  1. JAHRgANg C 7451 C


N


o


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S


pricht der Mann im Auftrag seines
Herrn, oder ist sein Vorstoß nur Aus-
druck der ihm eigenen Herrlichkeit?
Für das deutsch-amerikanische Ver-
hältnis mag es einen unterschied
machen, ob der uS-Botschafter im
Namen seines Präsidenten agiert oder aus Ver-
kennung seiner Rolle heraus. In der Sache selbst
ist es egal. Denn die Ankündigung von Richard
grenell, Donald trumps Mann in Berlin, die uSA
würden ihre truppen aus Deutschland abziehen
und nach Polen verlegen, kämen die Deutschen
nicht endlich ihren militärischen Verpflichtungen
nach, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als
leere Drohung. Weil unter der Strafe, die Deutsch-
land treffen soll, niemand so sehr leiden würde
wie die uSA selbst.

Beim Schutz für Handelsschiffe könnten
die Deutschen problemlos dabei sein

Rund 50.000 uS-Soldaten sind in Deutschland
stationiert. Der wichtigste Militärflughafen der
Amerikaner in Europa liegt in Ramstein, das
weltweit größte Militärhospital außerhalb der
uSA im nahe gelegenen Lahnstein. Von Stutt-
gart aus koordinieren die Amerikaner ihre Ein-
sätze in Europa und Afrika. Ihr größtes Muni-
tions de pot außerhalb der Vereinigten Staaten
haben sie in Miesau angelegt – und ihre Atom-
waffen in der Vulkaneifel gebunkert. Eine Verle-
gung der uS-truppen nach Polen wäre ein
gigantischer logistischer Aufwand und würde
Milliarden kosten. Aber geld ist nicht das wich-
tigste gegenargument.
Auch die Nato-Russland-Akte von 1997
unter sagt eine dauerhafte Stationierung von
Nato-truppen in Ostmitteleuropa. Doch wo-
möglich interessiert trump das ebenfalls nicht.
Das europäische Strategiezentrum vom siche-
ren Süddeutschland nah an die grenze zu einem
immer aggressiveren Russland zu verlagern –
diese Vorstellung dürfte bei uS-Militärs zu hefti-
gem Widerstand führen. Welcher Soldat macht
sich gern angreifbar?
und doch trifft grenells Schein-Drohung
einen Punkt: Denn es stimmt, dass die Deut-
schen nicht einhalten, was sie zugesagt haben.
Nicht beim geld. und nicht beim Versprechen,
mehr Verantwortung zu übernehmen.
gleich bei zwei Nato-gipfeln, 2002 und
2014, verpflichteten sich zwei Bundesregierun-

gen, eine rot-grüne und eine große Koalition, die
Militärausgaben bis 2024 »auf den Richtwert
von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) zuzubewegen«, wie es offiziell heißt. Lange
Zeit bewegten sich die Ausgaben aber nicht
darauf zu, sondern davon weg. Schiffe, die nicht
schwimmen, und Kampfjets, die nicht fliegen,
prägen seitdem das Bild der Bundeswehr.
Der Verteidigungsetat steigt seit 2014 zwar
wieder, dieses Jahr erreicht er 1,35 Prozent des
BIP. Die Finanzplanung der Regierung sieht aber
sinkende Prozentanteile in den kommenden Jah-
ren vor. Das ist der Hintergrund der »Schnauze
voll, wir ziehen ab«-tirade grenells. Den trend
umzukehren ist auch die zentrale Herausforde-
rung für die neue Verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer.
Bei der finanziellen Ausstattung der Bundes-
wehr geht es um eine grundsatzfrage, über die in
Deutschland erstaunlich wenig geredet wird:
Welche Armee wollen wir eigentlich haben?
Eine, die was kann – nicht um trump zu gefal-
len, sondern weil es deutschen Interessen ent-
spricht? Oder eine, über die man sich in der
heute-show lustig macht? Von den sechs u-Boo-
ten der Bundeswehr kann gerade keines tauchen.
Aber ist es wirklich immer nur der Material-
mangel, wenn die Bundeswehr nicht zum Ein-
satz kommt? Beim geleitschutz für Handels-
schiffe in der Straße von Hormus könnten die
Deutschen problemlos dabei sein: Die Bundes-
wehr hat nicht nur alles, was man für einen sol-
chen Einsatz benötigt – Fregatte, Korvette, ten-
der, Seefernaufklärer. Diese sind sogar einsatz-
bereit. Was fehlt, ist der politische Wille.
Die Straße von Hormus ist ein Nadelöhr des
Welthandels und für die Exportnation Deutsch-
land von zentralem Interesse. Dass die Briten
von ihrer Idee eines militärischen geleitschutzes
unter dem Dach der Eu Abstand nahmen und
sich an einen uS-Einsatz hängten, war in Berlin
Anlass, jedes Nachdenken über ein Engagement
der Bundeswehr zu beenden. Dabei wäre es viel
besser, Deutsche und Franzosen würden eine
eigene Mission zusammenstellen – und sich
dann mit Amerikanern und Briten abstimmen.
trump beschimpfen und die anderen machen
lassen, wenn es schwierig wird: Das ist eine Hal-
tung, über die man selbst als wohltemperierter
Europäer zum grenell werden könnte.

Lauter Verweigerer


Einfach die anderen machen lassen? Es fehlt der politische Wille,


den Auftrag der Bundeswehr zu benennen VON PETER DAUSEND


VERTEIDIGUNG

http://www.zeit.de/audio

Die Kraft der Freundlichkeit


Wie man auf erstaunlich einfache Weise Hass und Vorurteilen entgegenwirkt –


und andere für sich einnimmt DOSSIER UND WISSEN


Titelfoto: William Fernando Martinez/AP/dpa (Symbolfoto)
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