Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

Herr Völler, Sie wuchsen in der Stadt Hanau in der Nähe


von Frankfurt auf. Wie haben Sie es dort nur ausgehalten?
Hanau ist meine Heimatstadt, ich bin dort groß gewor-
den. Ich besuche dort gelegentlich meine Mutter, meine
beiden Kinder aus erster Ehe und meine Enkeltochter.
Das alles verbindet. Ich habe einige Zeit in Rom gelebt,
der vielleicht schönsten Stadt der Welt. Das waren tolle
Jahre, aber wenn es sportlich mal nicht läuft, dann hast
du auch als beliebter und teils bewunderter Fußballer in
Rom schwere Momente. Man sitzt dort in einem Café
mit Blick aufs Kolosseum, und es geht einem trotzdem
nicht gut. Da kann es dann auch mal sein, dass das Leben
in Hanau besser ist – in einem Café mit Blick aufs Brüder-
Grimm-Denkmal.
Ihre Eltern gaben Ihnen den Namen Rudolf. Aber jeder


nennt Sie Rudi. Stört Sie das?
Ich habe mich schnell daran gewöhnt. Das ist schon ewig
mein Spitzname. Als ich dann angefangen habe, recht er-
folgreich Fußball zu spielen, haben sich sowieso alle ganz
schnell auf Rudi geeinigt. Ich war immer nur Rudi Völler.
Gibt es in Ihrer Umgebung Menschen, die heute noch Ru-


dolf zu Ihnen sagen?
Ja, meine Mutter nennt mich Rudolf. Meine Frau tut das
auch. Aber ich sehe es sehr sportlich, dass mich alle ande-
ren Rudi nennen. Jetzt mal ehrlich: Wer tauft seinen Sohn
heute noch Rudolf? Wer tut einem Kind so etwas an? (lacht)
Als Nationalspieler wurden Sie aus verschiedenen Gründen


berühmt. Einer der Gründe war, dass der Niederländer
Frank Rijkaard Sie während eines WM-Spiels im Jahr


1990 anspuckte. Diese Szene ist vielen Menschen in Er-
innerung geblieben.


Darauf werde ich sogar in Australien angesprochen.
Meine Tochter Greta hat im Griechenland-Urlaub einen
Australier kennengelernt, der in Melbourne lebt. Sie ist
inzwischen zu ihm gezogen. Meine Frau und ich wären
froh gewesen, wenn sie sich in einen Jungen aus Köln-
Nippes verliebt hätte, das hätte die familiären Dinge für
alle ein bisschen vereinfacht. (lacht) Aber man hat es ja
nicht in der Hand. Also Australien. Wir haben Greta in
Melbourne besucht. Eines Morgens habe ich mich dort in
ein Taxi gesetzt, das von einem Südamerikaner gesteuert
wurde. Da sagte dieser Mann plötzlich zu mir: »Mister
Völler, what about Rijkaard?« Das müssen Sie sich mal vor-
stellen: Ein Südamerikaner, der am anderen Ende der Welt
arbeitet, spricht mich 28 Jahre nach der Spuck-Attacke bei
der WM in Italien darauf an.
Gibt es ein Land, in dem Sie herumlaufen können, ohne


erkannt zu werden?
Die USA wahrscheinlich – das einzige Land, in dem nicht
Fußball im Mittelpunkt steht, sondern andere Sportarten
wie zum Beispiel Baseball. Einmal habe ich mir dort ein
Baseballspiel angesehen. Fürchterlich. So viele Hotdogs
konnte ich gar nicht essen, wie ich benötigt hätte, um die
Langeweile zu vertreiben.
Haben Sie mal länger in den USA gelebt?


Nein. Zwei, drei Wochen war ich mal im Urlaub dort, ab-
gesehen von der WM 1994 und diversen Trainingslagern
mit Bayer Leverkusen. Mit meiner Frau bin ich damals
nach New York gereist und habe mit ihr unter anderem
meinen Onkel Willi besucht. Onkel Willi war schon vor
langer Zeit in die USA ausgewandert und arbeitete als Ver-
käufer bei Tiffany, dem berühmten Juwelier.
Zurück zu Frank Rijkaard. Mit ihm haben Sie sich schon
lange wieder vertragen. Die Versöhnung ging erstaunlich
schnell.
Na ja, das dauerte schon einige Jahre, und die Initiative zur
Versöhnung ging von Frank Rijkaard aus.
Es wurde ein sehr harmonisches Bild veröffentlicht, das
scheinbar von einer großen Freundschaft zeugte.
Das Bild, das Sie meinen, entstand im Rahmen einer
Werbekampagne. Das war weder meine noch Franks Idee.
Das Foto wurde im Schloss Bensberg in Bergisch Glad-
bach gemacht. Dahinter steckte ein Butter-Hersteller aus
Holland, die Gage haben Frank und ich für einen guten
Zweck gespendet.
Alles wieder in Butter, das war die Botschaft.
Frank ist im Grunde ein lieber Kerl, er hatte gar nichts ge-
gen mich. Ich kannte ihn ja schon viele Jahre, wir hatten in
Italien mit unseren Clubs oft ge gen ein an der gespielt und
auch in Länderspielen. Das besondere Problem war die
damals heftige Rivalität zwischen den Niederländern und
uns, sie hatte seinerzeit wohl ihren absoluten Höhepunkt
erreicht. Ganz extrem. Und dann spuckte er auf mich. Hin-
terher hat diese Aktion auch ihn sehr belastet.
Sie haben sich mit ihm auch noch im Kabinengang geprü-
gelt, nachdem Sie beide mit einer Roten Karte vom Platz
gestellt worden waren.
Diese Behauptung ist natürlich übertrieben, es kam noch
zu einer kleinen Rangelei, mehr nicht. Aber die Rote
Karte, die auch ich kassierte, war total ungerecht. Die
hat mich viel mehr aufgeregt als Franks Spuck-Attacke.
Wieso musste ich den Platz verlassen? Ich hatte ja gar
nichts getan. Hätte es damals schon den Videobeweis ge-
geben, wäre die Sache anders verlaufen. Der Platzverweis
hat mich viel härter getroffen als alles andere. Verdammt,
dachte ich, jetzt ist die WM gelaufen. Aber es ging ja dann
Gott sei Dank doch noch gut aus.
Denken Sie oft an die WM 1990 zurück, als Sie mit der
deutschen Mannschaft Weltmeister wurden?
Weltmeister, das ist etwas ganz Besonderes. Davon träumt
man schon als kleines Kind. Wenn man bei Bayern Mün-
chen einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschreibt, dann wird
man eben viermal deutscher Meister. Das kann man gar
nicht verhindern. Ich bin das niemals geworden, aber ich
sage dann immer sehr gerne, dass ich eben die ganz wichti-
gen Titel gewonnen habe: die Cham pions League und den
WM-Titel. Die deutsche Meisterschaft wird jedes Jahr neu
entschieden, während man in seinem Leben als Spieler wahr-
scheinlich nur ein einziges Mal Weltmeister wird, es aber
für immer bleibt. Auch wenn es vier Jahre nach dem Titel-

Auf die Spuck-Attacke von Frank Rijkaard bei der WM 1990 wird Völler heute noch angesprochen

Vo n STEPHAN LEBERT und STEFAN WILLEKE Illustrationen LUIS MAZÓN

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