- August 2019 DIE ZEIT No 34
DISKRIMINIERUNG AM ARBEITSPLATZ
WIRTSCHAFT 19
E
s war ein Mittwoch im No-
vember 2014. Ich erinnere
mich genau an diesen tag, ich
war als Bezirksleiterin mit mei-
nem damaligen Chef in einem nicht all-
täglichen Einsatz. Eine denn’s-Biomarkt-
Filiale musste geräumt werden. Kurz vor
Dienstschluss erzählte ich meinem
Chef, dass ich schwanger sei. Ich sagte
ihm, dass ich gleich nach dem Mutter-
schutz auf meine stelle als Bezirksleite-
rin zurückkehren wolle.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich seit
zweieinhalb Jahren sechs denn’s-Bio-
supermärkte in Hamburg gemanagt.
Anfangs kamen mir die Arbeitsbedin-
gungen menschlicher vor, als ich es im
Einzelhandel gewöhnt war, weniger
Druck, der ton weniger rau.
Ich solle mir keine gedanken ma-
chen, sagte mein Chef. Das Baby brau-
che mich doch in der ersten Zeit! Ob
ich denn nicht stillen wolle? Er machte
mir Mut: Natürlich können sie Eltern-
zeit nehmen!
Ich beschloss, etwa ein Jahr auszu-
setzen. Beim ersten gespräch über mei-
nen Wiedereinstieg unterhielten wir
uns über meine künftigen Arbeitszei-
ten. Meinem Chef war Flexibilität
wichtig. Eine Bezirksleitung müsse
spontan einsetzbar sein, frühmorgens,
spätabends oder am Wochenende. Ich
war überzeugt: Das würde ich auch mit
Kind schaffen.
Doch bald darauf eröffnete mir
mein Regionalleiter: Es sei keine stelle
als Bezirksleiterin mehr frei, man kön-
ne in Hamburg auch keine zusätzliche
Bezirksleitungsposition schaffen. statt-
dessen könne ich aber einen anderen
Job in der Niederlassung übernehmen.
statt rund 5000 Euro zuzüglich Prä-
mien und Dienstwagen sollte ich auf
der Position aber nur noch etwa 3500
Euro monatlich verdienen. Ich lehnte
ab und erklärte, als Bezirksleiterin wie-
der einsteigen zu wollen.
Am letzten tag vor dem Ende mei-
ner Elternzeit bat mein Regionalleiter
mich erneut zum gespräch. Nun hatte
er doch eine stelle als Bezirksleiterin für
mich – in südbayern. Kaum hatte ich
die Niederlassung verlassen, brach ich
in tränen aus. Innerhalb einer Woche
sollte ich mich entscheiden. Hätte ich
meine tochter und den Papa allein in
Hamburg zurücklassen sollen? Ich
überließ die weiteren Verhandlungen
einem Rechtsanwalt.
Erst mal blieb mir keine Wahl: Ich
trat nach meiner Elternzeit die schlech-
ter bezahlte stelle an. Am ersten tag
lagen auf meinem schreibtisch bloß
ein Block und ein stift. Mein telefon
war wochenlang nicht funktionstüch-
tig, ich hatte zunächst keinen E-Mail-
Zugang. »Psychische Destabilisierung«
- so nannte mein Anwalt das. Er riet
mir zur Klage.
Vor der gerichtsverhandlung war
mir heiß und kalt. Doch der Richter war
toll. Er zeigte sich verwundert darüber,
dass denn’s meine Elternzeitvertretung
unbefristet eingestellt hatte. Nach dem
gerichtstermin bot denn’s mir eine Be-
zirksleitung an – diesmal knapp 200
Kilometer entfernt, im Raum Olden-
burg. Ich trat die stelle an.
Morgens fuhr ich zwei stunden mit
dem Auto zu den Biomärkten, abends
zwei stunden zurück. Meine Arbeitsta-
ge dauerten jetzt oft zwölf stunden.
Meine tochter schlief noch, wenn ich
aufbrach, und schon wieder, wenn ich
abends nach Hause kam.
Währenddessen bekam ich mit:
denn’s wollte in Hamburg nun doch
eine zusätzliche Bezirksleitung schaf-
fen – aber die sollte ein Mann be-
kommen.
Fast ein Dreivierteljahr hatte ich
bereits um meinen Job gekämpft, von
Oktober bis Februar war ich von
Hamburg nach Oldenburg gependelt.
um nicht am steuer einzuschlafen,
trank ich Energydrinks. Ich war am
Ende. Beim nächsten gerichtstermin
habe ich einem Vergleich zugestimmt.
Darin war zwar eine Abfindung ent-
halten, aber davon musste ich auch
mehrere tausend Euro Anwaltskos-
ten begleichen.
Manchmal frage ich mich: Hätte ich
früher die Reißleine ziehen sollen? und
dann denke ich: Man darf sich nicht
alles gefallen lassen.
Die Stellungnahme von denn’s
Das unternehmen möchte den Fall
nicht kommentieren. uwe Zimmer-
mann, Personalleiter bei der unterneh-
mensgruppe dennree, zu der auch die
denn’s-Biomärkte gehören, erklärt: Per-
sonalentscheidungen würden grund-
sätzlich unabhängig vom geschlecht
getroffen. Man unterstütze Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter nach der Rück-
kehr aus der Elternzeit bestmöglich, al-
lerdings könne es dabei »im Einzelfall
zu unstimmigkeiten kommen«. Insge-
samt seien bei denn’s 56 Prozent der
Führungskräfte, inklusive stellvertre-
ter-Ebene, weiblich.
I
ch war mehr als sieben Jahre lang
bei einer internationalen Wirt-
schaftsprüfungs- und Beratungs-
gesellschaft beschäftigt. Dort habe
ich Betriebsprüfungen bei Mittelständ-
lern geleitet. Ich wurde gelobt und
gefördert. Das änderte sich schlagartig,
als ich meinen Chef Anfang 2014 über
meine schwangerschaft informierte. Er
war nicht begeistert, das hatte ich auch
nicht von ihm erwartet. Verwundert
war ich aber schon, als er mich dazu
aufforderte, das Mutterschutzgesetz zu
umgehen. Das sieht ein Beschäfti-
gungsverbot für schwangere zwischen
22 und 6 uhr vor, nach 20 uhr dürfen
werdende Mütter nur arbeiten, wenn
sie sich ausdrücklich dazu bereit erklä-
ren. Außerdem dürfen sie täglich nicht
mehr als 8,5 stunden arbeiten.
gegen beide Vorschriften hat mein
Arbeitgeber verstoßen. Montags musste
ich in manchen Wochen um halb fünf
uhr morgens zum Flughafen, um den
ersten Flug zum Mandanten zu erwi-
schen. Donnerstagabends kam ich erst
nach 22 uhr nach Hause. Natürlich
machte ich beim Mandanten kräftig
Überstunden. Häufig hatte ich bereits am
Donnerstagvormittag meine Arbeitszeit
für die ganze Woche erreicht.
Das ist in der Branche durchaus
üblich, jeder Berater macht massenhaft
Überstunden und verstößt ständig gegen
das Arbeitszeitgesetz. Doch in der
schwangerschaft war mir dieses Pensum
zu viel. Ich ging zu meinem Chef und
sagte ihm, dass ich die Maximalstunden-
zahl, die ich aufschreiben dürfe, bereits
überschritten habe. Daraufhin bat er
mich, eine inoffizielle Excel-tabelle
anzulegen und alle weiteren Überstunden
dort einzutragen. Die sollte ich, so versi-
cherte er mir, später dann abfeiern. Doch
so viele Überstunden, wie ich angesam-
melt hatte, konnte ich gar nicht abbauen.
Wer hätte dann die Arbeit gemacht?
Da ich mich mit niemanden anlegen
und nach der Elternzeit ins unterneh-
men zurückkehren wollte, habe ich
mich trotz extremer Übelkeit und
Erbrechen während der schwanger-
schaft durchgekämpft. Irgendwann war
ich körperlich völlig fertig, einmal muss-
te ich sogar nach einem schwächeanfall
an den tropf. Mein Arzt riet mir, die
Arbeitszeit auf vier stunden täglich zu
reduzieren. Die Reaktion meines Chefs:
Dann solle ich gleich zu Hause bleiben.
Ich hielt durch bis zum Mutterschutz.
Zum Abschied gab es weder Blumen noch
gute Wünsche, stattdessen ein Mitarbei-
tergespräch, das mit folgenden Worten
begann: »Wir brauchen das gar nicht ganz
durchgehen. Es ist klar, dass da aufgrund
Ihrer schwangerschaftsbedingten Krank-
schreibung ein Minus herauskommen
muss.« Eine Bonuszahlung, die ich in den
Jahren zuvor stets erhalten hatte, stünde
mir deshalb nicht zu. Eigentlich hätte ich
da schon zum Betriebsrat gehen müssen.
Aber ich wollte es mir mit meinem Chef
nicht verspielen.
Ein Kollege, der ein freundschaftliches
Verhältnis mit dem Chef pflegte, legte
mir nahe, mir nach der Elternzeit einen
neuen Job zu suchen. Der Chef hätte zu
ihm gesagt: Auf »teilzeitmuttis« habe er
»keinen Bock«.
trotzdem kehrte ich nach 14 Mona-
ten Elternzeit in teilzeit zurück. Zu-
nächst arbeitete ich 20 stunden die
Woche, später stockte ich auf 25 Wo-
chenstunden auf. Doch obwohl mein
Arbeitgeber auf seiner Website verschie-
dene teilzeitmodelle und einen speziellen
Familienservice bewirbt, begannen für
mich quälende Monate. Meine teilzeit
war schuld an allem, was schlecht lief. Es
gab blöde sprüche ohne Ende. Man warf
mir – einer alleinerziehen-
den Mutter – »Freizeitori-
entierung« vor. Ich wurde
schrittweise degradiert,
bekam nur noch Aufga-
ben, mit denen man Prak-
tikanten ärgern kann. An-
statt Mandanten zu be-
treuen, sollte ich zum
Beispiel das sekretariat bei
der Ablage unterstützen.
Mein Chef machte
derweil Karriere und wur-
de zum Partner befördert. Bei der Beför-
derungsfeier saß ich mit dem Deutsch-
landchef am tisch. Mein Chef stellte alle
Kollegen mit Namen, Dauer der Betriebs-
zugehörigkeit und ihrer Position vor. Ich
war als Letzte an der Reihe. Mein Chef
nannte meinen Namen und fügte dann
hinzu: »sie ist – Mutter.«
Ich wurde krank und musste mich
in therapie begeben. Nicht zuletzt
wegen der Arbeitsbedingungen. Mein
Chef sagte mir daraufhin ins gesicht,
dass ich nicht mehr in die Firma passe.
Ich möge mir einen anderen Job su-
chen. Eine der größten Wirtschafts-
prüfungs- und Beratungsgesellschaften
des Landes hat mich systematisch fer-
tiggemacht. Ende 2017 habe ich ent-
nervt gekündigt. Heute arbeite ich bei
einer kleinen Beratung, bei der ich
mich sehr wertgeschätzt fühle.
Die Bezirksleiterin Die Beraterin
DIE ZEIT: Frau Oesterling, sie beschäf-
tigen sich als Arbeitsrechtlerin ständig mit
Diskriminierung. Überraschen sie die
Zitate aus unserer Befragung?
Julia Oesterling: Mir ist schlecht gewor-
den beim Lesen. Die Auswertung ist
erschreckend, aber sie überrascht mich
nicht.
ZEIT: Am häufigsten genannt wurde die
ungleiche Entlohnung – obwohl es doch
seit 2017 ein gesetz für mehr Lohnge-
rechtigkeit gibt. Wieso ändert sich nichts?
Oesterling: Dieses Entgelttransparenz-
gesetz ist ein zahnloser tiger. Ein Recht
auf Auskunft gibt es überhaupt erst bei
Betrieben ab 200 Mitarbeitern und
wenn es mindestens sechs Kollegen in
einer vergleichbaren Position gibt. Es
muss auch immer eine einzelne Frau
hingehen und ihre Rechte einfordern
- und diese Frau muss berufliche Nach-
teile befürchten.
ZEIT: Was müsste geschehen?
Oesterling: staatliche stellen kontrollie-
ren selbstverständlich, ob unternehmen
Bestimmungen zur gesundheit und
sicherheit ihrer Mitarbeiter einhalten.
genauso könnten sie überprüfen, ob sie
die Bestimmungen zur
Lohngleichheit befolgen.
ZEIT: Diskriminierung
während einer schwan-
gerschaft oder Elternzeit
spielt die zweitgrößte
Rolle ...
Oesterling: ... kein Wun-
der. Kinder dürfen nicht
länger ein Frauenthema
sein. Zwar nehmen im-
mer mehr Väter zwei
Monate Elternzeit, doch
darüber hinaus fürchten viele berufliche
Nachteile.
ZEIT: In welchen Branchen ist die Dis-
kriminierung besonders stark?
Oesterling: Überall. In meiner Kanzlei
vertreten wir Mitarbeiterinnen von Auto-
mobilherstellern, kleinen Eisdielen im
Kiez und natürlich von start-ups. Es gibt
auch das theater, das stücke gegen Dis-
kriminierung auf die Bühne bringt, aber
die tontechnikerin hinter der Bühne dis-
kriminiert.
ZEIT: sind Frauen durch die gesetze aus-
reichend geschützt?
Oesterling: Nein. Das Allgemeine
gleichbehandlungsgesetz kann Frauen
nur helfen, wenn sie es kennen. Vier
von fünf Beschäftigten wissen nicht
einmal, dass ihr Arbeitgeber sie vor
sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz
schützen muss.
ZEIT: Diskriminierung ist oft schwer
nachweisbar: In welchen Fällen lohnt sich
der Rechtsweg?
Oesterling: Wenn es Dokumente gibt,
E-Mails, Fotos, Zeugen oder eine detail-
lierte Beschreibung der Betroffenen.
und wenn die Betroffene eine Rechts-
schutzversicherung für Arbeitsrecht hat
oder Mitglied einer gewerkschaft ist,
was die Beratung und Klagevertretung
mit einschließt.
ZEIT: Was raten sie Frauen, die im Be-
rufsalltag eine Diskriminierung erfahren?
Oesterling: Beweissicherung ist das Ers-
te. Ein gedächtnisprotokoll schreiben,
mit Datum und uhrzeit. Was ist passiert,
wer war dabei? und bitte schnell handeln.
gerade bei sexueller Belästigung ist es so,
dass der täter, wenn er einmal die gren-
ze überschritten hat, immer weitermacht.
ZEIT: Hat sich seit der #Metoo-Debatte
etwas geändert?
Oesterling: Insbesondere Frauen spre-
chen mehr über das thema. Es gibt auch
einen Austausch darüber, wie man sich
in der konkreten situation wehren kann
- beispielsweise wenn ein Kollege einen
sexistischen Witz macht. Allerdings gibt
es nach meinem Eindruck nicht mehr
Klagen gegen sexuelle Belästigung.
ZEIT: gibt es auch Frauen, die solche
geschichten erfinden?
Oesterling: Mir ist kein Fall bekannt.
Interessanterweise wird diese Frage auch
nur bei sexueller Belästigung gestellt.
Keiner, der beklaut wurde, wird routi-
nemäßig gefragt, ob er den Überfall
erfunden hat.
ZEIT: sollte sich eine Mitarbeiterin mit
ihrem Chef zum Abendessen verabreden?
Oesterling: Wenn sie das selbst möchte,
klar. sie sollte sich nur nicht aus anderen
gründen verpflichtet fühlen. und ein
Abendessen heißt nicht, dass sie sich
anfassen lassen muss.
ZEIT: Wie sollten sich Frauen, die von
ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt wer-
den, diesem gegenüber verhalten?
Oesterling: Der Arbeitgeber muss die
Mitarbeiterin vor sexueller Belästigung
schützen. sie muss sich bei dem Chef
ihres Vorgesetzten beschweren, und dieser
Chef muss den täter abmahnen, verset-
zen oder entlassen. Jemand, der sexuell
übergriffig ist, darf nicht in einer Vorge-
setztenposition bleiben.
Julia Oesterling ist Fachanwältin für
Arbeitsrecht bei der Kanzlei Betz, Rakete,
Dombek in Berlin
Das gespräch führte Anne Kunze
»Bitte schnell handeln«
Die Anwältin Julia Oesterling erklärt, warum nur wenige
Fälle von Diskriminierung vor gericht landen
Mehr Stimmen
Weitere Fälle aus
der Befragung finden
sie unter
zeit.de/diskriminierung
bei einer
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
bei
denn’s-Biomarkt
Foto: Lêmrich für DIE ZEIT
Den Kampf gegen Benachteiligung nehmen nur wenige auf – auch weil das Arbeitsrecht es ihnen schwer macht