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Wenn er sagt, seine Mis sion sei häufig mühsam, der Erfolg
wohl eher langfristig, will das was heißen. Serkan Engin
ist Berufsberater der Handwerkskammer. Er versucht, die
bayerischen Jugendlichen davon zu überzeugen, eine Kar
riere als Schlosser, Kosmetikerin oder Tischlerin bei ihrer
Wahl zumindest in Erwägung zu ziehen, wie es der Zen
tralverband des Handwerks bescheiden formuliert. Allein
in Bayern blieben zuletzt 7000 Lehrstellen fürs Handwerk
unbesetzt, in ganz Deutschland waren es 17.000.
Engin ist Teil einer Werbeoffensive. Der Zentralverband
produzierte zuletzt den Spot »Ist das noch Handwerk?« –
schnell geschnitten, eine Botschaft sendend: Handwerk
gleich Modernität. Er lief Anfang des Jahres im Fern
sehen, jetzt kann man ihn auf You Tube ansehen. Auf dem
InstagramAccount wir_sind_das_handwerk sieht man einen
Zimmerer, die Augen gen Sonnenuntergang gerichtet,
einen Schornsteinfeger, der durch ein Rapsfeld reitet, oder
einen Malermeister, der mit dem Lastenrad zum nächsten
Auftrag rollt. Der Verband berät Schulabgänger per Whats
App, sponsert Kinderbücher und Schulmaterialien. Allein
Serkan Engin stand in diesem Jahr schon vor 200 Klassen
in München und Umgebung. Heute ist eine achte Klasse
dran, Sportschwerpunkt, zehn Pubertierende, die die meis
te Zeit an Fußball denken, wie die Lehrerin meint. Als es
losgehen soll, rennen zwei noch schnell aufs Klo, drei re
den über Turnschuhe, einer setzt den PausenBeef fort und
zischt »Penner« in Richtung des Sitznachbarn.
Aber Serkan Engin ist ein exzellenter Vortragender. Ein
einhalb Stunden wird ihm die Klasse aufmerksam zuhö
ren. Engin zeigt Bilder von Handwerkerleistungen. Er be
ginnt in der Geschichte: Eiffelturm, Pyramiden von Giseh,
Chinesische Mauer. »8000 Kilometer«, sagt er. »Hunderte
Jahre Bauzeit.« – »Krass«, kommentiert ein Schüler. Engin
switcht in die Gegenwart: die Sky line von Singapur, ein
ElektroBMW, das Burdsch alArab, das segelförmige Ho
tel in Dubai, eines der luxuriösesten der Welt. Die Klasse
ist entzückt. »Ein bayerischer Betrieb hat hier die Schlösser
eingebaut«, sagt Engin. »Die können sagen: Ich war bei
diesem Bauwerk dabei. Das ist ein gutes Feeling.«
Serkan Engin sendet in seinem Vortrag klare Botschaften.
Wer ins Handwerk gehe, könne aus über 100 Berufen
wählen, als Meister der eigene Chef werden, eine sinnvolle
Arbeit tun. »Die leckeren Semmeln in der Schule sind
vom Bäcker«, sagt er. »Brauer und Mälzer brauchen wir
fürs Oktoberfest.« Und, eine Spitze gegen die Konkurrenz
in Sachen Nachwuchswerbung, »auch unsere Studenten
brauchen Handwerker« – schließlich hätten die Univer
sitäten sonst keine Hörsäle.
Am Ende fragt er sich durch die Reihen: Was wollt ihr
werden?
Fußballprofi, sagen die meisten. Geschenkt. »Ich gönne
jedem seinen Traum«, antwortet Engin. »Aber was ist euer
Plan B?«
Der Plan B der Sportneigungsklasse in Unterhaching
entspricht ziemlich genau dem statistischen Mittel. Ein
paar wollen weiter zur Schule gehen, einen besseren Ab
schluss machen. Die anderen nennen: Büromanagement.
IT. Bankkauffrau. Öffentlicher Dienst. Nichts mehr mit
Feuer wehrmann, Busfahrer oder Baumeisterin.
Dass das als kleines Kind die Träume waren, genau wie
Bauer und Polizistin, daran erinnern sich auch die Acht
klässler noch.
Wann hat sich das geändert? »Nach der Grundschule«,
sagt ein Junge.
Aber warum? Was reizt 14jährige Sportler ausgerechnet
am Büro?
Die meisten Schüler zucken mit den Achseln. Einer sagt:
»Man ist nicht draußen. Es ist nicht so körperlich.« Ein
anderer: »Man sitzt am Computer.« Begründungen, die
dann doch recht vage klingen.
Die Sozialarbeiterin der Schule wird später erstaunt sagen:
»Die wenigsten haben bislang ein Praktikum in diesen Be
rufen gemacht.« Man erwartet, dass Engin enttäuscht ist,
dass weder das Bild aus Dubai noch die von ihm skizzierte
goldene Zukunft die aufmerksam lauschenden Schüler
umgestimmt haben.
Serkan Engin aber nickt und sagt, er kenne das. »Meine
Mutter hat sich für mich auch immer einen sauberen,
ordentlichen Krawattenjob erträumt.« Sie habe Schicht
gearbeitet. Der Bürojob, der weiße Kragen statt des blauen,
war für sie, wie für viele ihrer Ge ne ra tion, Ausdruck des
gesellschaftlichen Aufstiegs.
Zu Beginn seines Vortrags hatte Engin eine Folie gezeigt
mit all den abwertenden Äußerungen, die er auf Eltern
abenden und während seiner Schulbesuche gehört hat:
»Handwerk ist was für die Dummen«, stand da. »Hand
werk ist schmutzig und anstrengend.« – »Handwerk ist
unter meinem Niveau.«
Er erzählte von einem Vater, der auf der Ausbildungsmesse
sein Kind am Stand des Handwerkverbands weitergezogen
habe mit den Worten: »Das brauchst du nicht.« Und ob
wohl ja Ausbildungsberufe immer anspruchsvoller werden,
hört er immer wieder von Gymnasiallehrern, die seine Be
suche für nicht sinnvoll halten, weil das Abitur ja auf ein
Studium vorbereite. Gegen all die muss Engin anargumen
tieren. All deren Gerede müsste auch ein Jugendlicher aus
halten, der Maurer oder Schlosser wird.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat in meh
reren Stu dien untersucht, was Schüler antreibt, bestimmte
Karrierewege zu erträumen und andere abzulehnen. Ob die
Tätigkeit als interessant empfunden wird, sei zweifelsohne
bedeutend, auch welches Gehalt und welche Arbeitsbedin
gungen erwartet würden. Am wichtigsten aber sei »für die
Jugendlichen, ob ihnen die Wahl des Berufs hilft, in ihrem
sozialen Umfeld zu punkten. Ist dies nicht der Fall, nehmen
viele vom betreffenden Beruf Abstand, selbst dann, wenn
ihnen die Arbeit darin gefallen würde.«
Joachim Gerd Ulrich, wissenschaftlicher Direktor am
BIBB, sagt, ab dem Grundschulalter bezögen Kinder gesell
schaftliche Erwartungen in ihre Berufswahl ein. Schon Erst