Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

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der Aufschrift: »Bake the world a better place«. Auf gelben
Post-its notiert er die Aufgaben für die nächsten Stunden:
Käsekuchen, Apfelkuchen, Cassistorte, Mohncrumble,
Schoko-Kirsch-Kuchen, Feingebäck. Es gibt unattraktivere
To-do-Listen. »Wenn ich anderen erzähle, dass in jedem
Teig auch ein Stück Seele steckt, klingt das fast ein bisschen
esoterisch«, sagt er. »Aber so ist es.«
Julien Busch hat Abitur gemacht, an der Universität Euro-
pean Management studiert. Er war sich lange sicher, dass
er einen anderen Weg gehen würde als sein Vater, der Bä-
cker war und starb, als Busch 20 Jahre alt war. Nach drei
Semestern an der Uni aber quälte er sich immer häufiger
durch die Vorlesungen. »Der Stoff war abstrakt. Mir fiel es
schwer, nur für den nächsten Schein zu lernen.« In dieser
Zeit lief er, wie schon viele Male zuvor, an einer Bäckerei
in seiner Straße vorbei. Er sagt, er habe die Backstube gero-
chen, das Mehl, und gewusst: Da gehörst du hin! Er brach
das Stu dium ab und bewarb sich als Bäckerlehrling.
An der Uni hätten viele irritiert auf diese Entscheidung
reagiert. »Da herrschte ein Riesendruck, sobald du nur mal
etwas anderes gedacht hast«, sagt Busch. »Mach das nicht!«,
hätten viele Mitstudenten geraten. »Da verdienst du kein
Geld! Da hast du keine Anerkennung.«

Hätten sich die Kommilitonen anders verhalten, wenn
man Bäcker hätte studieren können? Schließlich lernen
inzwischen auch viele Erzieherinnen an Hochschulen. Es
gibt den »Bachelor of Nursing« für Pflegekräfte. Im Mai
dieses Jahres hat das Bundeskabinett beschlossen, dass
Hebamme in Zukunft kein Ausbildungsberuf mehr sein,
sondern an Universitäten gelehrt werden soll. Busch nickt.
»Der Bachelor ist schon höher angesehen als der Gesel-
le. Bäcker-Bachelor, das wäre was anderes.« Aber es wäre
sinnlos, sagt er. »Ich lerne das meiste beim Tun. Ich fühle
das Brot. Backen geht nicht theoretisch.«
Christa Lutum, Buschs Chefin, kommt gegen zehn. Sie
ist die erste Obermeisterin der Back innung, eine Instanz.
Berliner kennen ihren Namen als Teil einer stadtweit ver-
tretenen Biobackkette. Vor drei Jahren aber stieg sie aus
und gründete ihre eigene Backstube.
Mit ihrer Ankunft steigt die Anspannung: Busch soll
Mürbe teig böden backen, noch mehr Schoko-Kirsch-
Kuchen, Obsttorten. Rasch füllt er neue Post-its. Die
Nachfrage sei gut, sagt Lutum. »Ernährung ist ja ein biss-
chen Ersatzreligion.« Das bringe ihr, die nur Bioprodukte
verwendet und weizenfrei backt, Kundschaft.
Lutum stammt aus dem Münsterland. Ihr Vater war Huf-
schmied, sie hat 1977 die Hauptschule abgeschlossen und

die Bäckerinnenlehre begonnen. »Das war der klassische
Weg damals«, sagt sie. »Aber das hat sich im Laufe der
Jahre total verändert.«
In der Tat. Als Christa Lutum ihre Ausbildung begann,
gehörte der Beruf zu den begehrten. Es gab über 30.000
Bäckerlehrlinge, allein in Westdeutschland. Inzwischen
hat die Bundesrepublik 20 Millionen Einwohner mehr,
aber die Zahl der Bäcker-Azubis hat sich mehr als halbiert.
Und nicht nur bei den Bäckern fehlt der Nachwuchs: Im
Jahr 2018 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Ar-
beit erstmals bundesweit mehr offene Ausbildungsstellen
als Interessenten.
Für das Nationale Bildungspanel werden regelmäßig Ju-
gendliche in den Abschlussklassen der Gymnasien nach
ihren Plänen für die Zukunft gefragt. Das Ergebnis der
jüngsten Auswertung: 84 Prozent strebten ein Stu dium
an, nur 16 Prozent eine Ausbildung. Vor allem wenn die
Eltern auch Akademiker sind, wird der Weg an die Uni-
versität als natürlich angesehen. »Im Münsterland gab es
häufig noch kinderreiche Familien««, sagt Lutum. »Da war
es egal, wenn einer Bäcker wird.« Sie grinst. »Der brachte
dann eben am Wochenende einen leckeren Kuchen mit.«
Heute hätten viele Paare nur ein Kind, das alle ihre Erwar-

tungen erfüllen müsse. Und diese Erwartungen seien oft an
einen akademischen Abschluss geknüpft.
Sie sei mit einem Juristenpaar befreundet. Als deren Toch-
ter Köchin lernen wollte, seien die Eltern entsetzt gewesen
und hätten sich gefragt, was sie nur falsch gemacht hätten.
Man ahnt, dass das zweierlei Folgen hat:
Zum einen fehlen begabte Bademeister, Lokführer oder
Bäcker. »Wir brauchen dringend fitte Leute«, sagt Lutum.
»Unsere Tätigkeiten sind komplizierter geworden.«
Zum anderen wird es viele geben, die sich wie Julien Busch
in der Uni quälen, obwohl sie exzellente Dachdecker,
Krankenpfleger oder Feuerwehrfrauen geworden wären.
Bei Lutum landen seit einiger Zeit immer wieder Aus-
steiger, Quereinsteiger. Der Mediengestalter zum Beispiel,
Vater von zwei Kindern, irgendwann frustriert von dem
»virtuellen Mist« in seinem Job, wie Lutum sagt. Jetzt ist
er einer ihrer Gesellen. Oder der Musiker, der das Studi-
um seinen Eltern zuliebe machte und nach dem Abschluss
sagte: »Jetzt werde ich Bäcker.« Aber es seien wenige, zu
wenige. Zum Schluss wird sie grundsätzlich, sagt, sie finde
es schon »schräg«, wenn einer von der Uni komme, einen
Master habe und aus dem Stand 60.000 Euro verdiene.
»Ein Geselle, der bei mir am Tisch arbeitet, liegt bei 30.000
Euro brutto. Das ist eine Schieflage.«

In Gehaltstabellen landen Ausbildungsberufe wie Koch,


Friseur, Kraftfahrer, Zahnarzthelferin oder Bäcker ganz hinten


Für das Malen der Bilder danken wir: Carlotta, Fanny, Ferdi, Filippa, Gustav, Jakob, Julius, Lilo, Nina, Magdalena, Sam und Valentin

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