Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1
GENUSS

Fotos: Henning Ross für FOCUS-Magazin


FOCUS 33/2019 109

N


eben dem sauber getrimm-
ten Bart ist die Lederschür-
ze sein Markenzeichen.
Für Sembo Amirpour ge-
hört sie zum Gesamtkon-
zept seiner Bar „The Old
Jacob“ in Bonn. Der Stil:
viktorianisch. Das Ambiente: klassisch,
gemütlich und „dunkelwarm“, wie er es
ausdrückt. Bevor der 32-Jährige gemein-
sam mit Ehefrau Susi im Mai 2016 die
Barkultur nach Bonn brachte, waren in
dem Ladenlokal an der Kesselgasse 1a-
Designerstoffe verkauft worden. Seit
gut drei Jahren designt Amirpour hier
aus edlem Stoff innovative Drinks – in
Perfektion.
Wie gut der Autodidakt mit Aromen,
süßen wie sauren Spitzen und Hochpro-
zentigem umgehen kann, bewies er beim
nationalen World-Class-Finale in Berlin. Er
setzte sich gegen 13 Kandidatinnen und
Kandidaten aus ganz Deutschland durch.
Jetzt ist er Bartender des Jahres 2019. Und
vertritt Deutschland im September beim
World Class Global Final 2019 des Spiri-
tuosenkonzerns Diageo im schottischen
Glasgow.
Für Sembo Amirpour wird es also bis
in den Spätsommer richtig heiß bleiben.
Ein guter Grund, den Bartender nach sei-
nem persönlichen Sommerdrink zu fragen.
Er serviert uns den Meltin’ Collins, eine
Eigenkreation aus dem World-Class-Fina-
le, angelehnt an den Gin-Klassiker Tom
Collins. „Dieser Drink ist spritzig, erfri-
schend, hat nicht so viel Süße“, sagt Amir-
pour. Die Hybridfrucht Kalamansi bringe
die Säure der Zitrone und das Aroma der
Mandarine mit. Der Agavendicksaft als
Gegenpol werde nicht als so süß wahrge-
nommen wie Zucker. „Zusammen mit der
Zitrusnote des Tanqueray No.10 und dem
Soda dominiert eine angenehme Frische“,
sagt der Barmann.

Erfrischender Schmelztiegel
Der Meltin’ Collins, entstanden in Berlin,
dem Schmelztiegel der Kulturen, vereine
die arabische Welt (Safran) mit der asia-
tischen (Kalamansi), der mittelamerika-
nischen (Agave) und der europäischen
(Gin), erläutert Omipour. Und, wichtig für
einen Sommerdrink: Er lasse sich leicht
selbst mixen. Moment, fragt man sich,
und das Kalamansi-Püree? Gibt es von
Ponthier und Les Vergers Boiron im Fein-
kosthandel und im Netz, sagt der Meister.
Die Kesselgasse hieß früher Jacobstraße.
Nach ihr ist „The Old Jacob“ benannt.

»
Der Meltin’ Collins

vereint die arabische


Welt mit der asiatischen,
mittelamerikanischen

und europäischen – und


ist vor allem ein sehr
erfrischender, cooler

Sommerdrink


«


Eine solche Bar habe es bis dato in Bonn
nicht gegeben, urteilten heimische Gas-
trokenner im Eröffnungsjahr. Umsatz- und
Besucherzahlen wuchsen, auch die Karte
wurde umfangreicher. „Die Drinks sind
anspruchsvoller geworden, weil unsere
Gäste das inzwischen erwarten, denn sie

Herr der Aromen
Soroush „Sembo“ Amirpour
im „The Old Jacob“

wissen, dass wir in der Szene oben mit-
spielen“, sagt Amirpour. Bar und Team
müssten sich ständig weiterentwickeln,
man arbeite zielgruppenorientiert an neu-
en Drinks. „Die Kommunikation mit dem
Gast ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Bei
ihm klingt das nicht wie aus einem Mar-
keting-Seminar. Von Beginn an hieß es in
der Bar: No WLAN! Die Leute sollten nicht
„wie Zombies in ihre Smartphones glot-
zen, sondern miteinander oder mit dem
Team plaudern“. Man versteht die Bar als
einen Social Club wie jene im New York
der fünfziger Jahre.
Dadurch gelingt es, mit dem Gast über
seine Präferenzen zu sprechen, über neue
Geschmackskombinationen zu sinnieren


  • und bis zu dessen nächstem Besuch an
    einem entsprechenden Drink zu arbei-
    ten. Sembo Amirpour betreibt die Bar
    mit fünf Mitarbeitern, aber inzwischen
    ohne seine Frau. Susi ist als Sue Amirpour
    hauptamtlich als Marken botschafterin für
    die französische Weinaperitif-Marke Lil-
    let unterwegs.


Senkrechtstart in den Bar-Olymp
Sembo Amirpour, der mit Vornamen ei-
gentlich Soroush heißt, stammt nicht aus
dem Rheinland, wie es sein Name erah-
nen lässt. Geboren und aufgewachsen in
Teheran, kam er als Fünfjähriger und
ohne ein Wort Deutsch zu können aus
dem Iran nach Deutschland. Die Eltern
waren liberal und orientierten sich an
westlichen Werten. Dem Vater sei vor-
geworfen worden, Propaganda gegen
das Mullah-Regime zu verbreiten. Ihm
und später auch der Familie gelang die
Flucht. Für Soroush war der abrupte
Wechsel ein Kulturschock, über den er
in Rheinbach bei Bonn aber bald hin-
wegkam.
In die Gastro-Szene gelangte der ge-
lernte Grafikdesigner durch Zufall. Weil
ein guter Freund einen Engpass in der
Küche hatte, sprang Amirpour ein – als
Tellerwäscher. Später bekam er das
Angebot, die Küche zu übernehmen.
„Ich merkte, dass ich mit Aromen gut
umgehen konnte“, sagt Sembo Amirpour,
blieb aber zunächst beim Design. Mit
dem Wunsch nach Veränderung nahm
das Konzept für seine Bar Konturen an.
„Ein Jahr habe ich alles gelesen, was ich
kriegen konnte, gemixt und gestestet,
Freunde zum Probieren eingeladen.“ So
startet nur ein Naturtalent durch.n

ROBERT VERNIER
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