Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1
112 FOCUS 33/2019

D


er Himmel ist zum Greifen
nah. Eingebettet zwischen
Weißhorn und Schwarz-
horn, erhebt sich der Joch-
grimm-Pass bis auf knapp
2000 Meter in die Höhe.
Laura Lindemann sitzt auf
ihrem 10 000-Euro-Renn-
rad und strampelt, dass ihr der Schweiß
aus den Poren rinnt.
Es sind glutheiße 50 Grad Celsius bei
80 Prozent Luftfeuchte. Die 23-jährige
Brandenburgerin hat sich ins Südtiroler
Trentino zum Höhentraining zurückgezo-
gen. Sie ist die große deutsche Triathlon-
Hoffnung auf der olympischen Distanz.
An die schwierigen Bedingungen muss sie
sich gleichwohl erst mal gewöhnen; immer-
hin duftet es ganz angenehm nach Holz.
Anfang Juli ist Laura Lindemann in
Hamburg überraschend Vizeweltmeisterin
mit der Mixed-Staffel geworden. Im kom-
menden Jahr hat der Teamwettbewerb in
Tokio olympische Premiere. Lindemann
will dort eine Medaille holen. Deshalb
radelt, läuft und schwimmt sie 350 Tage
im Jahr. Triathlon ist ein brutaler Aus-
dauersport, ein Sport, der nicht deutscher
sein könnte.
Befeuert von fünf deutschen Siegen zwi-
schen 2014 und 2018 beim Ironman-Spek-
takel auf Hawaii, verzeichnet die Deutsche
Triathlon-Union zweistellige Zuwachsra-
ten bei ihren Mitgliedern. Kein anderer
Spitzenverband erfährt mehr Zuspruch.

Deutschland ist Triathlon-Land. Waren
2002 noch 23 000 Triathleten im Verband
gemeldet, verdreifachte sich die Zahl auf
aktuell 60 000. Etwa die Hälfte davon
besitzen sogar eine Ganzjahres-Lizenz,
starten also fünf- bis sechsmal pro Jahr
bei einem großen (3,8 km Schwimmen,
180 km Radfahren und 42,195 km Laufen)
oder auch bei einem kleinen Triathlon
(500 m, 20 km, 5 km).
Auf dem Terrassentisch in Essen-Bre-
deney stehen Wasserflaschen und zwei
Schalen mit Cashewkernen und Walnüs-
sen. Die Gastgeber tragen orangefarbene
Hightech-Sportuhren am Handgelenk. Die
600 Euro teuren Chronographen, die jede
Menge sportrelevante Daten sammeln,
sind das Erkennungsmerkmal von pas-
sionierten Triathleten. Hand-
schriftliche Buchführung und
lange Excel-Tabellen waren
gestern. Seit den Neunzigern
sind Steffi Borchers und Markus
Kriege Mitglieder im TRC Essen
84, einem der ältesten Triath-
lon-Clubs des Landes.
„Als Triathlet muss man
schon Masochist sein und auch
Schmerzen sehr gut aushalten
können“, sagt Unfallchirurgin
Borchers trocken. Die 51-Jäh-
rige trägt Kurzhaarschnitt und
randlose Brille. Ihre Schultern
sind scharfkantig. In ihrer Gara-
ge stehen gleich fünf Rennrä-

der, an denen sie selbst herumschraubt.
„Es gibt immer was zu tun.“ Triathleten
sind ausgewiesene Tüftler.
Wer im Dreikampf zu Wasser und zu
Lande mithalten will, steckt schnell 15 000
Euro in sein Equipment. Für jede der drei
Disziplinen gibt es eine schier endlose
Zahl von Produkten, die Athleten schnel-
ler und kraftsparender ans Ziel bringen
sollen. Carbon-Rennrad 10 000, Helm 200,
Brille 140, Kurzflossen 40, Neoprenan-
zug 500, Schwimmbrille 30, Laufschuhe
150 Euro. Kein Wunder, dass die Sport-
industrie diese Disziplin so gern fördert.
Erstens sind die meisten Triathleten im
besten Konsumentenalter und verdienen
überdurchschnittlich gut, zweitens ist
Deutschland neben den USA, der Schweiz
und Australien der Kernmarkt
für entsprechende Produkte.
Derweil wird Triathlon auch für
Sponsoren immer interessan-
ter. Der Sport ist sexy, trendy,
abwechslungsreich, in jedem
Alter erlernbar, ein wenig eli-
tär und findet in den schönsten
Urlaubsregionen statt.
„In jedem Unternehmen
macht heute mindestens ein
Mitarbeiter Triathlon. Mittler-
weile ist es deshalb auch sehr
viel leichter, Sponsoren zu ge-
winnen“, sagt Vizeweltmeis-
terin Lindemann und ergänzt
schmunzelnd, „Triathlon hat

Triathlon ist sexy, abwechslungsreich, elitär und findet in den schönsten Regionen statt


Triathleten
sind in
der Deutschen
Triathlon-Union
organisiert. Davon
besitzen 27 000
eine Lizenz für das
ganze Jahr und
starten jährlich bei
mehreren Rennen

60 000


Härter als Eisen Mit 7:52:39 Stunden stellte Patrick Lange 2018 einen Fabelrekord beim Ironman auf Hawaii auf. Er schwamm 3,86 Kilometer in 50:37 Minuten,
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