Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1

WIRTSCHAFT


Foto: Getty Images

50 FOCUS 33/2019


Experiment“, weil dort „jeder gleich viel
Geld verdient hat“. WeWork dagegen sei
ein „kapitalistischer Kibbuz“. Schwache
haben da keinen Platz. „Auf der einen Sei-
te gibt es Gemeinschaft, auf der anderen
isst man nur das, was man selbst erlegt.“


Selbstherrlicher Führungsstil


Im Hauptquartier der WeCompany im
New Yorker Stadtteil Chelsea arbeiten
mehr als 1000 Beschäftigte auf engem
Raum, es gibt eine Cafeteria mit Bedie-
nung, ein „Wohnzimmer“ voller Sofas,
Tischfußball- und Billardtische und eine
Bodega mit Bier, Cidre oder Cold-Brew-
Kaffee. Abgesehen von ein paar
Büros, die für Neumann und Füh-
rungskräfte reserviert sind, ste-
hen dort fast keine Schreibtische.
Manche WeWork-Mitarbeiter kla-
gen über den Mangel an Ruhe
und Privatsphäre. Die Nähe zu den
Tischnachbarn soll Austausch und
Gemeinschaft fördern. WeWork
verspricht auch seinen Kunden
neben modern designten Büros
den Aufbau einer Gemeinschaft –
und das Optimieren von Organi-
sationskultur.
Doch genau daran scheint
WeWork selber zu scheitern. Zwar
lautet das Firmenmotto: „Leben,
nicht nur den Lebensunterhalt ver-
dienen“. Doch Mitarbeiter klagen
über bis zu 70 Stunden Arbeit pro
Woche. Beim Jahrestreffen wird
die Anwesenheit bei Diskussionen
mit einem Armband erfasst. Wenn
jemand zu oft fehlt, wird das den
Chefs gemeldet. Neue Mitarbeiter
sind erst begeistert, brennen dann
schnell aus und werden ersetzt. Es
heißt, Neumann wolle jedes Jahr mehr
als 20 Prozent der Beschäftigten austau-
schen – um die Belegschaft zu Bestleis-
tungen anzuspornen. Die einzige Kultur
bei WeWork, sagte eine frühere Führungs-
kraft, sei die „Drehtür-Kultur“.
Auch Neumanns Führungsstil stößt auf
Kritik. Neulich verbot er, Mahlzeiten mit
Fleisch als Spesen abzurechnen. An der


Spitze ähnelt die Firma einem Jungs-
Club, in dem Neumann Freunde und
Familie unterbringt. Im Oktober reichte
Ruby Anaya, frühere Leiterin für Kultur,
eine Klage gegen WeWork wegen sexuel-
ler Belästigung bei Firmenfesten ein. Zu
den wenigen weiblichen Führungskräften
gehört Neumanns Frau Rebekah. Ihre Ver-
bindung ist Teil des Firmen-Mythos: Rebe-
kah soll dem Gatten, als er noch Strampel-
anzug-Verkäufer war, gesagt haben, er
sei „voller Scheiße“ und müsse etwas aus
sich machen. Trotz ihres Ehrgeizes rühmt
die fünffache Mutter gern die Tugenden
der Mutterschaft. „Ein großer Teil der Auf-

gaben jeder Frau liegt darin, Männern zu
helfen, ihre Berufung im Leben zu mani-
festieren“, erklärte sie einmal. Sie leitet
WeGrow, das „die Superkräfte jedes Kin-
des“ freisetzen will.
WeWork gründete im Mai den Invest-
mentfonds ARK, der nun auch Immobi-
lien kaufen könnte. Damit löste sich ein
heikles Problem: Neumann hielt persön-

lich Anteile an vier Immobilien, bei denen
WeWork Mieter war. Laut einem Bericht
des „Wall Street Journal“ zahlte die Firma
an einen ungenannten „wichtigen Anteils-
eigner“ mehr als 37 Millionen Dollar Mie-
te. Ein offensichtlicher Interessenkonflikt.
Im Zuge der Vorbereitungen des Börsen-
gangs kündigte Neumann an, die Immo-
bilien zum Einkaufspreis an ARK weiter-
zugeben. „Wenn ich Geld verdienen will,
sollte ich mehr WeWork-Aktien kaufen“,
erklärte er. Tatsächlich hat er angeblich
WeWork-Aktien im Wert von mehr als
100 Millionen Dollar verkauft und das
Geld in eine Reihe von Unternehmen wie
eine Hotelkette für digitale Noma-
den oder ein Start-up für medizini-
sches Marihuana investiert.

Ende des Booms?
Dafür überbrachte ihm Masayoshi
Son kurz vor Weihnachten 2018
schlechte Nachrichten: Der Plan
von SoftBank, 16 Milliarden Dollar
in WeWork zu investieren, sei ge-
storben. Die Investoren des Vision
Fund einschließlich Saudi-Ara-
biens zögerten, weiter Geld in
Immobilien zu pumpen. Letztlich
vergab SoftBank nur eine zusätz-
liche Milliarde Dollar und über-
nahm für eine weitere Milliarde
Anteile von Mitarbeitern und an -
deren Investoren. Es war mehr
Kapital, als Neumanns Konkurren-
ten zusammen je eingesammelt
hatten – die Summe galt dennoch
als Enttäuschung.
Hat WeWork eine Zukunft? Bis-
lang existiert das Unternehmen nur
in einer wachsenden Wirtschaft, es
musste nie eine Rezession über-
stehen. Größere Unternehmen würden
dann in kleinere Büros wechseln, glaubt
Neumann. Und entlassene Mitarbeiter
dort neue Karrieren aufbauen – wie 2010
nach dem Crash. Gründer könnten ihre
Laptops aber auch wieder im Coffeeshop
aufklappen. Sein Unternehmen, sagt Neu-
mann, werde künftig weniger tun, aber
das besser. Das umstrittene Summer Camp
will er streichen. Die Projekte WeSail und
WeBank werden nicht weiter verfolgt.
Neumann zeigt sich offen für Verände-
rungen. Er dachte sogar darüber nach,
seine langen Haare abschneiden zu las-
sen. Doch das an eine Zen-Weisheit ange-
lehnte Motto der Firma bleibt: „Wir sind
gebannt von dem unbegrenzten Poten-
zial, das in uns steckt.“ n

„Wir sind gebannt von dem unbegrenzten


Potenzial, das in uns steckt“
Motto von WeCompany

Befreundet Jared Kushner, Gatte von Ivanka Trump, kennt
Neumann seit seinen ersten Immobiliengeschäften
Free download pdf