Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1
WIRTSCHAFT

Fotos: Frederik Laux für FOCUS-Magazin, Getty Images, dpa (2)

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geräumt, was geworfen werden könnte“,
erinnert sich die Betriebsratschefin Han-
selmann. „Sogar die Feuerlöscher waren
abmontiert worden.“
Auch bei anderen Zulieferern kriselt
es. Bosch-Chef Volkmar Denner kündigte
diese Woche einen weiteren Stellenabbau
an. Unter anderem die schwache Nach-
frage nach Diesel-Antrieben zwingt ihn
dazu. Weltweit hängen 50 000 der 410 000
Bosch-Arbeitsplätze vom Diesel ab. „Der
Rückenwind ist weg“, sagte Denner der
„Süddeutschen Zeitung“. Betroffen vom
Sparkurs ist beispielsweise der Standort
Bamberg. Von den heute 7400 Mitarbeitern
könnten am Ende weniger als 5000 übrig-
bleiben, heißt es. Über Ostern ordneten
die Werksleiter dieses Jahr Betriebsferien
an, ein Novum für die Mitarbeiter.
In Niedersachsen meldeten in den ver-
gangenen Monaten mehrere Zuliefe-
rer Kurzarbeit an. Die Arbeitsagenturen
berichten von zahlreichen Anfragen von
Firmen, die Kurzarbeit erwägen. Mar-

Arbeitsplätze in Deutschland.
Und Eisenmann (3000 Mitar-
beiter) meldete Ende Juli sogar
Insolvenz an.

Hightech in der Provinz
Die Negativmeldungen tref-
fen eine Schlüsselbranche
Deutschlands. Die Autozulie-
ferer zählen zum Rückgrat der
Wirtschaft. Rund drei Viertel
der Teile und des Know-hows,
aus denen ein Pkw entsteht,
kommt von Zulieferern. 2018
betrug der Umsatz der Firmen in Deutsch-
land mehr als 81 Milliarden Euro.
Der weitverzweigten Zulieferindustrie
verdanken viele Orte in der deutschen
Provinz ihren Wohlstand. Besonders
Baden-Württemberg und Bayern leben
von der Industrie. Weit über 300 000 Men-
schen arbeiten in der Zulieferbranche.
Firmen wie Bosch, Mahle oder der Stock-
dorfer Autodach-Hersteller Webasto tra-

das Geld von meinen Kunden
zurückholen kann.“
Sicher, an Aufs und Abs ist
die Branche gewöhnt. Mahle-
Betriebsrätin Hanselmann
kann sich gut an die fetten
Jahre erinnern. 1984 brach
sie ihr Studium ab und fing
bei Mahle an. „Ich war allein-
erziehend und arbeitete mit
meiner Schwester in Wech-
selschicht.“ So konnten die
beiden Frauen abwechselnd
ihre Kinder betreuen. Auch
finanziell lohnten sich die Strapazen
in der Fertigung. Die südwestdeutsche
Metallindustrie zahlte gut und war bei
den Tarifverhandlungen bundesweit
maßgeblich für die Branche. Schon
1985 nahm Hanselmann an ihrem ers-
ten Warnstreik für höhere Löhne teil.
Anfangs arbeitete sie 42 Stunden die
Woche. Daraus wurden nach und nach
35 Stunden.

D


ass ihr Arbeitsplatz und die
Jobs ihrer Kollegen in Ge-
fahr sind, war Sonja Hen-
selmann seit Langem klar.
Am 25. Juni wurden ihre
schlimmsten Befürchtungen
wahr. Der Autozulieferer
Mahle teilte seinen 230 Beschäftigten
am baden-württembergischen Stand-
ort Öhringen mit, dass das Werk Ende
2020 geschlossen wird. Mit dem Ver-
ständnis ihrer Mitarbeiter rechneten die
Chefs offensichtlich nicht. „Sie hatten
vor der Versammlung alles aus der Halle

quardt, der baden-württembergische Her-
steller von Schalt- und Bediensystemen,
ist dabei, Hunderte Stellen ins Ausland zu
verlagern. Der Getriebespezialist Schaeff-
ler schockierte Aktionäre und Mitarbeiter
mit einer Gewinnwarnung und denkt über
Kurzarbeit nach. Continental will sein
Werk in Oppenweiler schließen und kas-
sierte ebenfalls die Umsatz- und Gewinn-
prognose. ZF Friedrichshafen korrigierte
seine Umsatzerwartung um eine Milliarde
nach unten. Mann+Hummel will weltweit
1200 Stellen streichen. Der Pressenher-
steller Schuler verkündete das Aus für 500

gen die Innovationskraft der Branche in
den ländlichen Raum. Sie folgen ihren
Kunden, den Autokonzernen, mit eige-
nen Niederlassungen nach China oder
in die USA.
Und sie bekommen es zu spüren, wenn
der Autoabsatz schrumpft und Handels-
streitigkeiten den Warenverkehr verteu-
ern. „Ich zahle jeden Monat eine Million
Euro in Form von Zöllen auf Rohstoffe,
die ich aus China in die USA kommen
lasse“, berichtet Stefan Wolf, der Chef
des Dichtungsspezialisten ElringKlinger.
„Glauben Sie bloß nicht, dass ich mir

Mahle, Öhringen Mahle-Betriebsrätin Sonja Hanselmann, 61, hat die
Pläne für die Schließung ihres Werks auf dem Schreibtisch

Bosch, Renningen Konzernchef Volkmar Denner rechnet mit einer
stagnierenden Autoproduktion und will Arbeitsplätze streichen

Betriebsstätten
unterhielten die
deutschen
Autozulieferer
im Schnitt des
Jahres 2018

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