Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1

Die neue Kolumne im FOCUS


»


Der


Parlamentarismus


ist einfach


zu langsam, um


die Klima-


kehrtwende ein-


zuleiten


« Foto: Susanne Krauss


6 FOCUS 33/


P


rinz Charles gibt
der Politik noch
18 Monate, um die
Welt zu retten. Das
sei die Zeitspanne,
die der Menschheit
bleibe, wenn sie die
Klimakatastrophe abwenden wolle,
sagte er bei einem Empfang in sei-
ner Residenz in London. Man könn-
te einwenden, dass der britische
Thronfolger erst einmal zu Hause
nach dem Rechten sehen sollte,
bevor er der Staatengemeinschaft
ins Gewissen redet. Andererseits:
Gegen den Klimakollaps verliert
sogar die Brexit-Hölle ihren
Schrecken.
Dass uns nur radikales Umsteuern
vor dem Hitzetod bewahren kann,
ist ein Grundthema der Klimade-
batte. Es ist das Drängende und
Unbedingte, das den Protesten ihre
Überzeugungskraft verleiht.
18 Monate bis zum Ende sind
noch großzügig bemessen. Glaubt
man Greta Thunberg, der Initiato-
rin der aktuellen Klimabewegung,
dann entscheidet sich das Schicksal
der Welt quasi stündlich. „Unser
Haus steht in Flammen“, lautet der
Satz, mit dem sie bekannt wurde.
Wo es lichterloh brennt, ist jede
Minute, die man untätig bleibt, ein
Verbrechen.

Ich gebe zu, ich bin für die apo-
kalyptische Weltsicht ungeeignet.
Wahrscheinlich habe ich zu viel
überlebt. Wer wie ich in den sieb-
ziger Jahren groß wurde, hat das
Waldsterben und das Ozonloch
überstanden, die Aids-Katastro-
phe, die nach ersten Berechnungen
große Teile der Weltbevölkerung
hinwegraffen sollte, diverse Vogel-
und Schweinegrippen und natürlich
BSE, den Killer im Fleischklops.
Aus der Tatsache, dass sich eine
Prophezeiung nicht bewahrheitet
hat, folgt nicht, dass es einen beim
nächsten Mal nicht doch erwischen
kann, ich weiß. Trotzdem bin ich für
Endzeitprognosen verloren. Nennen
Sie es einen Generationendefekt.
Obwohl ich gegen Untergangs-
stimmungen immun bin, nehme ich
kollektive Gefühlsausbrüche ernst.
Dass Emotionen im politischen
Geschäft großen Einfluss haben
können, scheint mir hinreichend
bewiesen. Ohne die Untergangs-
angst der Siebziger wären die Grü-
nen nicht entstanden und ohne die

Angst vor dem Ende der Deutschen
nicht die AfD.
Man sollte Menschen beim Wort
nehmen. Ich kann nicht beurtei-
len, wie viel Zeit der Menschheit
noch bleibt, um die Klimakatastro-
phe abzuwenden. Ich fürchte nur,
dass wir auf eine ziemlich unan-
genehme Wahl zusteuern. Wenn
Greta Thunberg und Prinz Charles
Recht haben, müssen wir uns ent-
scheiden, was uns wichtiger ist: die
Demokratie oder unser Überleben.
Dass wir uns Demokratie nicht
länger leisten können, wenn wir
davon überzeugt sind, dass die Kli-
makatastrophe unmittelbar bevor-
steht, liegt meines Erachtens auf
der Hand. Der Parlamentarismus ist
einfach zu langsam, um die Kehrt-
wende einzuleiten. Oder glaubt
jemand ernsthaft, dass sich die
Führer Europas auf einen radika-
len Klimaplan verständigen? Es
hat Jahrzehnte gedauert, bis
man sich in Brüssel zu einem
Ende der Subventionen für
den Tabakanbau durchringen
konnte, obwohl vor Tabak auf
jeder Zigarettenpackung gewarnt
wird. Wie soll da binnen 18 Mona-
ten ein Kompromiss zum Ausstieg
aus dem Kohlestrom stehen?
Auf Selbstdisziplin kann man
erst recht nicht setzen. Sogar Men-
schen, die sich die Rettung der Welt
auf die Fahnen geschrieben haben,
versagen kläglich, wenn es darum
geht, den guten Vorsätzen Folge zu
leisten. Bei „Maischberger“ wurde
ich neulich ausgelacht, als ich die
Vermutung äußerte, dass einen das
ökologische Bewusstsein nicht von
der Buchung des nächsten Tansa-
nia-Urlaubs abhält. Jetzt las ich in
der Zeitung, dass die Anhänger der
Grünen die Vielflieger unter den
Deutschen sind. Niemand benutzt
so gern und so ausgiebig das
Flugzeug wie die Anhänger der
Öko-Partei.

Die


Diktatur


der Klima–


retter


JAN FLEISCHHAUER

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