Focus - 10.08.2019

(Sean Pound) #1
WISSEN

Fotos: Benjamin Zibner, Max Kratzer/beide für FOCUS-Magazin

62 FOCUS 33/2019

E


s ist vorbei.“
Als er sich vor
gut anderthalb
Jahren diesen
Satz sagte, da
war Jörg Heidig
„traurig, aber
klar und erleich-
tert“. Endlose Konflikte mit seiner
Frau hatten ihn zermürbt, er fühlte
sich ungeliebt und klein gemacht.
„Während des letzten Streits habe
ich innerlich losgelassen“, erinnert
sich der 45-jährige Psychologe.
„Eine Stimme in mir rief: ,Das kann
nicht sein!‘ Eine andere sprach
ruhig: ,Doch, doch, das ist schon
so ...‘“ Seither sei vieles schwieriger
geworden, Wesentliches aber bes-
ser. Seit der Trennung habe er das
Gefühl, langsam wieder er selbst zu
werden. Jetzt könne sich sein „wil-
des Herz“ wieder entfalten. „Meine
Freunde sagen, sie haben mich nie so viel
lachen sehen.“ Die Trennung hat Heidig
verwandelt. Er ist heute aktiver, leiden-
schaftlicher und glücklicher. Der Görlit-
zer, der hauptberuflich als Berater tätig ist,
hat sich nun daran gemacht, seinen gro-
ßen Traum zu verwirklichen. Er schreibt
gerade an einem Buch. Von seinem alten
Leben hat er sich verabschiedet – neues
Glück wartet auf ihn.

Eine Trennung kann Freiheit bringen –
und die Energie für einen neuen Anfang
Es wartet auf so viele Menschen. Men-
schen, die sich nach einem Neustart,
einer zweiten Chance verzehren. Men-
schen, die in ihrem privaten oder beruf-
lichen Leben so vieles ändern und besser
machen wollen. Die auch ziemlich genau
wissen, wo sich in ihrem Alltag Fehler
eingeschlichen haben. Die spüren, dass
all die Routinen eben keine Sicherheit
mehr geben, sondern Qualen verursa-
chen. Qualen der Langeweile und des
Unglücks. All diese Menschen könnten
sofort sagen, was sie tun müssten, um sich
selbst wieder mit neuer Energie und Freu-
de aufzuladen. Aber sie tun es nicht. Sie

bleiben in ihrem alten Leben gefangen,
weil sie Angst vor dem haben, was jedem
Neuanfang vorangeht – der Schlussstrich.
Auch Peter Buchenau wollte diesen
Strich nicht ziehen. Auf das entscheiden-
de Gespräch mit seiner Chefin hatte sich
der Manager auf dem Flug von Frankfurt
nach New York vorbereitet. Wieder und
wieder war er seine Argumente durchge-
gangen. Er wollte unbedingt eine bessere
Gesundheitsförderung in der Führungs-
riege des amerikanischen Unternehmens
durchsetzen. Gerade war sein Freund
und direkter Vorgesetzter überraschend
gestorben, wohl auch, weil er mit dem
Stress nicht mehr zurechtkam. Buchenau
war fest davon überzeugt, dass er seine
Chefin von seinen Vorschlägen überzeu-
gen würde. „Für mich lag auf der Hand,
dass wir so nicht weiterarbeiten konnten –
unter ständigem Druck und in perma-
nenter Zeitnot.“ Doch die Vorgesetzte
blockte ab. Für „solche Befindlichkeiten“
habe sie keine Zeit. Darauf er: „Dann
kündige ich.“
Er sei selbst von seinen Worten über-
rascht gewesen, erinnert sich Buchenau,
„aber ich wusste auch in dem Moment,

in dem ich sie ausgesprochen habe,
dass das der einzig richtige Weg
war.“ Nach der Trennung spürte er
„Erleichterung“. Und das Gefühl,
seine Freiheit zurückgewonnen zu
haben.
Wer schon mal Schluss gemacht
hat, kennt dieses Gefühl: Eine Last
fällt plötzlich weg, ja, scheint sich
aufgelöst zu haben. Eine Trennung,
richtig bewerkstelligt, bringt vor
allem eines: Freiheit. Und damit
auch die Kraft und die Motivation
für einen Neustart – sei es im Job
oder im Privaten. Wer sich rigoros
von dem lossagt, was ihn fesselt
und lähmt, hat die Chance, sich
sein Leben ganz neu einzurichten
und sich wieder darauf zu besin-
nen, was ihm guttut.
Als der deutsche Basketball-Su-
perstar Dirk Nowitzki das Ende
seiner Karriere verkündete, wirkte
er zwar tief gerührt, aber auch sichtlich
erleichtert: Er habe „noch Bock“ auf sei-
nen Sport, sagte der 41-Jährige, müsse
aber einsehen, dass sein Körper einfach
nicht mehr mitspiele. Er sei nun froh,
sich nicht mehr fit spritzen und immer
wieder Tabletten nehmen zu müssen.
Nowitzki hat jetzt Zeit für seine Familie,
er hat zugenommen, weil er heute fast
jeden Tag ein Eis isst, statt sich wie frü-
her alles zu verbieten, was seinem Körper
bei den sportlichen Höchstleistungen im
Wege gestanden hätte. So sehr er am
alten Leben gehangen habe: Er erfreut
sich am neuen.
Manchmal ist das Schlussmachen nicht
nur die Befreiung aus Strukturen, die ein-
schränken oder nerven. Das Gefühl, sich
freizuschlagen und Mauern niederzurei-
ßen, beweist uns: Wir können etwas ver-
ändern, wir haben unser Leben in der
Hand. Dann wird aus einem Akademi-
ker plötzlich ein Handwerker, aus einem
Manager wieder ein Student. Eine Ange-
stellte verwandelt sich in eine Unterneh-
merin. Und es kann sogar passieren, dass
eine Naturwissenschaftlerin ihr Labor im
Zentralinstitut für Physikalische Chemie
verlässt und sich auf den Weg macht
ins Kanzleramt der Bundesre-
publik.
Die Aussicht auf eine Tren-
nung macht meist Angst.
Und der Abschied von Men-
schen und Gewohnheiten
tut erst einmal weh oder ist

Das Lachen wiedergefunden Der Psychologe
Jörg Heidig fühlt sich glücklich. Ein Buch zu schreiben
war lange sein Traum. Jetzt verwirklicht er ihn

„Bei einer beruflichen Trennung ist es gut,


klar und entschieden aufzutreten“
Ulrich Grund, Rechtsanwalt
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