Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Samstag, 10. August 2019


DerDemokratJoe Biden sieht sicheinemstarken linkenParteiflügel gegenüber–und einerVergangenheit,inder er oft nicht die beste Urteilskraftzeigte. CH. NEIBERGALL / AP


Die Weltmacht


wendet sich nach innen


Europa hofft mehrheitlich auf eine Abwahl von Präsident Trumpim nächsten Jahr. Aber


die Demokraten sind nicht mehr dieselbe Partei wie einst – den klaren Willenzur Verteidigung


einer freiheitlichen Weltordnung la ssen auch sie ve rmissen.Von Andr eas Rüesch


Oppositionist der besteJungbrunnen, lauteteine
alte politischeWeisheit.Tatsächlich gibt es genug
Beispiele vonParteien, die sich an der Macht ver-
braucht hatten und erst auf den harten Opposi-
tionsbänken zu neuer Kraft fanden – vonTony
Blairs NewLabour bis zur deutschen CDUin
derFrühzeit der Ära Merkel. Doch die amerika-
nischen Demokratenregenerieren sich derzeit in
einer Art, wie sie derParteielite nicht mehr geheuer
ist. Angesichts der chaotischen Präsidentschaft des
RepublikanersTr ump bestünde die naheliegende
Strategie darin, die Stimme derVernunft zu spie-
len. Stattdessen hat sich die DemokratischePar-
tei,angeführt von den linken Globalisierungskriti-
kern Bernie Sanders und ElizabethWarren,radi-
kalisiert.Vertreter des gemässigten Flügels sehen
sich fast schon als kryptorepublikanischeVerräter
gebrandmarkt. Hillary Clinton,dieBannerträgerin
von 2016, würde ihrePartei heute kaum noch er-
kennen, so sehr ist ihr damaliger Pragmatismus aus-
ser Mode geraten.


Die Uhr lässt sich nicht


zurückdrehen


Auch in den aussenpolitischenPositionen hat sich
der Schwerpunkt verschoben.Wer erwartet, dass
Amerika bei einer Abwahl DonaldTr umps 202 0 auf
den vertrautenKurs der Ära Obama zurückkehrt,
dürfte sich täuschen. Zwar pflegen altgediente
Demokraten wie der frühereAussenministerJohn
Kerry den jetzigen Präsidenten als eine kurzzeitige
Verirrung abzutun. Doch dabei wird unterschätzt,
wie weitTr ump eine Grundströmung in der Gesell-
schaftrepräsentiert, die auch ein höflicherer Zeit-
genosse imWeissen Haus nicht ignorierenkönnte.
So dürfte sich der Streit um eine faireLastenteilung
innerhalb des transatlantischen Bündnisses bei
einer AbwahlTr umps nicht entspannen, sondern
eher noch verschärfen.Tr ump einfach «auszusit-
zen»,mag für die autoritärenRegime Chinas oder
Irans eine Option darstellen, doch für europäische
Aussenpolitiker wäre dies kurzsichtig.
Lässt man den irritierenden Stil dieses Präsiden-
teneinmal ausser acht, die giftigenTwitter-Pfeile,
seine Sprunghaftigkeit und extreme Ichbezogen-


heit, so hat die Besorgnis gegenüberTrumpsAus-
senpolitik vor allem einenKern: Als erster Präsi-
dent seit dem ZweitenWeltkrieg verabschiedete
sich der NewYorker von der Idee, dass es im ame-
rikanischen Interesse liegt, eine freiheitlicheWelt-
ordnung zu fördern. Tr ump betontvielmehr, wie läs-
tig ihm die Bürde ist, die mit AmerikasFührungs-
rolle einhergeht. Der Gedanke, dass es sich für die
USAlohnt, für dieAusbreitung freiheitlicher Nor-
men rund um den Globus einzustehen, scheint ihm
fremd. Damit verbunden ist eine merkwürdige
Hochachtung gegenüber Herrschern wie Wladimir
Putin oder Xi Jinping und umgekehrt eine Gering-
schätzung für Amerikas traditionelle Bündnispart-
ner.Ausdruck seiner Überzeugung, Amerika werde
konstant übervorteilt, ist seine Ablehnung früherer
Freihandelsverträge.
Was würde sich ändern, sollten die Demokra-
ten dasWeisse Haus zurückerobern? Natürlich las-
sen sich erst vorläufige Antworten geben.Weder
ist bekannt, mit wem diePartei 2020 in denWahl-
kampfzieht, noch liegen ausgegorene Programme
vor. AmerikasVerhältnis zurrestlichenWelt spielt
in Primärwahlen nur eine Nebenrolle, auch die
Medien beleuchten lieberThemen, die direkt das
Portemonnaie der Bürger berühren. In bisher neun
StundenFernsehdebatten sind so wichtigeFragen
wie die Gefahr eines nuklearenRüstungswettlaufs,
die Sanktionengegen das Putin-Regimeoder die
ZukunftSyriens nieerörtert worden.Tr otzdem lie-
fern dieÄusserungen aus demFeld der zwanzig
Bewerberinnen und Bewerber wichtige Hinweise:
Show-Diplomatie,wie sie der Präsident mit dem
nordkoreanischen Diktator pflegt, würde unter
demokratischer Ägidekaum eineFortsetzung fin-
den. AuchTr umpsVertrauensseligkeit gegenüber
dem Kreml scheint den Demokraten fremd.Da-
für geloben sie eineRückkehr in multilaterale
Vertragswerke wie dasPariser Klimaabkommen
und die Atomvereinbarung mit Iran.Das käme in
Europa gut an, auch wenn solche Zusagen noch
reichlich unkonkret wirken.
Erstrecht gilt diese Einschränkung für die Lip-
penbekenntnisse zu Amerikas Bündnisseninaller
Welt. Die meisten Präsidentschaftsbewerber, am
vehementesten jene zur Linken, fordern einen
starken Abbau der Militärausgaben. Sie wollen auf

dieseWeise Gelder zurFinanzierung ihrer Sozial-
programme freischaufeln. Ob die Nato und insbe-
sondereder Schutz der Ostflanke Europas unter
diesen Umständen noch hohe Priorität erhielten,
ist fraglich.Tr ump hatte dieAusgabenfür die als
Antwortauf die russische Militärintervention in
der Ukraine lancierte «EuropeanReassurance In-
itiative» kräftig aufgestockt, auch wenn dies sei-
ner Rhetorik widersprach;einTeil dieser Gelder
könnte dem demokratischen Sparstift zum Opfer
fallen. Bereits der letzte demokratische Präsident,
Barack Obama, hatte den EuropäernTr ittbrettfah-
rerei vorgeworfen; der nächste wird dies in Zeiten
knapper Kassenerstrecht tun und wieTr ump dar-
auf pochen, dassreiche Staaten wie Deutschland
ihre Militärausgaben erhöhen.
In der Kampagne von 20 16 hatte Hillary Clinton
noch auf einrobustes Militärbudget gesetzt, wohl
auch mit Blick aufkonservativereWähler. Heute
sindradikaleKürzungen für die Demokratenkein
Tabu mehr. Damit stellt sich aber auch dieFrage,
wie eine demokratischeAdministration den An-
spruch der USA auf eineRolle als globale Ord-
nungsmacht untermauern würde. Deutlich zeigt
sich der veränderteFokus bei denKampfeinsätzen
in Übersee.War Obama 2 00 9 mitdemVerspre-
chenangetreten, die Militärpräsenz in Afghanistan
zu verstärken,sogeloben nun fast alle demokrati-
schen Bewerber, dieTruppen innerhalb einesJah-
res vom Hindukusch abzuziehen. Sie tun dies, ob-
wohl sie damit fast gleich wieTr ump klingen und
obwohl es gute Gründe dafür gäbe, mit einer klei-
nen Schutztruppe dieRückkehr der islamistischen
Taliban zu verhindern. Ähnliches gilt für die Mili-
tärpräsenz im OstenSyriens, ohne die Amerika
dazu verurteilt wäre, Akteuren wieRussland und
Iran dasFeld zu überlassen.
DerWeltpolizist Amerika ist müde, nicht erst
seitTr ump. Begonnen hatte dieTendenz schon
unter Obama, und auch von einer künftigen demo-
kratischenRegierung ist globalkein starker Ge-
staltungswille zu erwarten.Das gilt notabene nicht
nur für militärisch unterfütterte Projekte. Eine der
wirkungsvollsten Massnahmen,Amerikas Einfluss
in Asien zu stärken, wäre die Neuauflage des von
Tr ump blockierten transpazifischenFreihandels-
abkommens.Aber alle führenden Demokraten leh-
nen das Projekt ab und schliessen sich damit dem
Mantra der Globalisierungsgegner an, wonachFrei-
handel angeblich schlecht für Amerika ist.

Der Mythos Biden


Die Linkspopulisten Sanders undWarren, die für
eine Hinwendung nach innen und insbesondere
auf die Bedürfnisse des kleinenMannes eintreten,
kommen in Umfragen zusammen auf eine Unter-
stützung von einem Drittel desParteivolks. Offen
bleibt, ob die Demokraten am Schluss nicht doch
einer «bewährten» Kraft wie dem früherenVize-
präsidentenJoe Biden denVorzug geben. Biden
hat derzeit ein weiteres Drittel derParteisympa-
thisanten hinter sich.Als frühererVorsitzender des
Senatskomitees fürAussenpolitik und enger Be-
rater Obamas kann er einenreichen Erfahrungs-
schatz vorweisen. Er stünde für dieRückkehr zu
einertraditionellerenAussenpolitik und wäre der
Wunschkandidat europäischerRegierungen.Aber
auch Biden kann sich dem Druck derBasis, kost-
spielige weltpolitische Engagements zu meiden,
nicht entziehen.
Hinter denWert von BidensErfahrenheit gehört
zudem ein dickesFragezeichen. Der frühereVer-
teidigungsministerRobert Gates bezeichnet Biden
in seinen Memoiren als Mann, der über vierJahr-
zehnte hinweg fast in jeder wichtigen aussenpoliti-
schenFrage falsch gelegen sei.Was wie diePolemik
einesinternen Gegenspielers klingt,beschreibt die
Sachlage ziemlich treffend. Biden war gegen den
Golfkrieg von1991, obwohl es überzeugende Argu-
mente für die BefreiungKuwaits von denTr uppen
Saddam Husseins gab; er stimmte hingegen 2002
aufBasis viel dünnererFakten für die Ermächti-
gung zum Einmarsch im Irak, was er in derRück-
blende selber alsFehler einstuft. 200 7 lehnteer die
Aufstockung der amerikanischenTr uppen im Irak
ab, obwohl diese alsbald eine Stabilisierung herbei-
führten, propagierte dafür eineAufteilung desLan-
des in drei autonomeRegionen,was die Spaltung
entlang ethnisch-religiöser Linien auf fataleWeise
zementiert hätte.Als Vizepräsident war Biden 2011
eine treibende Kraft hinter dem überstürzten Ab-
zug der Amerikaner aus dem Irak, der heute als
ein Grund für denAufstieg derTerrormiliz IS gilt.
Falsch lag er im selbenJahrauch, als er intern von
der – später erfolgreich durchgeführten –Kom-
mandoaktion gegen den Kaida-Chef Usama bin
Ladin abriet.
Das Bild des Staatsmannes, der Amerika mit
sicheremAugenmass durch die vonTr ump hinter-
lassenen weltpolitischen Stürme führenkönnte, ist
daherrealitätsfern.Wenn Biden schon in seinem
Spezialgebiet solche Urteilsschwäche zeigt,sollte
man für seineKünste in der Innenpolitik nicht
Übermässiges erwarten. Dort jedoch liegt dasFeld,
wo erfolgreicheWahlkämpfe geführt werden. An
Argumenten,Tr umpin dieWüste zu schicken,man-
gelt es den Demokraten nicht.Weshalb man ihnen
die Geschicke der wichtigstenWeltmacht anver-
trauen sollte, müssen sie aber erst noch zeigen.

DerWe ltpolizist Amerika ist


müde, nicht erst seitTrump.


Begonnen hatte diese


Tendenz schon unter dem


Demokraten Barack Obama.

Free download pdf