Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

Samstag, 10. August 2019 ZÜRICH UND REGION 17


Besser grillier en


Sommerzeit ist die hoheZeit eines Volkssports: 10Tipps für gute Ergebnisse auf dem Rost (Achtung: Fleisch!)


URS BÜHLER


„1.Alles eineFrage der richtigen
Te mperatur:Bei mGrillierengilt wie so
oft im übrigen Leben: Das Gelingen ist ein
Zusammenspiel aus chemischenReaktio-
nen und dem Gefühl für die richtigeTem-
peratur. Diese muss nicht nur auf dem
Rost selbst stimmen, zu dem wir später
kommen, sondern auch beimAusgangs-
produkt:Das Fleisch zum Beispiel darf
nicht direkt aus demKühlschrankkom-
men,sonst leidet die Qualität erheblich.
Also spätestens eine Stunde vorher her-
ausnehmen,damites Zimmertempera-
tur erreicht.
Das eigentlicheKunststück beim Gril-
lieren von Fleisch besteht bekanntlich im
Treffen der gewünschtenKerntempera-
tur. Deren Ermittlung funktioniert aller-
dings gerade bei grösseren Fleischbro-
cken nicht perFingerdruck, auf den so
manche schwören: Es empfiehlt sich der
Einsatz eines Temperaturfühlers, von
denen heutevieleerschwinglicheVaria-
tionen erhältlich sind. Manche davon las-
sen sich sogar drahtlos mitdem Smart-
phone verbinden, so dass dieKontrolle
bequem vomTisch aus geschehen kann –
nicht nur für Gadget-Fans durchaus einen
Versuch wert!


„2.Was am häufigstenfalsch ge-
macht wird:Wasaber ist bei Grill-Laien
der verbreitetsteFehler?Wir erkundi-
gen uns bei einem Champion: Der diplo-
mierte Fleischsommelier und Hotelier
Freddy Camerer aus Samstagern führt
nebst einem eigenen Cateringunterneh-
men einenWeltmeistertitel imDauer-
grillieren – und muss auf dieseFrage hin
nicht lange überlegen: «Zu viel Hitze!»
Das Grillmuster zum Beispiel muss nicht
schwarz sein, wie er festhält. Die Gitter-
struktur hält er ohnehin für einen über-
schätztenFaktor, bedeute sie doch im
Grunde nichts als vertrocknetes Fleisch.
Und was wird beim Grillieren von
Fisch besonders oft falsch gemacht? «Die
Leute wenden ihn zu früh», stellt Came-
rer fest. «Man soll das erst tun, wenn Ei-
weissaustritt:Dann ister schönkompakt.
Das gilt ebenso fürPouletbrüstchen.»Für
Letztere hat er einen weiteren simplen
Trick bereit: Man klopfe auf die dickere
Seite,bis sie an allen Stellen einigermas-
sen gleich dick sind,sonstgaren sie unter-
schiedlich stark.


„3.Kohle, Gas oder Elektrizität?
Wie bei so vielenPassionen toben auch
um dieWahl des Grills eigentliche Rich-
tungskämpfe. Diese hängt vom Ort des
Geschehens und vom Budget ab, aber
auch vomTypus der Nutzer. Nach Mei-
nung desVerfasserskommt das richtige


Zeusel-Feeling, das vielleicht als eine der
letzten Männerdomänen gelten darf, nur
am Holzkohlegrill auf.
Dass mitKohle spürbar bessereRöst-
aromen entstehen, darf aufgrund von
Blinddegustationen als sehr fraglich gel-
ten. Die Mehrheit greift hierzulande also
auf die etwas einfacher zu handhabenden
Gasgrills zurück, derenTemperatur sich
leichterregulieren lässt. Manchmal muss
es zugunsten der freundnachbarschaft-

lichenVerhältnisse auch ein noch emis-
sionsärmerer Elektrogrill sein,der jedoch
nicht nur als unsinnlich gilt, sondern bei
Fans auch als Notlösung verpönt ist:Dar-
auf wird eher sautiert als grilliert.
Eher etwas fürFortgeschrittene hin-
gegen sind die stark aufgekommenen
und teurenKeramik-Grills im Stil des
Big Green Egg. Sie erlauben es nament-
lich, mit wenigKohle lange zu garen, und
Profis bereiten in dieser Outdoor-Küche
ganze Mahlzeiten zu. Unserer Erfah-
rung nach ist es allerdings nicht einfach,
darin dieTemperatur zuregulieren und
die etwa für Pizzas nötige Hitze zu er-
zeugen (das Beifügen vonKokos-Briketts
soll hier lautFachleuten etwas helfen).

„4.DieKugel und andere Zauber-
geräte:Welche Hitzequelle man auch
immer wählt: BesondereVorteile hat die
Kugelform,auch weil man dort so schön
indirekt garen kann.Das heisst,man
brät dasGrillgut allenfalls zunächst kurz
direkt an, um den sogenannten Maillard-
Effekt einzuleiten, und verlagert es dann
an eine seitliche, nicht über der Glutlie-
gende Stelle. So lässt es sich bei geschlos-
senem Deckel schön gleichmässig und
schonend garen, und dasFett tropft so
nicht in die Glut – was unter anderem zu
Stichflammen führen kann.
In derKugel lassen sich also gewisser-
massen zweiTraditionen verknüpfen: das
klassische Grillieren, dasTemperaturen
von über 200°C und kurze Garzeiten
voraussetzt, und dasBarbecue bei nied-
rigerenTemperaturen ab 70 °C, das sich
unter Umständen über mehrere Stunden
hinzieht.Soentsteht etwa das fabelhaf-
tes PulledPork, das seinen Namen der
schliesslich gezupftenForm verdankt,
oder eine Rinderbrust, die bis zu 24 Stun-
den schmort.

Andere schwören eher auf langsames
Garen im Smoker,wo Rauch bei noch tie-
ferenTemperaturen für dieWärme sorgt.
Allerdings ähneln diese Ungetüme oft
eher alten Lokomotiven, und wie bei die-
sen setzt der Betrieb ein gewisses Mass an
Leidenschaft voraus.

„5.Experimentieren erlaubt!Der
Grill gilt als Inbegriff des Spontanen,ent-
sprechend darf man sich auf Experimente
einlassen. So kann man ein Steak durch-
aus einmal sous-vide vorbereiten, also im
Vakuum wunderbar zart und saftiggegart,
ehe man es zurVollendung noch auf den
Rost wirft.
Oder versuchen Sie einmal, ein grös-
seres Stück zuerst im herkömmlichen
Backofen niederzugaren (das empfiehlt
sich für diese Zubereitungsmethode, die
einekonstanteTemperatur voraussetzt).
EinRack vom Iberico-Schwein, erhält-
lich etwa bei Globus-Delicatessa an der
Bahnhofstrasse,wirdauf diesemWegzu
einer der grösstenVersuchungen,die man
zwischen die Zähne bekommen kann:Für
ein Kilogrammrechnen wir rund zwei
Stunden bei etwa 90 °C im Ofen, bis eine
Kerntemperatur von rund 50°C erreicht
ist. Dann legen wir es auf den Grill, wo
es eine schöne Kruste erhält und innert
Kürze die erwünschten 55 °C im Innern
erreicht.

„6.Es muss nicht immer das Edle
sein...Von den vielen Moden, die zur-
zeit in der Gastronomie grassieren, zählt
dieRenaissance des Nose-to-Tail-Prin-
zips gewiss zu den sinnvollsten.EinResul-
tat diesesTrends ist dasWiedererstarken
der Second Cuts, der sogenannt weniger
edlen Stücke, die Namen wie «Pastoren-
stück» oder «Skirt Steak» tragen und oft
ebenso saftig wie hoch aromatischsind.
Immer mehr Metzger führen solche Sor-
ten, von der Metzgerei Ziegler mit dem
Hauptgeschäft in Oerlikon über die
Theke der «ButchersTable» im Seefeld
bis zur SchaffhauserFirma«Luma», die
Online-Bestellungen nach Hause liefert.
Es lohnt sich auch hier, zu experimen-
tieren.Wenn nicht gerade ein Zauberer
amWerk ist,benötigen diesePartien näm-
lich eine spezielle Behandlung, damit sie
einigermassen zart werden.Freddy Ca-
merer beispielsweise empfiehlt, sie 24
Stunden lang zu marinieren – zum Bei-
spiel mit Coca-Cola, das dieFaser auflöst
und das Fleisch so weicher macht. Das Er-
gebnis, etwa ein Flank-Steak, wird dann
gern gegen dieFaser fein aufgeschnitten.

„7....und manchmal eben doch:
Sollen es zurAbwechslung dann doch wie-
der einmalFilets,Entrecôtes, Huftsteaks
oder Hohrücken sein,gelingen diese am
besten ganz am Stück.Dieses wiegt oft ein

bis zwei Kilogramm (die ZürcherFirma
Gaucho etwa importiert solche Brocken
in bester und sehrkonstanter Qualität aus
Argentinien). Ob man das Ergebnis bleu,
medium oder well done bevorzugt, ist Ge-
schmackssache und sollte nicht zurReli-
gion erhoben werden. Aber ein perfek-
ter Grillmeister, die perfekte Grillmeis-
terin liefert den Gästen natürlich den von
ihnen gewünschten Gargrad.
Wenden sollte man das Gargut übri-
gens stets mit der Grillzange, nicht mit
einer Gabel, da dieseLöcher verursacht,
aus denen Flüssigkeit austritt. Am Ende
lässt man die Stücke einige Minuten
neben dem Grill ruhen, so entspannen
sie sich gewissermassen. Sehr bewährt
hat sich für uns, sie am Ende grosszügig
mit dem flockigen Maldon Sea Salt zu
würzen.

„8.Die Sache mit der Marinade:Es
soll Leutegeben, die marinieren so ziem-
lich alles, was sich einmal bewegt hat.Aus
unserer Sicht aber wird damit oft etwas
übertrieben, zumal vieleKenner edle
Stücke vom Kalb oder vom Rind lieber
naturbelassen geniessen. Eine Marinade
empfiehlt sich am ehesten zurAufwer-
tung von Schweine-,Poulet- undLamm-
flei sch – und ergibt lautFreddy Came-
rer nur wirklich einen Sinn, wenn man sie
12 bis 24 Stunden einwirken lassen kann.
Das marinierte Stück wickelt man inFolie
ein und lässtes mindestens über Nacht im
Kühlschrank ziehen.
Ehe man das Fleisch auf den Grill legt,
sollte man es übrigens unbedingt durch
sorgfältiges Abtupfen von überschüssi-
ger Marinade befreien.Sonstverschmutzt
diese nur denRost und tropft in die Glut.

„9.Vergiss die Gäste nicht!Auseige-
ner Erfahrung und aus vielen eigenen
Fehlernschöpfend, können wir schliess-
lich festhalten:Vergessen Sie nicht, dass
Sie auch am Grill ein Gastgeber oder
eine Gastgeberin sein sollten.Das Wir-
ken amRost sollte Sie also nicht derart
absorbieren, dass die zumTisch gelade-
nenFreundinnen undFreunde nichts von
Ihnen haben.
Manche schwören vor diesem Hinter-
grund darauf, gleich das ganze Gericht
auf dem Grill zuzubereiten,samt Risotto,
Baked Potatoes undApfelkuchen,so dass
man nicht noch ständig in dieKücheren-
nen muss. So weit haben wir es noch nicht
gebracht.Dafür hat uns die Einsicht ge-
holfen, dass wir deneigenenPerfektions-
drang unterKontrolle und so den Stress
in Grenzen haltenkönnen.
Zusätzlich trägt der obenerwähnte
Temperaturfühler mit Bluetooth-Verbin-
dung dazu bei, dass wir das Fleisch vom
Tisch aus überwachenkönnen –einBa-
byfon für Grillmeister sozusagen. Apro-
posTisch:Wer nurWürste brät, dem leis-
tet zur Abwechslung der bunte, raff iniert
konstruierte, recht «tubelisichere» Holz-
kohle-Tischgrill der Marke Lotus gute
Dienste (nach meiner Erfahrung ist die-
ses Original verlässlicher als etwas bil-
ligereKopien auf dem Markt). Unsere
ZürcherWurst-Empfehlung nebst den
legendären«Wiedikerli» der Metzgerei
Keller sind übrigens Mikas Schweins-
zwickerli, die es auch in schockgefrore-
nerForm gibt.Wohl dem, der stets einige
davon – ab vierPackungen liefert siekos-
tenlos derVelokurier – vorrätig hat: Man
ist so stets für unangekündigten Besuch
gerüstet, lassen sie sich doch problemlos
direkt aus demTiefkühler auf den Grill
befördern.

„10.Zum Schluss...das Putzen.
Uff!Abgewaschen wird in derKüche,
klar, aber der Grill bedarf nach dem Ge-
brauch einer gewissenReinigung. Und
nein, meine Herren, weder dies noch das
überlässt man einfach derFrau im Hause!
Einen blitzsauberenRost verspricht die
Reklame diverser Grillreiniger,doch ist
ihr Nutzen oft sehr beschränkt und ihr
häufig beissender Geruch bleibt wochen-
lang haften. Eiweisspartikel undKeime
kann man auch ohne diese Hilfsmittel
beseitigen, wieFreddy Camerer festhält,
nämlich indem man am Ende nochmals
stark einheizt. UndFett lässt sich mit
einem gutenFettlöser entfernen, wie er
in derKüche gebräuchlich ist.

Welchen Grill manwählt, hängt vom Ort, vom Budgetoder auchvom Typus der Nutzer ab. CHRISTIAN BEUTLER/KEYSTONE


Freddy Camerer
PD Fleischsommelier

WIR STADTTIERE


Der stil lste


aller Vögel


Urs Bühler·Neulich ist so ein zauber-
haftes Exemplar vor mir herumgetanzt,
mitten in der Stadt, und es packte mich
die Sehnsucht nach einem verlorenen
Paradies: Als Kinder verharrten wir
minutenlang fastregungslos, wenn sich
eine dieser elfenhaften Kreaturen auf
unserer Nase niederliess im Glauben,
das sei eine Blüte, und ihrenRüssel in
salzigePerlen auf der sommerheissen
Haut tauchte statt in bevorzugten Nek-
tar.Wie sehr mussten wir derVersuchung
widerstehen, denFalter zu streicheln!
Doch wir erkannten seine Zerbrechlich-
keit, achteten dieWarnung, jede Berüh-
rung würde ihn zu Staub zerfallen las-
sen,und beobachtetenihn andächtig wie
eine wertvolle Briefmarke.
Heute fragen wir uns, weshalb sich
kein Falter mehr auf unserer Nase nieder-
lassen mag,doch wollen wir nicht zu lange
rätseln.Noch immer lieben wir diese Bot-
schafter derJahreszeit, die sie im Namen
tragen, zumindest in der Schweiz: Som-
mervögel nennen wir diese federleichten
Wesen hierzulande. Im Vergleich dazu
klingt die Bezeichnung «Schmetterling»
fastschon brachial,auch wenn sie sprach-
geschichtlich mit dem Schmettern so we-
nig zu tun hat wie Sommervögel biolo-
gisch mit einemVogel.
Eng begrenzt ist die Zeit, die dieses
Tier im vollendeten Stadium der Geflü-
gelten verbringt, oft auf wenigeTage be-
schränkt. Die kurzeFrist jedoch genügt
seinerOrdnung,das Leben in seiner gan-
zen Buntheit, Schönheit undVielfalt zu
spiegeln, in rund180000Arten weltweit.
Der Grossteil davon sind Nacht-, viele
aberTagfalter,deren Domäne dieFar-
ben sind. Sie tragen diese wie ihre Mus-
terung nicht bloss alsKörperschmuck
wie Zweibeiner ihreTattoos, sondern
beispielsweise als Mimikry zurVerwir-
rung vonFeinden wie beimTagpfauen-
auge, zurTarnung oder zum Anlocken
Paarungswilliger.
Ihr irdischesDasein beginnen sie oft
als überwinterndeRaupe oder Puppe,
was sie zu einemSymbol derVerwand-
lung, zum Inbegriff der Metamorphose
und zuPatrons aller Spätzünder macht:
Auch noch im hässlichsten Räuplein
steckt ein potenzielles Bijou, das unsere
Phantasie derart zu inspirieren vermag,
dass sein Flügelschlag als Beispiel für
dieAuswirkung einer scheinbar winzi-
gen Aktion auf den ganzen Planeten gilt.
Nicht umsonst gelten Sommervögel
als Seismografen des ökologischenSys-
tems, ihr Artenreichtum ist ein Hinweis
auf die allgemeineVielfalt derFauna und
Flo ra einerRegion. Immerhin gut sech-
zig Arten sind in den letztenJahren in
der Stadt Zürich nachgewiesen worden,
und ihre Namen zaubern einLächelnauf
unsere Lippen wie sie selbst:vom Kleinen
Gabel- und vom Schwalbenschwanz, der
bei entfalteten Flügeln wie ein vollkom-
mener Scherenschnitt wirkt, über den
Postillon mit seinem schwarz gesäumten
Gelb und den bedrohten Kleinen Moor-
bläuling,dessen Raupe dieeigentümliche
Gewohnheit hat,in Ameisennestern zu
überwintern, bis zu Mauerfuchs (nicht
bissig!),Waldteufel(nicht bösartig) und
passend gezeichnetemLandkärtchen,das
dem Siegeszug der Navigationsgeräte
tapfer trotzt.
Warum aberkommen wir just an die-
semWochenende auf den Sommervogel?
Vielleicht, weil er bunt und schillernd ist
wie dieParadiesvögel, die an diesem
Street-Parade-Samstag zu stampfenden
Rhythmen durch die Innenstadt ziehen.
Doch ein wie viel leichtflügligerer Tän-
zer – und ein wie viel leiserer er ist!Falls
es überhaupt eine Steigerung von «still»
gibt,ist er der stillsteVogel überhaupt.Ob
ihn wummerndeBässe verzücken oder
bedrücken, entzieht sich unsererKennt-
nis. Fest steht: Er verfügtdurchaus über
akustische Sinnesorgane, erkennbar in
Form von Grübchen an der Brust oder
am Hinterleib. Ohropax hülfen da nichts.
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