Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

32 REFLEXE Samstag, 10. August 2019


Diskussion um «schwarze Null»


Deutschland wird


kaputt subventioniert


Peter A. Fischer· «Haut das Geldraus», fordert die
«Süddeutsche Zeitung» und meint damit deutsche
Politiker und den Staat.Es sei so billig wie noch nie.
Aber gibt der deutsche Staat wegen seinerFixie-
rung auf einen ausgeglichenen Haushalt wirklich zu
wenig aus? 34% derWirtschaftsleistung betrugen
laut Eurostat dieAusgaben der öffentlichen Hand
in der Schweiz im vergangenenJahr.In Deutsch-
land waren es 44% – fast die Hälfte jedes erarbei-
teten Euro also. Nur mitAch und Krach schaffte
der deutscheFinanzminister in Zeiten sprudelnder
Einnahmen seine «schwarze Null».
Doch müsste Deutschland nicht mehr tun, um
seine Infrastruktur zu modernisieren und das Klima
zu rett en? Der deutsche Staat investiert zwar un-
gefähr gleich viel wie der schweizerische, doch die
deutsche Infrastruktur ist manchenorts in schlech-
terem Zustand.Das liegt aber nicht am fehlenden
Geld. Wie die sich ewig hinschleppendenBauvor-
haben der DeutschenBahn oder des Berliner Flug-
hafens illustrieren, fehlt es an Effizienz undkom-
menInfrastrukturvorhabenwegenzuvielBürokratie
und desWiderstands zahlreicher Interessengruppen
nicht voran.Mit entsprechendemWillen und markt-
wirtschaftlicherenAnsätzen liesse sich das ändern.
LetztereszeigtdieDiskussionumsKlima.Deutsch-
land hat Unsummen in dieFörderung erneuerbarer
Energien gesteckt.Konsumenten bezahlenrekord-
hoheStrompreise,geholfenhatdasdemKlimawenig.
NunwollenPolitikerdenBahnverkehrnochmehrver-
billigen.DamitwürdeMobilitätgünstiger,eineMobi-
lität, die auch mit derBahn die Umweltbelastung er-
höht. Um die Umwelt zu schützen, gäbe es wirksa-
mere und erst noch aufkommensneutraleRezepte:
Es gälte bloss die Emissionen flächendeckend teu-
rerzubesteuern und die so erzielten Einnahmenan
die Steuerzahler zurückzuerstatten. Mit einer «Hau-
raus»-PolitikaberspartsichDeutschlandnichtkaputt,
es subventioniert sich auf Pump kaputt.Da müsste
dann dieJugend wirklich schwarzsehen.


Huawei lanciert Harmony-OS


Ein eigenesSoftware-


Ökosystemfür China


StefanBetschon· E ine schöne Bezeichnung für eine
Software, die sich einem Handelsstreit verdankt:
Harmony-OS. Unter diesem Namen hat Huawei
ein Betriebssystem entwickelt, das Android von
Google und iOS von Applekonkurrenzieren soll.
Nach wie vor ist die Software nur in Umrissen be-
kannt, nach wie vor lässt sich über ihre Leistungs-
fähigkeit nur spekulieren. Es ist jetzt aber immer-
hin klar, dass der chinesischeTelekomausrüster ge-
willt ist, eine Alternative zu Android zu entwickeln
und eine App-Ökonomie aufzubauen.
Dank dem grossen Heimmarkt und Allianzen
mit chinesischen Herstellern dürfte es Huawei ge-
lingen, chinesischeAnwendungsprogrammierer für
das Harmony-OS zu begeistern.Auch wenn west-
liche App-Entwickler sich zurückhalten,könnte
sich so neben Android und iOS eine dritte Platt-
form etablieren. DerVersuch des US-Präsidenten,
eine chinesischeFirma zu schwächen, indem er ihr
den Zugang zu US-Technologie verwehrt,hätte das
Gegenteil bewirkt.
Bis vor20 Jahren waren chinesischeRechner auf
der Liste der 500 schnellsten Computer derWelt
nicht vertreten.Dann tauchten,auf hinteren Rän-
gen, die ersten Supercomputer aus China auf.Sie
nutzten – wie die meisten – Prozessoren von Intel.
Dann verbot die US-Regierung 2015 den Export
von leistungsfähigen Intel-Prozessoren nach China.
Die Folge: Im Sommer 2016 übernahmen zwei chi-
nesische Supercomputer die Plätze einsund zwei
auf derTop-500-Liste. Sie bezogen ihreRechen-
kraft aus Sunway genannten Prozessoren chinesi-
scher Provenienz. Die jüngsteTop-500-Liste wird
zwar wieder von einem amerikanischenSystem an-
geführt, doch zahlenmässig dominieren die Super-
computer aus China: Es gibt in diesemLand fast
doppelt so viele von ihnen wie in den USA. Chine-
sische Hersteller wie Lenovo, Inspur oder Sugon
konnten amerikanischeKonkurrenten wie Hewlett
Packard Enterprise und Cray verdrä ngen.

NeueModelle für dieChefetage


Weg mitden


Alleinherrschern


DominikFeldges·Eine Für Konzernchefs alter
Schule wird es eng.Wer nach wie vor bei jeder Ge-
legenheit Anzug und Krawatte trägt (männliche
Vertreter sind in den Chefetagen bekanntlich noch
immer dominierend), wirkt antiquiert in einer Ge-
sellschaft, die sich zunehmend umKonventionen
foutiert.So erstaunt es nicht,dass der Schlips selbst
bei wichtigen Meetings mittlerweile fast tabu ist.
DochderWandelbetrifftnichtnurÄusserlichkeiten.
Bemerkenswert ist, wie viele Grossfirmen
gegenwärtig dieRolle desKonzernchefs neu defi-
nieren.Man will an der Spitzekeinen alles entschei-
dendenManager mehr haben.Vom obersten Chef
wird vielmehr erwartet, dass erVerantwortlichkei-
ten stark an die nächsteFührungsstufe, in derRegel
die Spartenleiter, überträgt. Die einzelnen Unter-
nehmensbereiche, deren Geschäfte trotz wachsen-
der Fokussierung bei vielenFirmen noch immer
bedeutende Unterschiede aufweisen, sollen so be-
fähigt werden, flexibler zu agieren. In einerWelt,
die sich besonders im Zuge der Digitalisierung,
aber auch wegen der immer weiter voranschrei-
tenden Globalisierungrasch verändere, bleibe den
Konzernen garkeine andereWahl, heisstes.
Besonders augenfällig praktiziert dieses Modell
der neue Chef des Pharmamultis Novartis,Vas
Narasimhan. Als er im vergangenenJanuar erst-
mals durch eine Bilanzmedienkonferenz derFirma
führte, versammelte er auf der Bühne die gesamte
Konzernleitung um sich. «Seht her, wir sind ein
Team, ich entscheide nicht allein», lautete die Bot-
schaft. Narasimhan erhält für seinenFührungsstil
intern und extern viel Lob.Allerdings läuft es dem
Konzern zurzeit geschäftlich auch blendend, von
einem jüngsten Betrugsfall in derForschungsabtei-
lung einmal abgesehen. Noch istallerdings nicht be-
wiesen, ob dieses Modell auch in schwierigen Zei-
ten funktioniert.Vielleicht wünscht man sich dann
doch wieder eine eher autoritärePersönlichkeit,die
schnell undresolut durchgreift.

Reflexe

Kommentare
zum Wirtschaftsgeschehen

EineVeranstalt ungvonPartner

Im ZeitaltervonDemokratie undMeritokratie hatsich dasSpiel der Machtaus-
differenziert und entschärft. Um handlungsfähig zusein,bedürfen Gesellschaften
der Eliten, doch gleichzeitig bleiben dieseEliten eingebunden in ein funktionales
System,das ihre Machtbeschränkt. Machtgrenzt heute immerauch an Ohnmacht:
Werhochsteigt,kannauchtief fallen.

Datum
Sonntag,1. September2019
17.00Uhrbis18.30Uhr
(TüröffnungAuditoriumum16.30Uhr)

Ort
Auditorium,KKLLu zern

Tickets
EintrittFr. 30.–,ermässigtFr. 10.–
Tickets könnenausschliesslichüberdas
LUCERN EFESTIVALbezogenwerden.

Weiter eInformationen
podium.nzz.ch

Anmeldung

lucernefestival.ch


0412264480


Macht–Spiel undSchrecken


Moderation
Dr.MartinMeyer, LeiterNZZ-Podium

NZZPODIUMLUZERN


Bild:Karl TheodorvonPiloty

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RainerHank
JournalistundBuchautor

MichelineCalmy-Rey
AltBundesrätin

IgorLevit
Pianist

MichaelHaefl iger
IntendantLUCERNE
FESTIVAL

Einleitungsreferat DiskussionsteilnehmerInnen
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