Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

Samstag, 10. August 2019 INTERNATIONAL


Kommentar


Deutschland


muss mehr tun


MARC FELIX SERRAO, BERLIN

Etwa 35 000 amerikanische Soldaten
und 17000 amerikanische Zivilisten
arbeiten in Deutschland im Dienste der
amerikanischen Streitkräfte. Eskönn-
ten schon bald deutlich weniger sein.
Der Botschafter derVereinigten Staa-
ten in Berlin, DonaldTr umpsVertrauter
Richard Grenell, hat kurz vor der nächs-
ten Europareise seines Chefs laut über
einenTr uppenabzug nachgedacht. Es sei
«wirklichbeleidigend», zu erwarten, dass
amerikanische Steuerzahler für diese
Stationierung bezahlten, während die
Deutschen ihren Handelsüberschuss für
heimische Zwecke verwendeten, sagte
er der Deutschen Presse-Agentur. Zahl-
reiche amerikanische Präsidenten hät-
ten die grössteVolkswirtschaft Europas
in derVergangenheit gebeten, für ihre
eigeneVerteidigung zu bezahlen. Nun
sei man an einem Punkt angelangt, an
demreagiert werden müsse.
Es ist nicht das erste Mal, dass Grenell
aufdiplomatische Gepflogenheiten pfeift
und sein Gastland öffentlich massregelt.
Der Stil mag harsch sein. In der Sache hat
der Botschafterrecht. Die Bundesrepu-
blik hältsich schon seitJahren nicht an
dieVerpflichtungen gegenüber den Nato-
Partnern. Zwei Prozent des Bruttoinland-
produkts soll jedesLand fürVerteidigung
ausgeben; darauf haben sich die Mitglie-
der des Bündnisses geeinigt, um dieLas-
ten fairer zuverteilen. Deutschland ist
weit von diesem Ziel entfernt.
Die neue Verteidigungsministerin
Annegret Kramp-Karrenbauer vonder
CDU hat sich zwar zur Nato bekannt und

angekündigt, an der Zwei-Prozent-Marke
festzuhalten.Aber das dürfte schwierig
werden.Aus denReihen desKoalitions-
partners SPDkommen ganz andere, gif-
tigeTöne. DerenkommissarischerFrak-
tionschefRolf Mützenich hat die Debatte
über denVerteidigungsetat unlängst als
«Kampf ums Goldene Kalb» verspottet
undTr ump als «Rassisten» beschimpft.
Das warkeinAusrutscher. Die SPD ver-
breitet seit Monaten Anti-Trump-Bot-
schaften.Amerikas Präsident ist für die
führendenKöpfe der ältesten deutschen
ParteikeinPolitiker mehr, dem man in
der Sache widerspricht, dessen Amt man
aber ein Mindestmass anRespekt ent-
gegenbringt. Er ist ein Gegner. Das Kal-
kül der Genossen ist klar. In den Umfra-
gen saust die einstigeVolksparteiimmer
neuenTiefs entgegen. Also versucht sie
es mit einemFeindbild, das viele Deut-
sche teilen:Tr ump. Der Erfolg dieser
Strategie lässt allerdings auf sich warten.
Bei der Europawahl ist die selbsterklärte
Europapartei trotzdemabgestürzt.
Es wäre interessant zu beobachten,
was passiert, wenn die Amerikaner ihre
Tr uppen wirklichaus Deutschlandabzie-
hen und etwa nachPolen verlegen wür-
den.FallsTr umpkommendesJahr wie-
dergewählt wird, wofür einiges spricht,
könnte sich ein neuer Riss auftun, mit-
ten in Europa.Dann stünde der Osten
desKontinents mit denBalten,Polen,
Slowaken und Ungarn fest an der Seite
der Amerikaner; die Briten gehörten im
Westen selbstverständlich auch dazu.
Und die Deutschen? Sie würden sich
mit ihrem marode ausgestatteten, unter-
finanzierten und ungeliebten Militär in
einem aussen- und sicherheitspolitischen
Niemandsland wiederfinden. DieFrage
ist, ob die meinungsbildende Schicht des
LandesdieseLagerechtzeitig bemer-
ken würde. Oder ob sie sich mehr denn
je imRecht wähnen und auf die Allianz
der «Populisten» schimpfen würde, die
Europa, ihr Europa, kaputt mache.

Deutschland
könnte sich
in einem aussen- und
sicherheitspolitischen
Niemandsland
wiederfinden.

«Der Narco muss weg!»


Ein amerikanisches Gerichtsdokument befeuert Protes te gege n den honduranischen Präsidenten


SAMUEL MISTELI


Es riecht nach verbranntenReifen und
Tr änengas inTegucigalpa, der Haupt-
stadt von Honduras, in diesenTagen.
Das liegt wesentlich an einem Doku-
ment, das Staatsanwältebei einem Ge-
richt in NewYork eingereicht haben. In
der 44-seitigen Akte ist von einem «Mit-
verschwörer 4» dieRede, der an einem
Pakt beteiligt gewesen sein soll, der ihn
zum Präsidenten von Honduras machen
würde. Drogengeld im Umfang von ein-
einhalb Millionen Dollar soll an lo-
kalePolitiker geflossen sein. Diese soll-
ten Unterstützung für «Mitverschwörer
4» mobilisieren. Der Beschuldigte wird
nicht namentlich genannt, doch er ist
unschwer zu identifizieren: 2013 sei er
zum Staatspräsidenten gewähltworden,
heisst es. Damals zogJuan Orlando Her-
nández in den Präsidentenpalast ein,der
noch immer amtierende Staatschef.
In den vergangenenTagen demons-
triertenTausende gegen den Präsiden-
ten.Sie riefen: «Der Narco muss weg!»,
und zogen zumParlament. Die Demons-
tranten steckten mehrere Gebäude in
Brand und gerieten mit den Sicherheits-
kräften aneinander. Diese setztenWas-
serwerfer undTr änengas ein.
Der Präsident stellte sich als Op-
fer einerVerleumdungskampagne dar,
die von Drogen-Gangs und politischen
Gegnern orchestriert werde. Die Dro-
genhändler nähmen es ihm übel, dass sie
von seinerRegierung bekämpft würden.


Kokainin dieUSA geschmuggelt


Für viele Honduraner klingtdasfaden-
scheinig. DieVorwürfe in dem Gerichts-
dokument sind nur die neuesten in einer
Reihe von Skandalen, die den Präsiden-
ten als Kriminellen erscheinen lassen.
Bereits Ende Mai war bekanntgewor-
den, dass die amerikanische Drogen-
behörde DEA gegen Hernández und
einige seiner engsten Berater ermittelt.
DerVorwurf: Drogenhandel im grossen
Stil und Geldwäscherei.
Die neuenVorwürfe sindTeil eines
Gerichtsverfahrens gegen den Bru-
der des Präsidenten.Tony Hernández
wurde im November 2018 in Miami fest-
genommen. Die amerikanischenJustiz-
behörden werfen ihm vor, am Schmug-
gel mehrererTonnenKokain in die USA
beteiligt gewesen zu sein. DieKokain-
Pakete sollen mit seinen Initialen be-
druckt gewesen sein. Der Prozessbeginn
ist für Oktober vorgesehen.
Die Legitimität vonJuan Orlando
Hernández war jedoch schon beschädigt,


bevor die mutmasslichenVerbindungen
zumorganisiertenVerbrechenans Licht
kamen. 20 17 hatte sich der 50-Jährige in
einer umstrittenenWahl eine – eigentlich
verfassungswidrige – zweite Amtszeit er-
kämpft.BeiderAuszählung der Stimmen
lagder Kandidat der Opposition rund
fünf Prozentpunkte vorne, bis das elek-
tronischeWahlsystem ausfiel. Als es nach
mehreren Stunden wieder aufgeschaltet
wurde, lag Hernández inFührung. Die
Organisation Amerikanischer Staaten
(OAS) bezeichnete dieWahl als illegitim.
Der zutiefst unbeliebte Hernández
regiert einLand, das täglich von Hun-
derten verlassen wird. Siereisen fast
ausnahmslos Richtung amerikanische
Grenze.Im Herbst 20 18 hatten meh-
rere«Karawanen» von Migranten für
Aufsehen gesorgt, die ihren Ursprung
in Honduras hatten. Seit Oktober 20 18
haben die amerikanischen Grenzbehör-
den rund 230 000 Honduranerinnen
und Honduraner aufgegriffen.Das ent-
spricht einemVierzigstel der hondurani-
schen Gesamtbevölkerung.
Hondurasgehört zu den ärmsten
Ländern Lateinamerikas.Zwei Drit-

tel der Bevölkerung leben unter der
Armutsgrenze. Das Land hat zudem
eine der höchsten Mordraten derWelt,
was stark mit der Gewalt krimineller
Banden zusammenhängt. Diese sollen
für fast die Hälfte allerTötungsdelikte
verantwortlich sein.
Zur misslichenLage desLandes trägt
aber auch die politische Elite desLan-
des bei, die als hochkorrupt gilt und oft
mit der organisierten Kriminalität ver-
bandelt ist. Präsident Hernández trat
sein Amt 2013 mit demVersprechen an,
gegen das organisierteVerbrechen und
dieKorruption vorzugehen.Das Bild
des Saubermanns lag bald inTr ümmern.
2015 wurde bekannt, dass über 350 Mil-
lionenDollar aus der staatlichen Kran-
kenkasse entwendet worden waren –
Teile des Geldes waren in Hernández’
Wahlkampagne 2013 geflossen.
Hernández hat Proteste gegen seine
Regierung mehrmals mit Gewalt beant-
worten lassen.Laut Menschenrechtsorga-
nisationen erschossen die Sicherheits-
kräfte nach der umstrittenenWieder-
wahl 20 17 mindestens 35 Demonstran-
ten.Auch in den vergangenen Monaten

ist es immer wieder zu Protesten gekom-
men.Laut Amnesty International wur-
den dabei mindestens sechs Demonstran-
ten getötet,Dutzende wurden verletzt.

Baldein sicherer Drittstaat?


Die USA, derenJustizbehörden Her-
nández nunVerstrickungen mit der
organisierten Kriminalität vorwerfen,
haben den Präsidenten bisher äusserst
nachsichtig behandelt. Die amerikani-
scheRegierung sah Hernández bisher
trotz allen Skandalen alsPartner bei der
Bekämpfung von Migration und Dro-
genhandel.
Zurzeit verhandeln die USA laut
Angaben des Ministeriums für Inland-
sicherheit mit der honduranischen
Regierung über ein Abkommen, das
Honduras zu einem sicheren Drittstaat
erklären soll. Es solldenamerikani-
schen Behörden ermöglichen, Migran-
ten, die durch Honduras reisen und spä-
ter in den USA umAsylersuchen, zu-
rückzuschaffen. Eine ähnliche Über-
einkunft hatten die USA EndeJuli mit
Guatemala getroffen.

Nationaldienst ab der Se kundarschule


Der Bericht einer Menschenrechtsorganisation liefert neue Details zu Eritreas «Schule der Nation»


CHRISTIAN PUTSCH, KAPSTADT


Am 2.August feierte Eritrea mit gros-
sem Brimborium das 25-jährige Be-
stehen seines umstrittenen «National-
dienstes».An der Militärparade waren
Panzer und Kampfhelikopter zu sehen.
Das offizielle Motto derFeierlichkeiten
lautete «die perfekteWahl für Nachhal-
tigkeit».Millionen Menschenseien die-
sem verpflichtet, teilten die Behörden in
Asmara in gänzlicherVerkennung der
Realität mit.Tatsächlich ist der Natio-
naldienst einer der Hauptgründe, warum
zahlreiche Eritreer aus ihrer Heimat
fliehen. Bis zum 50. Lebensjahrkönnen
Männer undFrauen zur Ableistung ge-
zwungen werden.Verdonnert werden
sie nicht nur zu militärischen Einsätzen,
sondern auch zuAufgaben in derVer-
waltung,in Schulen, Krankenhäusern
oder Hotels.


Misshandlungen im Militärcamp


In einem am Donnerstag erschienenen
Bericht hat die Menschenrechtsorga-
nisation Human RightsWatch (HRW)
dasLand für die Zwangsrekrutierungen


zum wiederholten Mal scharf kritisiert.
Die Studie zeigt, dass junge Eritreer oft
noch vor Beendigung der Schule einge-
zogen werden.Viele Sekundarschülerin-
nen und Sekundarschüler absolvierten
ihr letztes Schuljahr in dem berüchtig-

ten Sawa-Militärcamp in der Nähe der
sudanesischen Grenze. Hierkommt es
gemäss dem Bericht immer wieder zu
Misshandlungen. Die Schulen in Eri-
trea stünden im Zentrum desrepressi-
venSystems, mit dem dasRegime unter
Präsident IsaiasAfewerki die Bevölke-
rungkontrolliere,sagteLaetitiaBader,
eine derAutorinnen der Studie. Die In-
formationen basieren auf Gesprächen
mit 73 Eritreern und Eritreerinnen im

Exil. HRWwirft derRegierungzudem
vor, dass sich auch nach dem jüngsten
Friedensschluss mit Äthiopien nichts an
dieser Praxis geändert habe. Der lang-
jährigeKonflikt mit dem Nachbarland,
von dem sich Eritrea1993 abgespalten
hatte,galt bisher als offizielle Begrün-
dung für den Dienst.
Laut einer Studie aus demJahr 2013
beträgt die durchschnittlicheDauer des
Nationaldienstes in Eritrea knapp sechs
Jahre. Allerdings behält sich der Staat
dasRecht vor, Absolventen auch danach
jederzeit wieder einzuziehen.Wer deser-
tiert und aus demLand flüchtet, drohen
bis zu fünfJahre Haft.

«KeineVerbesserung»


Auch die Uno hatte die anhaltend be-
sorgniserregende Menschenrechtslage
in Eritrea jüngst immer wieder kriti-
siert. «Im vergangenenJahr haben wir
in Bezug auf dieEinhaltung derMen-
schenrechtekeineVerbesserung fest-
stellenkönnen», hatte Kate Gilmore, die
stellvertretende Uno-Menschenrechts-
kommissarin, imFrühjahr gesagt. Noch
immerkomme es imRahmen des Natio-

naldienstes regelmässig zu sexueller Ge-
walt, Folter und Zwangsarbeit. Unlängst
warf die Uno-Sonderbotschafterin für
Menschenrechte in Eritrea, Daniela
Kravetz, dem eritreischenRegime zu-
dem dieVerfolgung von Christen vor.
Das Regime habe willkürlich orthodoxe
und freikirchliche Gläubige festgenom-
men. Asmara wies dieVorwürfe zurück
und lässt dieSonderbotschafterin wei-
terhin nicht insLandreisen.
In den vergangenenJahren hatte es
zum Nationaldienst jedoch auchrela-
tivierende Angaben gegeben. So kam
das Europäische Unterstützungsbüro
für Asylfragen, eine EU-Agentur, im
Jahr 20 15 ineinem Bericht zum Schluss,
dassWehrdienstverweigerer «nur noch
für einigeWochen oder Monate» in-
haftiert würden.Dasentspricht in etwa
demSprachgebrauch von hochrangi-
gen Ministern Eritreas.AuchFamilien-
besuche in der Heimat von imAusland
lebenden Eritreern seien «offenbar
ohneKonsequenzen» möglich.Verschie-
dene zivilgesellschaftliche Organisatio-
nen haben den Bericht allerdings kriti-
siert und die EU derVerharmlosung der
Menschenrechtslage bezichtigt.

Isaias Afewerki
PD Präsidentvon Eritrea

Demonstranten inTegucigalpafordern den Rücktrittvon PräsidentJuan Orlando Hernández. GUSTAVO AMADOR /EPA
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