Neue Zürcher Zeitung - 10.08.2019

(Ann) #1

8MEINUNG & DEBATTE Samstag, 10. August 2019


Geldpolitik der Notenbanken


In den Fängen der Politik


Gastkommentar
von RUDOLF MINSCH


Alan Greenspan, derVorvorvorgänger vonJe-
romePowell alsVorsteher der amerikanischen
Zentralbank (Fed), machte sich einen Namen als
Retter derFinanzmärkte. Seitherkönnen langfris-
tige Anleger, Hedgefonds, Spekulanten, kurzum
alle Investoren an den Bond- und Aktienmärk-
ten, damitrechnen, dass ihnen bei einem Crash
die Notenbank zur Seite steht. Nach demAus-
bruch derFinanzmarktkrise begnügten sich die
grossen Notenbanken aber nicht mehr mit dieser
Rolle: Sie wollten nicht nur das Instrument der
Zinssenkungen einsetzen, um in Krisenzeiten für
ausreichend Liquidität zu sorgen.
Mit dem Instrument der quantitativen Locke-
rung wollte und will man die langfristigen Zinsen
drücken, indem man grosse Mengen an Anleihen
auf dem Markt aufkauft.Das historische Experi-
ment wurde vomFed lanciert und von der Euro-
päischen Zentralbank (EZB) und derBank of
Japan übernommen. Die Schweizerische Natio-
nalbank (SNB) musste intervenieren, damit der
Franken nicht durch die Decke schoss. Die un-
erhörte Geldmenge, die dieWelt seit 2008 über-
flutet, breitete sich auf dieseWeise unaufhaltsam
von den USA nach Europa und Asien aus.
Während einige Ökonomen davon ausgehen,
dass diese massive geldpolitische Lockerung für
das Überleben des weltweitenFinanzsystems
nach 2008 nötig gewesen ist, zweifeln andere
generell an dessenWirksamkeit. Zwar weiss nie-
mand, wie sich dieWeltwirtschaft ohne quantita-
tive Lockerung entwickelt hätte. Hingegen wer-
den die langfristigenKollateralschäden dieser
Politik immer deutlicher. Besonders problema-
tisch ist, dass neben den bekanntenVerzerrungs-
effekten an den Immobilien- undFinanzmärkten
die Institutionen nun selber unter grossen politi-
schen Druck geraten.
Diesen Druck lediglich dem erstarktenPopu-
lismus zuzuschreiben,greift jedoch zu kurz. Die
Notenbanken haben ihren Anteil daran, dass
diePolitik stärkeren Einfluss auf die Geldpoli-
tik ausüben will. Denn sie griffen nach den Ster-
nen und packten dazu die ganz grosse Kanone
aus. Sie liessen dieWelt wissen,wie mächtig sie
sind, und zeigten, dass die Geldpolitik kurzfristig
dieKonjunktur stimulieren kann in einemAus-


mass, zu dem diePolitik nicht in derLage ist. Nei-
disch blicken deshalb vieleRegierungen auf diese
Gewaltfülle vonFunktionären, die sich in kurzer
Zeit zuRockstars mauserten. Die geldpolitische
Lagebeurteilung wurde zum Medienhype. Seit
der Einführung des Prinzips derForward Gui-
dance – der Beeinflussung der Erwartungen von
Marktakteuren über die Prognosen der Noten-
bank – kleben dieKommentatoren an den Lip-
pen desVorsitzenden und legen jedesWort auf
die Goldwaage.
Immer mehr entstand in den letztenJahren
so der Eindruck, dass nicht diePolitik fürVoll-
beschäftigungund Stabilität zuständig sei, son-
dern die Notenbanken. Diese sind ja offen-

sichtlich in derLage, die Märkte zu bewegen.
Hier endlose Budgetdebatten mit eingespielten
Checks andBalances, die eine ausufernde Staats-
verschuldung eigentlich verhindern sollten.Da
ein nicht demokratisch gewähltesKollegium, das
ein Anleihekaufprogramm in Milliardenhöhe
über Nacht beschliessen kann. Hier lange Zeit-
verzögerungen, bis eine Massnahme wirkt, da un-
mittelbareAuswirkungen auf dieFinanzierung
von Investitionen.VomRetter in der Notavan-
cierten die Notenbanken zumRetter für alles.
Doch leider ging darüber vergessen, dass
Geldpolitik zwar kurzfristig stimulieren kann,
langfristigesWachstum einer Volkswirtschaft
aber durch fundamentaleFaktoren wie unterneh-
merischenFreiraum, dieVerfügbarkeit vonFach-
kräften,den Zugang zuausländischen Märkten,

eine gute Infrastruktur, hochstehendeForschung,
eine moderate Steuerbelastung oder einen mög-
lichst liberalen Arbeitsmarkt bestimmt wird.
GuteWirtschaftspolitik ist allerdings Knochen-
arbeit und für den populistischenSchnellschuss
kaum geeignet.
Und wenn die Notenbanken schon bei einem
Crash zu Hilfe eilen, hohe Staatsschulden durch
tiefe Zinsen erträglich machen oder marodeBan-
ken vor dem Untergang bewahren, wieso sollten
sie dann nicht diePolitik direkt unterstützen? Die
Forderungen derPolitik an die Notenbanken sind
denn auch unverblümt: Das Fed solle die Zinsen
doch um 0,5Basispunkte senken, forderte Präsi-
dentTr ump kürzlich. Die Geldpolitik solle den im
Handelskonflikt mit China entstehenden volks-
wirtschaftlichen Schaden ausbaden. AlsPowell
die Zinsen um 0,25 Punkte senkte, begründete er
diesen Schritt denn auch vor allem mit den Un-
sicherheiten des Handelskonflikts.Auch in der
EU wird vor allem seitens der Südländer eine
Fortführung der geldpolitischen Lockerung ge-
fordert. Die Unabhängigkeit derBankofJapan
wurde schon vorJahren stark eingeschränkt. Die
grossen Notenbanken geraten immer mehr in die
Fänge derPolitik.
Die Notenbanken sind mitschuldig an dieser
Entwicklung. «Die ich rief, die Geister, werdich
nun nicht los.»
Nochsind nicht alleDämme gebrochen. Aber
der Angriff auf die Notenbanken wird immer
stärker. So irrlichtert derzeit eine neue«T heorie»
von Amerika her nach Europa. Gemäss der Mo-
dern MonetaryTheory soll der Staat gänzlichvon
Budgetsorgen befreit werden, denn die Noten-
bank kann ja endlos Geld für Staatsausgaben
zurVerfügung stellen. In Europa kann sich der
«Club Med» weiterhin auf die EZB-Spitze verlas-
sen, auch wenn die Deutschen mit dieserPolitik
unzufrieden sind.Koste es, was es wolle.
Auch hierzulande gelüstet es manchePoliti-
ker danach, die SNB für parteipolitischeForde-
rungen zu instrumentalisieren.Während wir in
der Schweiz die geldpolitischen Experimente der
grossen Notenbanken nicht beeinflussenkönnen,
können wir immerhin unsereAufgaben erledigen:
Es ist in diesen Zeiten wichtiger als je zuvor, die
Unabhängigkeit der SNB zu verteidigen.

RudolfMinschist Chefökonom bei Economiesuisse.

Debatteumeuropäische Mission


Deutschland muss sich im Persischen


Golf den realen Problemen stellen


Gastkommentar
von SEBASTIAN BRUNS undJOACHIM KRAUSE


Derzeit wird inPolitik und Medien leidenschaft-
lich über dieLage amPersischen Golf diskutiert,
wobei sich alles auf dieFragekonzentriert, ob
Deutschland an einer maritimen Militärmission
zum Schutz der zivilen Schifffahrt mitmacht.
Eine Anfrage der US-Regierung zurTeilnahme
an einer derartigen Mission wurde von der Bun-
desregierung auffallend schnell abgelehnt,an-
geblich, weilWashington aufKonfrontation und
Eskalation setze. Um den Eindruck zu vermei-
den, Deutschland sei sich seinerVerantwortung
für dieFreiheit der internationalen Seewege
nicht bewusst, sprechen sich mittlerweilePoli-
tiker aller wesentlichenParteien für eine deut-
sche Beteiligung an einer dezidiert europäi-
schen Mission am Golf aus. Diesekönne der De-
eskalation dienen und dieVoraussetzungen für
eine diplomatische Lösung schaffen. Solcheine
Debatte bedient vornehmlich innerdeutsche Be-
findlichkeiten und geht weitgehend an den poli-
tischenRealitäten vorbei.Sie verstellt zudem
den Blick dafür, dass eine Anpassung der euro-
päischen Iran-Politik an die veränderten Um-
stände überfällig ist.
Die Entsendung einesrein europäischenKon-
tingents an Marineschiffen wirdschon daran
scheitern, dass die dazu notwendigen Seestreit-
kräfte nicht zurVerfügung stehen, weil die euro-
päischen Marinen zu klein und zumeist ander-
weitig engagiert sind.Auch fehlt es an der not-
wendigen Infrastruktur. Lediglich Grossbri-
tannien hat einen kleinen Marinestützpunkt in
Bahrain,Frankreich in Abu Dhabi und schon weit
entfernt in Djibouti. Selbst wenn es gelänge, zu-
sammen eine kleine Flottille zu stellen,könnte
diese bestenfalls eine symbolische Präsenz ge-


winnen. Für mehr fehlt es anAufklärungsfähig-
keiten und vor allem an Luftunterstützung. Die
gesamten Seewegekönnen diese Schiffe ohne-
hinnicht begleiten, denn einTeil der Seeverkehrs-
wege durchläuft iranischeTerritorialgewässer.
Zudem wäre die EU-Armada verwundbar gegen
asymmetrische Attacken derRevolutionsgarden
oder mit ihnen verbündeter Milizen. EinenVor-
geschmack davonkonnte man vor nicht allzu lan-
ger Zeit im südlichenRoten Meer bekommen,
wo die Huthi mit iranischer Hilfe Kriegsschiffe
auf unkonventionelle Art versenkt oder schwer
beschädigt haben. Eine europäische Marinemis-
sion wäreüberaus riskant und völligeigenstän-
dig nicht denk- und durchführbar. Nicht zuletzt
deswegen haben sich Grossbritannien und andere
EU-Mitglieder von dieser Idee verabschiedet.
DesWeiteren hat sich diePolitik der USA
ebenso verändert wie die Irans.Vor diesem Hin-
tergrund ist eine Anpassung der deutschen wie
der europäischenPolitik dringend erforder-
lich.Auf derPosition zu verharren, wonach das
Atomabkommen mit Iran vom Sommer 20 15
(dasJCPOA) dadurch gerettet werden muss, dass
man diePolitik derTr ump-Administrationkon-
terkariert, hat immer wenigerSinn. Dieeinseitige
Kündigung derVereinbarung durch Präsident
Tr ump war einFehler, aber das trotzigeFest-
haltenderEU am JCPOA und das Unterlaufen
der US-Sanktionen gegenIranhaben sich nicht
als zielführend erwiesen. DieWucht der Sank-
tionenkonnte durch die Gegenmassnahmen der
Europäer nicht gedämpft werden.In Iran setzt
kaum jemand Hoffnung auf die Europäer –
eher aufRussland und China. Zudem steigt Iran
Stück für Stück aus dem Abkommen aus und
versucht mitrelativ grossem Erfolg,Amerikaner
und Europäer zu spalten.Wichtig ist daher jetzt,
dass Europäer und Amerikaner zu einer gemein-

samenPolitik finden.Das ist nicht ausgeschlos-
sen, da sich dieTr ump-Administration in ihrer
Zielvorgabe deutlich gemässigt hat.Weder steht
derRegimewechsel inTeheran auf der Agenda,
noch scheint der amerikanische Präsident an
einer militärischen Intervention interessiert zu
sein. Im Gegenteil: Die US-Administrationsetzt
ganz auf dieAuswirkungen der wirtschaftlichen
Sanktion,umeine nachhaltigere Denuklearisie-
rung Irans zu erreichen. Es ist das erklärte Ziel
der USA, die militärische Eskalation zu verhin-
dern.Damit sind Europäer und USA nicht weit
auseinander.
Eine innerwestliche Annäherung ist auch des-
halb wichtig, weil diekommenden Monate eher
eine Zuspitzung der Krise erwarten lassen. Die
wirtschaftlicheLage in Iran wird kritisch werden,
und dieWahrscheinlichkeit provokanter Aktio-
nen derRevolutionsgarden wird zunehmen. Es
wäre besser, wenn der deutscheAussenminister
nicht in europäische Hauptstädte fährt, um für
das Projekt einer europäischen Marinemission
zu werben, sondern wenner sich stattdessen zu-
sammen mit seinen britischen und französischen
Kollegen nachWashington begibt, um gemeinsam
nach einer Lösung für den innerwestlichen Zwist
in dieserAngelegenheit zu suchen.In der gegen-
wärtigen Phase geht es darum, wie man einerseits
eine militärische Eskalation verhindern, anderer-
seits durch Druckausübung eine Anpassung des
Atomabkommens von 20 15 erzielen kann. Un-
möglich ist das nicht, zumindest istdieserWeg
sinnvollerals die derzeitige deutschePolitik, die
an ihr Ende gekommen ist.

SebastianBrunsleitet die Abteilung Maritime Strategie
& Sicherheit amInstitut für Sicherheitspolitik an der Uni-
versität Kiel,JoachimKrause,Professorfür internatio-
nale Politik, istDirektor des Instituts.

Ausgehend von den USA,


überflutet seit 2008


eine unerhörte Geldmenge


dieWelt.


Baurecht imStockwerkeigentum


Konstrukt


mit Fa llstricken


Gastkommentar
von THOMASJ. WENGER und MAXI ANNINA MÜLLER

Vor allem in Städten werden Gebäude häufig
«imBaurecht» verkauft. An solchenBaurech-
ten kann Stockwerkeigentum begründet wer-
den.Was bedeutet dies für den einzelnen Stock-
werkeigentümer?Essind mehr als fünfzigJahre
vergangen, seit das Stockwerkeigentum Ein-
gang ins Schweizerische Zivilgesetzbuch ge-
funden hat. Gleichzeitig wurden auch die Be-
stimmungen zumBaurechtrevidiert und er-
weitert. Seitdem ist die Begründung von Stock-
werkeigentum an einemBaurecht möglich und
in der Praxisregelmässig anzutreffen.
Das Stockwerkeigentum umfasst diesfalls
nur das Gebäude, aber nicht den Boden. Die
Stockwerkeigentümer sindBauberechtigte, und
jeder von ihnen hat ein Sonderrecht an einem
Gebäudeteil. Das Baurecht kann in solchenFäl-
len für eineDauer von höchstens hundertJah-
ren begründet werden und endet mit deren Ab-
lauf automatisch, wenn nichtrechtzeitig eine
Verlängerung erfolgt. Mit dem Endeund da-

mit dem Untergang desBaurechts erfolgt der
sogenannte Heimfall, das heisst, das Gebäude
geht ins Eigentum des Bodeneigentümers über.
Mit dem Heimfall gehen auch das Stockwerk-
eigentum sowie sämtlicheDienstbarkeiten und
Pfandrechte unter, die amBaurecht oder an ein-
zelnen Stockwerkeinheiten begründet wurden.
DerVertrag über dieVerlängerung desBau-
rechts bedarf der Mitwirkung des Bodeneigen-
tümers und sämtlicher Stockwerkeigentümer.
Diesekönnen nur einstimmig über die gemein-
same Sache verfügen.Wenn also in einer Ge-
meinschaft mit über fünfzig Stockwerkeigen-
tümern eineVerlängerung desBaurechts erfol-
gen soll, kann das Unterfangen unter Umstän-
den durch einen Querulanten, durch denTo d
oder die Demenz eines Stockwerkeigentümers
blockiert werden. Mit einstimmigem Beschluss
der Stockwerkeigentümer ist es zudem möglich,
für die künftigeVerlängerung die Zustimmung
der Mehrheit vorzusehen.Kommt es zukeiner
Verlängerung, ist häufig die Höhe der für den
Heimfall zu bezahlenden Entschädigung strei-
tig. Nicht selten erfolgt derenFestlegung durch
ein Schiedsgutachten oder ein Gericht.
Im Stockwerkeigentumsverhältnis stellt sich
zudem dieFrage, wie die Entschädigung unter
den ehemaligen Stockwerkeigentümern zu tei-
len ist. OhneanderslautendeVereinbarung er-
folgt dies gemäss derWertquoten. Unterschied-
liche Investitionen für denAusbau der einzelnen
Stockwerkeinheiten werden dabei nicht berück-
sichtigt. Ein Stockwerkeigentümerkönnte also
für seine Investitionen eine zu tiefe Entschädi-
gung erhalten. Im Extremfall ist diese für dieTil-
gung seiner Hypothekarschuld nicht ausreichend.
Eine weitere Herausforderung besteht zu-
dem während derDauer desBaurechts betref-
fend den Gebäudeunterhalt.Das gilt insbeson-
dere, wenn es umkostenintensiveRenovationen
wieDach- oderFassadensanierungen geht.Auch
dafür ist ein Beschluss der Stockwerkeigentümer
nötig. Der Entscheid hängt oft davon ab, ob zu-
sätzliche Beiträge geleistet werden müssen.Jeder
Eigentümer hat deshalb ein Interesse daran,
dass ein genügender Erneuerungsfonds geäuf-
net wurde undBauvorhaben nicht an der feh-
lenden Liquidität einzelnerParteien scheitern.
Das Stockwerkeigentum wie auch dasBau-
recht sind anspruchsvolleRechtsverhältnisse.
Es gilt, verschiedenste Interessen unter einen
Hut zu bringen und sachgerechteRegelungen
für bis zu hundertJahre zu treffen, die einerseits
klar und präzise sind, andererseits aberRaum
lassen für die sich laufend änderndenVerhält-
nisse und Bedürfnisse.
Das fachmännische Abfassen desBaurechts-
vertrags, der Stockwerkbegründung und des
Reglements der Stockwerkeigentümer beugt
späterenAuseinandersetzungen vor. Für viele
Baurechte naht nach über fünfzigJahren lang-
sam, aber sicher das vertragliche Enddatum.
Stockwerkeigentümer sind gut beraten, die da-
mit verbundenen Unsicherheiten durch früh-
zeitigeVerlängerung zu beseitigen.

ThomasJ.WengeristNotar und Partner, Maxi
Annina Mül lerMLawbei HäusermannundPartner.

Ve rschiedene Interessen


müssen unter einen Hut


gebracht werden.

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