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er Bienenstock ist das neue Kru
zifix. In einem reichlich bemes
senen Jahr hat Markus Söder die
paradoxen Darbietungen in Sze
ne gesetzt. Im April 2018 hängte er
mit diabolischer Miene ein Kreuz
auf im Foyer seiner Staatskanzlei. Um die
AfD zu bannen. Nun, 15 Monate später,
präsentierte er mit Gärtnerstolz einen
Blühstreifen an der Staatskanzlei und ge
währte drei Bienenvölkern Asyl – drei Mo
nate zuvor hatte er, eine grüne Plastikwan
ne um den Hals, an der Pegnitz selbst einen
„BienenHighway“ gesät. Um die Grünen
zu brechen. Schwärzer als die Bischöfe,
grüner als die Grünen – keine Symbolik ist
zu billig, dient sie nur der Machterhaltung.
Eine schockierende Erfahrung hat den
Wendehals bewogen, von reaktionär auf
fortschrittlich umzuschwenken. Eindrei
viertel Millionen Bayern, fast ein Fünftel
aller Wahlberechtigten, hatten zu Jahres
beginn – hast du nicht gesehen – ein
Volksbegehren zum Artenschutz unter
zeichnet: „Rettet die Bienen“. Söder wäre
böse gedemütigt worden, hätte er’s zum
Volksentscheid kommen lassen. Also ver
kündete er: „Wir nehmen den Text des
Volksbegehrens eins zu eins an.“
Luft raus. Bienen rein. Und Rettung der
Macht mit den Mitteln der Operette. Show
Im Wahlkreis MünchenMitte holten sie
sensationelle 44,1 Prozent, mehr als CSU,
SPD und AfD zusammen. Und nun die Kli
madebatte, die freitäglichen Schulstreiks,
der Bienenschwarm im Anflug: Da baute
sich eine Jahrhundertbewegung auf, so
gewaltig, dass sie die Grünen sogar ins
Kanzleramt tragen könnte. Oder, falls die
CSU kollabiert unterm Kreuz, in die Staats
kanzlei zu München. Eine Kehrtwende
musste her. Bedenkenlos. Söderesk.
Überholen, ohne einzuholen, so lautete
mal, in den optimistischen Tagen der DDR,
das Motto der sozialistischen Machthaber
im Wettstreit der Systeme mit der Bundes
republik. Überholen, ohne einzuholen, so
sucht nun auch Söder die Grünen mattzu
setzen. Mit einem Feuerwerk für den Kli
maschutz, das Gegenteil dessen, was die
Schwarzen früher wollten. Klimaschutz ins
Grundgesetz, klimaneutrales Bayern „
plus“ statt 2050 wie der Bund, raus aus der
Kohle schon 2030 statt 2038, Windkraft in
Staatswäldern, Sonnenkollektoren satt,
Wälder und Moore als CO 2 Speicher, zwei
Drittel EAutos in den Fuhrparks der Be
hörden, ERoller obendrein, Steuerentlas
tung für die Bahn, Anstoß fürs Verbot von
Plastiktüten, Verbannung von anderem
Kunststoffkram ... Noch was vergessen?
Alle Wege verstellt für die Grünen. Alle?
Nein, da fehlt was. Da klafft ein Loch, ein
mächtiges. Aber das fällt keinem so recht
auf, denn er scheint ja an alles gedacht zu
haben, der blitzergrünte Schwarze. Bloß
nicht an das schwarze Loch der Verkehrs
wende. Gar nichts findet sich in dem Pro
gramm, das mit den Interessen der Auto
industrie kollidieren könnte. Obgleich
rund ein Fünftel der CO 2 Emissionen aus
dem Verkehr stammen. BMW und Audi de
cken, Autobahnen bauen, das waren immer
Kernanliegen der CSU. Denn aus BMW und
Audi wuchs die Macht der Partei.
Dafür stellte sie in Bonn und Berlin sie
ben Verkehrsminister. Dafür sträubte sie
sich nach dem Dieselbetrug gegen Hard
wareNachrüstung. Dafür lehnt sie nun
eine CO 2 Steuer ab und empfiehlt Zertifi
kate für die Industrie, die indirekt wirken,
unscharf. Wird das Benzin teurer, dann will
Söder mit Pendlerpauschale und Kfz
Steuer zur Stelle sein. Seinen Intimfeind
Alexander Dobrindt, der an die SUVs ran
wollte, ließ er leerlaufen. Wenn sich je
mand an das Loch traut, die Autofahrer
anfasst und sich dabei die Finger ver
brennt, dann sollen das die Grünen sein.
Den Straßenkampf überlässt er ihnen gern,
der heilige Markus der Kolben. 2
time des Opportunismus! If you can’t beat
them, join them. Wenn du sie nicht schla
gen kannst, schließ dich an. Und Söder
wäre nicht Söder, hätte er nicht noch drauf
gesattelt. Setz dich an die Spitze!
Der alte Weg, der unterm Kreuz in den
Amtsstuben, hatte ja ins Nirwana geführt,
jedenfalls nicht zum Sieg. Bei der Land
tagswahl im Oktober holte die AfD mehr
als zehn Prozent, die CSU verlor mehr als
zehn. Die Grünen wurden Zweitstärkste.
HEILIGER MARKUS DER KOLBEN
Bayern-Regent Söder inszeniert
seinen Klimawandel als Operette mit Bienen –
und lässt ein großes schwarzes Loch
16 8.8.
KOLUMNE
JÖRGES
Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle
ZWISCHENRUF AUS BERLIN
ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN