Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
Kester Schlenz hat beschlossen,
in Zukunft selbst wieder offener für
neue Erlebnisse zu werden. Seine
Frau und er werden im kommenden
Jahr Island besuchen und das Land auch
abseits der Touristenrouten erkunden

FOTOS: GETTY IMAGES (2)


Lesenswerte Bücher
zum Thema:

Hartmut Rosa:
„Unverfügbarkeit“
(Residenz)

Joachim Bauer: „Wie
wir werden, wer wir
sind. Die Entstehung
des menschlichen
Selbst durch Resonanz“
(Blessing)

Harald Welzer: „Alles
könnte anders sein.
Eine Gesellschafts-
utopie für freie
Menschen“ (S. Fischer)

Richard David Precht:
„Jäger, Hirten, Kritiker.
Eine Utopie für die
digitale Gesellschaft“
(Goldmann)

Meike Winnemuth:
„Bin im Garten.
Ein Jahr wachsen
und wachsen lassen“
(Penguin)

erschaffen wird. Do it yourself! Das klingt
altmodisch und ist doch gerade wieder
sehr modern. Simon Bauer, Leiter der
Volkshochschule Sachsenwald der Stadt
Reinbek, sagt: „Es gibt einen deutlichen
Trend zum Selbermachen. Die Kurse für
Schneidern, Filzen, Tischlern, Bierbrau-
en oder Töpfern sind voll.“ Zwei Drittel
der Teilnehmer seien Frauen. „Und es
sind“, so Bauer, erstaunlich viele junge
Leute dabei, die gemeinsam lernen
wollen, etwas mit den eigenen Händen
zu erschaffen.“ Besonders beliebt sind

Nähkurse. „Das ist einfach toll“, sagt eine
Reinbeker Kursleiterin. „Da kommen abends
Frauen nach einem harten Arbeitstag noch
zu mir in den Kurs und lassen sich bei-
bringen, wie man sich einen Rock oder eine
Bluse näht. Dabei ist neuwertige Kleidung
bei uns doch so absurd billig. Hier geht es
um etwas anderes. Das Ergebnis ist selten
perfekt, aber die Teilnehmer können sich
am Ende sagen: ,Ich hab das gemacht‘, und
tragen die Stücke dann mit Stolz. Und sie
haben Spaß daran, sie zusammen mit
anderen zu machen.“
Gemeinsam sehen und fühlen, wie etwas
entsteht. Das ist pure Magie. Wir sind nun
mal soziale Wesen. Wir brauchen einander.
Kaum etwas ist schöner als Zugehörigkeit,
sich aufgehoben und geborgen zu fühlen.
In der Familie, in der Partnerschaft, bei
Freunden. Die weltweiten Freitagsdemos
der Schüler für mehr Klimaschutz, denen
so viele Erwachsene mit paternalistischer
Herablassung begegnen, sind ein gutes
Beispiel für Resonanzbegehren und Reso-
nanzerlebnisse. Man muss die Schüler bei
diesen Demos erlebt haben, muss gesehen
haben, mit welcher Begeisterung sie sich
für eine gemeinsame Sache einsetzen und
das Politische entdecken. Eine Generation,
der man gern vorwarf, sie würde nur noch
weltentrückt und vereinzelt am Handy
hocken und in sozialen Netzwerken Ego-
Botschaften posten, zeigt auf einmal, dass ihr
die echte Welt nicht egal ist. Die Jungen
fragen sich: In welche Welt bin ich gestellt?
Was will ich dieser Welt sagen? Und was
will ich in dieser Welt machen, außer zu funk-
tionieren?
Meike Winnemuth hat die Antwort in
ihrem grünen Miniparadies gefunden. „Im
Garten zu arbeiten ist für mich selbstbeloh-
nendes Verhalten“, sagt sie.
„Die Tätigkeit ist Beloh-
nung genug, so wie es alle
wirklich befriedigenden
Formen von Arbeit sind.
Die entscheidende Frage ist immer: Würde ich
es tun, auch wenn es kein Geld dafür gäbe?
Wer das mit Ja beantwortet, hat alles richtig
gemacht.“ 2

Gemeinsamkeit
„Wir sind soziale
Wesen“, sagt der Arzt
und Neurowissen-
schaftler Joachim Bauer.
Erst das Gefühl von
Zugehörigkeit ermög-
licht ein gesundes
Selbstbewusstsein

Wir


Lesen Sie zum gleichen Thema:
Das Interview mit dem Soziologen Hartmut
Rosa auf den folgenden Seiten

einander“



brauchen

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