Das erste Konzert, das Jurek
Skrobala in Begleitung seiner
Eltern besuchte, war R.E.M.
auf der Domplatte in Köln.
Damit konnte er als Teenager nicht so
recht auf dem Schulhof punkten FOTO: ULI DECK/DPA
pital Bra fragt rhetorisch:
„Habt ihr Bock?“
Auf der großen Leinwand
über ihm werden dazu im-
mer wieder Videoschnipsel
eingeblendet, auf denen er in
Nachtclubs oder vor Sport-
wagen post, raucht, wippt,
Zoom auf eine ausladende
Armbanduhr. Auf der Lein-
wand scheint er manchmal
mehr zu posen als auf der
Bühne, hier schleicht er erst,
hüpft mal, später sieht es aus,
als joggte er, der eine Sport-
hose trägt, in kleinen Schrit-
ten. Er wirkt auch mal wie ein Boxer,
der sich auf einen unsichtbaren
Gegner zubewegt, aber wann schlägt
er zu?
Seine Oberteile zieht er nach und
nach aus, den Hoodie, die Shirts,
Oberkörper frei zum Schluss, und
ein ohrenbetäubendes Kreischen
zieht durch die Halle. Eines, das an
Auftritte von Teenie-Bands erin-
nert. „Habt ihr noch Bock?“, fragt
Capital Bra, und die Antwort ist klar.
Sein letztes Album, das im April
erschienen ist, heißt „CB6“ – eine
Anspielung auf CR7, Cristiano Ro-
naldo, eine von mehreren Fußbal-
lerreferenzen in Capital Bras Werk
(„Benzema“, „Neymar“).
„CB6“ klingt auch ähnlich, wie
manch neureicher Fußballmillionär
sich kleidet: war bestimmt ziemlich
teuer, wirkt aber billig.
Es geht um die Rolex, um Gucci,
um den Benz, logisch, ums Kapital.
Und es geht um den Rausch, um
Wodka und eben um das Opioid
Tilidin: „Wir ticken.“
Es geht um grundlegende Codes
des Straßen-Rap: den Traum vom
Luxusleben und den harten Weg
dorthin. „Gestern war’n die Platten
grau“, heißt es in „Benzema“, „heute
sind sie Gold.“
„Bei Capital Bra ist das diese klas-
sische Hip-Hop-Geschichte, fast
cinderellamäßig“, sagt Niko Hüls,
der Chef des deutschen Hip-Hop-
Magazins „Backspin“. Hüls denkt bei
Capital Bra aber nicht nur an Cinde-
rella, sondern auch an den Aufstieg
von amerikanischen Gangsta-Rap-
Gruppen wie N.W.A. Ende der Acht-
ziger. Capital Bra sei auch eine
Gestalt, die vom Rand der Gesell-
schaft komme und die eine Härte
zeige. Zugleich aber rühre Bras
Erfolg von Käufern aus der gesell-
schaftlichen Mitte: „Das ist auch die
Faszination des anderen.“ Die Fas-
zination der Straße für die Mittel-
und Oberstufe.
Doch stärker als bei vielen Rappern
ist die Straße auf „CB6“ überzogen
mit Zuckerguss: mit Autotune, mit
„Lalala“-, „Lelele“-, „Nanana“- und
„Bababambam“-Singsang.
Bras Musik klingt ein bisschen
nach Alcopops aus der Dose, aber
mit karibischem Sonnenschirm-
chen drin, und ein bisschen nach
Wodka-Energy auf der Ostblock-
party.
Niko Hüls sagt: „Bra macht Mu-
cke, die im Prinzip die neue Schla-
germusik ist.“ Kombiniert mit dem
Russischen, mit dieser „Nische“, wie
Hüls sie nennt, sei Capital Bra auf
eine „Goldader“ gestoßen. Er habe
den Pop in seinem Rap zugelassen
und diese Formel – Rap plus Pop –
perfektioniert: „Das ist locker,
leicht, eingängig. Das ist der Grund,
warum jedes Mädchen in der Mit-
telstufe irgendeiner deutschen
Kleinstadt diese Songs von vorn bis
hinten kennt. Früher war es Lady
Gaga, heute ist es Capital Bra.“
Und dann hören die Mittelstufen-
Mädchen Lieder, in denen Frauen als
„Prinzessa“ oder als „Bitch“ adres-
siert werden. Es bewegt sich alles in
einem Spannungsfeld, das Capital
Bra schon in einem früheren Song
besungen hat: „Ich liebe es, wenn
Frauen in Strapsen im Club
mit mir tanzen.“
Die Liebe. Und die Strapse.
Ach ja, und die Familie. Der
letzte Song auf „CB6“ ist
Capital Bras Frau gewidmet:
„Alkohol und Frauen, damit
ist jetzt Schluss, Babe, ich
will nur dich, auf alle andern
keine Lust.“
Rappen für die Familie.
Capital Bra gibt sich als
Familienmensch, als ver-
antwortungsvoller Ehemann
und ist zugleich ein Sexist,
der Drogen feiert. Er streitet
mit Dieter Bohlen und umarmt ihn
hinterher, ein Ballerfilm mit Happy
End.
Er stilisiert sich als Gangster, aber
als einer, dem man unterstellen
könnte, eigentlich doch nur ku-
scheln zu wollen: „Der Staatsanwalt
und Richter wollen mich hinter
Gittern sehen, aber alles hat seinen
Preis, und ich zahl mit Mamas Trä-
nen.“ Das macht ihn in der heutigen
Zeit, in der das Männerbild des
ultraharten Machos, an dem alles
abprallt, sein Haltbarkeitsdatum
überschritten hat, zu einem etwas
zeitgemäßeren Sexsymbol. Und ist
gleichzeitig noch ausreichend derb
für den pubertären Schulhof-Talk.
Zudem hat er mit seinem slawisch
geprägten Straßenschlagerstil ein
authentisches Alleinstellungsmerk-
mal – nicht nur im deutschen Rap,
sondern im gesamten deutschen
Pop.
„Was geht ab?“, fragt Capital Bra in
einer Songpause. „Bratan, ich hab
dich gefragt: Was geht ab?“ – Und in
einer anderen: „Wo sind meine Bra-
tinas?“ Noch sind sie da, sie tanzen,
sie giggeln, sie singen mit, sie erhel-
len mit ihren Handys beständig das
Dunkel, aber gleich, nach einer Zu-
gabe, nicht mehr.
Capital Bra schleicht von der Büh-
ne, die Musik geht aus, das Licht
geht an, und die Bratans und die
Bratinas verlassen zügig die Halle in
Bremen. Ist ja auch schon spät ge-
worden. 2
„Bündel in
der Tasche wie
ein Saudi/An
der Hand vier
Ringe wie
bei Audi“ (aus
dem Stück
„Rolex“) –
Capital Bra vor
einem Auftritt
in Mannheim,
April 2019
58 8.8.2019