Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA

sichtspunkten aus. Das ist echte Herzenssache! Und als
Arminia-Fan und SPD-Mitglied weiß ich, was es heißt,
dranzubleiben, auch wenn der Weg mal nicht schnur-
stracks geradeaus führt. Ja, da gehört ein gutes Stück
Leidensfähigkeit dazu, aber eben auch dieses Gefühl,
auf der richtigen Seite zu stehen. Selbstläufer gibt es
weder im Fußball noch in der Politik, und glauben Sie
mir: Eine Schönwetter-Sozialdemokratin werde ich
ganz sicher nie sein. Ich bin fest davon überzeugt: Auch
für die SPD kommen wieder bessere Zeiten, wenn sie
jetzt mutig einen neuen Aufbruch wagt.
„Peinlich, traurig, unanständig, dämlich“ – Ihr Urteil
über die SPD fällt schonungslos aus. Und so weh es tut:
Da ist auch einiges dran, aber ganz so wollen wir Ihre
Kritik nicht stehen lassen. Die SPD hat sicher einige Feh-
ler gemacht. Aber wir übernehmen auch Verantwortung
und werfen eben nicht bei Nacht und Nebel das Hand-

Liebe Frau Posche,
Sie haben der SPD im stern einen Abschiedsbrief ge-
schrieben und begründet, warum Sie unsere Partei nie
wieder wählen wollen. Wir fühlen uns angesprochen.
Und wir wollen Ihnen antworten. Nicht nur, weil sie mit
Christina Kampmann eine von uns beiden erwähnt
haben. Ich, Christina, bin zwar in einem Gütersloher
Krankenhaus geboren, bin aber in Bielefeld zu Hause.
Und dass ich mich in der vorigen NRW-Landesregierung
mit viel Herzblut um Familien und junge Menschen
gekümmert habe, muss ja für die Kandidatur um den
SPD-Vorsitz kein Makel sein.
Sie haben sehr eindrücklich beschrieben, warum Sie
trotz mancher Enttäuschungen immer wieder sozial-
demokratisch gewählt haben. Sie schreiben von Ihrer
Oma und diesem Gefühl, „wenn man SPD wählt, ist man
bei den Guten“. Gerade diesen emotionalen Zugang zur
SPD, den kennen wir auch. So sind wir in die SPD buch-
stäblich hineingewachsen. Ich, Michael, erinnere mich
noch gut an meinen Urgroßvater Gustav, der als Mari-
nesoldat schwer versehrt aus dem Ersten Weltkrieg zu-
rückkehrte und als Bergmann in meiner Heimatstadt
Heringen die SPD mitbegründete. Für ihn war die Par-
tei stets ein Bollwerk für Frieden und Gerechtigkeit.
Und mir, Christina, geht es mit der SPD ein wenig so
wie mit Arminia Bielefeld. Weder den Lieblingsverein
noch die Partei sucht man sich nach taktischen Ge-

tuch wie andere. Auch wir ärgern uns über manche Feh-
ler. Und die SPD ist nun wirklich die Partei in unserem
Land, die sich am deutlichsten dazu bekennt. Denn, das
muss man auch mal sagen: Wie viel Selbstkritik hören
Sie denn von anderen Parteien? Wir beide laufen nicht
weg, sondern wollen mit anpacken, damit die SPD künf-
tig wieder stärker wird. Wir wollen hart dafür arbeiten,
dass Parteianhängern und Journalistinnen bald wieder
andere Adjektive in den Sinn kommen, wenn sie über
die älteste Partei Deutschlands reden und schreiben.

T


rotz mancher Fehler hat die SPD in einem Punkt
immer richtig gelegen: Unsere Partei ist stets für den
Frieden eingetreten, hat Demokratie und Freiheit
verteidigt – gegen den Kaiser und Bismarck, gegen Hit-
ler und die Kommunisten. Sie ist das älteste Bündnis
gegen rechts. Das ist Teil ihrer DNA – seit 156 Jahren.
Und sie hat dafür einen hohen Blutzoll entrichtet. Tau-
sende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
wurden seit der Parteigründung 1863 verfolgt, unter-
drückt, gefoltert, ermordet. Daran sollten wir immer
wieder erinnern. Aber noch viel wichtiger ist es, daraus
einen Auftrag für gegenwärtiges Handeln abzuleiten.
Denn wir alle spüren das doch: Demokratieverdruss
und -verachtung machen sich in der Mitte unserer Ge-
sellschaft breit. Der Kampf gegen rechts richtet sich
schon lange nicht mehr nur gegen die Ewiggestrigen

L

Der Abschiedsbrief der stern-Autorin an die SPD hat


sie ins Herz getroffen. Christina Kampmann und Michael Roth


kandidieren für den Parteivorsitz. Hier ihre Antwort


„So weh es tut ...“


„Es geht nicht
mehr“ – schrieb
Ulrike Posche im
stern vor zwei
Wochen. Seitdem
melden sich
Genossen aus dem
ganzen Land –
verzagte wie
hoffnungsvolle


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POLITIK

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