Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1

und Glatzen in Springerstiefeln. Es geht um das Über-


leben unserer Demokratie. Unsere SPD bringt mit ihrer


Geschichte eine ganz besondere Glaubwürdigkeit und


Leidenschaft mit, um den Aufstand der Anständigen


gegen Nationalismus und Populismus, gegen Hass und


Gewalt anzuführen. Unsere offene, liberale, wertebasier-


te Gesellschaft braucht jetzt Freundinnen und Freunde,


die lautstark ihre Stimme erheben und unsere Demo-


kratie, das vereinte Europa entschlossen verteidigen.


Hier hat die SPD nach wie vor ihren Platz, liebe Frau


Posche!


In Ihrem Brief beklagen Sie den Umgang von Sozial-

demokratinnen und Sozialdemokraten untereinander.


Wir teilen Ihre Kritik ausdrücklich. Wir möchten sogar


darüber hinausgehen. Nicht nur das Führungspersonal


geht bisweilen respektlos miteinander um. Ein kurzer


Blick in die sozialen Medien reicht aus, um erschrocken,


bisweilen sogar fassungslos festzustellen: Eine Partei,
in der man so persönlich und unerbittlich streitet, hat
ein ernstes Problem. Und wir als NRWlerin und Hesse
haben die von Ihnen angesprochenen Zeiten in Wies-
baden und Düsseldorf noch sehr genau vor Augen.
Deswegen ist uns umso mehr bewusst: Wer für sich
in Anspruch nimmt, die Partei der Solidarität zu sein,
muss auch in den eigenen Reihen anständig und soli-
darisch miteinander umgehen. Hier haben Sie uns auf
Ihrer Seite. Zum Glück sehen das die allermeisten
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten genauso.

U


nd noch wichtiger: Wir wollen künftig anders auf-
treten. Viel zu oft kommt die SPD als verzagter,
schlecht gelaunter Haufen daher. Wir müssen nach
außen wieder viel mehr Selbstbewusstsein, Zuversicht
und Freude ausstrahlen. Unsere Partei soll künftig

wieder ein Zuhause für Optimisten, Macherinnen,
Weltverbesserer und Visionärinnen bieten. Sie soll
wieder aufhorchen lassen und als spannender Ort
großer Debatten und Visionen wahrgenommen
werden. Und vielleicht haben auch Sie dann wie-
der Lust, bei uns mitzumachen, liebe Frau Posche.
Wir bauen nach wie vor darauf, dass die SPD jetzt
diese Chance nutzt und die richtigen Konsequen-
zen zieht: Sie muss Anstand und Respekt leben, den
Widerstand der Anständigen gegen die Feinde der
Demokratie anführen. Sie muss Europa und unser
Land zusammenhalten. Sie muss den Mut haben, ihre
ständigen Selbstzweifel zu überwinden, und Lust
haben, die Welt wieder ein Stückchen besser zu ma-
chen. Es reicht eben nicht, noch ein paar neue Konzept-
papiere zu schreiben und die SPD wie Moses aus der
GroKo in das gelobte Land der Opposition zu führen.
Die GroKo ist nicht unser Wunschbündnis – aber
unsere Probleme liegen doch viel tiefer. Sie haben in
Ihrem Brief eine Reihe davon klar benannt.
„Niemals geht man so ganz“ – das hat schon
Trude Herr gesungen. Bitte geben Sie der SPD noch
eine Chance. Sie ist es wert.

Mit herzlichen Grüßen
Ihre Christina Kampmann
und Ihr Michael Roth

Im Tandem: Michael Roth, 48, ist
Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Christina Kampmann, 39,
war Familienministerin in
Nordrhein-Westfalen

8.8.2019 65
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