Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
Der Mitarbeiter der Hamburger
Wasserwerke buchstabiert fas-
sungslos den Namen auf einer Visi-
tenkarte, die ihm eben überreicht
wurde. Gerade sind sein Kleinwagen
und das Auto eines 43-jährigen
Unternehmers aus Potsdam im
Hamburger Großstadtverkehr leicht
aneinandergeschrammt – keine
große Sache, Versicherungsangele-
genheit. Doch der Wasserwerkmann
ist nervös. Der Unfallgegner beru-
higt, telefoniert mit der Versiche-
rung, gibt dem Mann seine Karte.
Doch diese macht ihn erst richtig
stutzig. „Georg Friedrich – was?
Prinz? Von Preußen?“, liest er un-
gläubig vor. „So heißt du, oder was?
So heißt der Mann, der diese Ge-
schichte erzählt. Und Reaktionen
wie diese ist er durchaus gewohnt.
Allzu entrückt wirken die alten
Adelsnamen in der bundesrepubli-
kanischen Gesellschaft des 21. Jahr-
hunderts, als dass man sich deren
Träger außerhalb der Society-Spal-
ten von Klatschblättern als echte
Menschen vorstellen könnte.
Weshalb sich der sympathisch
auftretende Mann, der unter einem
deutlich anderen Verlauf der Ge-
schichte heute deutscher Kaiser
wäre, gern bescheiden gibt.
„Ich tu mich etwas schwer mit
dem Adelsbegriff, weil darunter
alles subsumiert wird – von der
britischen Königin bis zum adop-
tierten Hochstapler“, sagt Georg
Friedrich Prinz von Preußen beim
Gespräch in der Hamburger Hafen-
city, das er vor ein paar Monaten mit

dem stern geführt hat. „Ich identifi-
ziere mich mit meiner Familie, mit
meinem Haus. Das kann ich ab-
schätzen, damit fühle ich mich
wohl.“ Ein Satz, der viel über die
schwer einzuschätzende und von
Unsicherheiten geprägte Selbstsicht
dieses Standes von gestern sagt.
Mehr als 100 Jahre ist es nun her,
dass der Erste Weltkrieg verloren
ging und die Monarchie auf dem
Müllhaufen der deutschen Ge-
schichte landete. Seitdem sind die
ehemals aristokratischen Familien
per Gesetz Bürger wie alle anderen
auch. Was natürlich nur die halbe
Wahrheit ist. Denn in seinen inne-
ren Zirkeln, seinen gesellschaftli-
chen Traditionen und Gebräuchen
und seinem gigantischen Erbe lebt
der Adel als eine gesellschaftliche
Schimäre fort. Und wird auch gern
von der Republik in Anspruch ge-
nommen – als traditionsreiche Zier-
de, als Hauptdarsteller für bunte
Klatschgeschichten und bei Bedarf
auch als Feindbild.
100 Jahre ohne Macht – ein guter
Zeitpunkt, um bei den „Vons“ nach-
zufragen, wie es ihnen heute so er-
geht. Und herauszufinden, welche
Rolle der einstige Adel noch spielt
in Deutschland.
„Klar begreifen wir uns inzwi-
schen als bürgerlich“, sagt Georg
Friedrich von Preußen. „Das Einzi-
ge, was uns vielleicht von anderen
Bürgerlichen unterscheidet, ist das
Denken in Generationen, das uns
bis heute prägt. Mehr bleibt einem
auch nicht.“
Als er diesen Satz sagt, ist noch
nicht öffentlich bekannt, dass es ihn
und seine Familie offenbar doch
nach sehr viel mehr gelüstet als nur
nach dynastischem Denken. In da-
mals noch geheimen Verhandlun-
gen mit der Kulturstaatsministerin
Monika Grütters und den Vertretern
der Bundesländer fordert er mehre-
re Zehntausend Objekte aus dem
Bestand der Stiftung Preußische
Schlösser und Gärten, der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz und des
Deutschen Historischen Muse-

D


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Georg Friedrich
vor der Büste
seines Urururur-
großvaters
Wilhelm I. – des
siebten preußi-
schen Königs
und ersten deut-
schen Kaisers
aus der Familie
Hohenzollern

8.8.2019 71
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