Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1

FOTOS: DIRK BRUNIECKI/STERN; OLIVER MARK/STERN; HUBERTUS VON HOHENLOHE 4


zweite Box, die sie aufklappen und
bespielen können.“
Mit etwa 80 000 Bundesbürgern,
die als Nachfahren des früheren
Adelsstandes gelten, macht diese Be-
völkerungsgruppe gerade mal ein
Promille aus. Ganz schön viel Aufse-
hen für eine verschwindende Min-
derheit. Die jüngere Generation
macht inzwischen Karriere in weni-
ger aristokratischen Berufen: Anna
von Bayern als Journalistin des Axel
Springer Verlags, August Wittgen-
stein als erfolgreicher Schauspieler
(„Ku’damm 56“ und „Das Boot“), Flo-
rian Henckel von Donnersmarck als
Oscar-prämierter Regisseur („Das
Leben der Anderen“), Auguste von
Bayern am Max-Planck-Institut für
Ornithologie, Julius von Bismarck
als langbärtiger Star der Kunstwelt.
Ihre Prinzen- und Grafentitel spie-
len dabei kaum eine Rolle.
Ferdinand Habsburg-Lothrin-
gen, dessen Vorfahren jahrhunder-
telang das Heilige Römische Reich
und später Österreich-Ungarn re-
gierten, kämpfte als Autorennfah-
rer in der Formel 3 um Leadership,
wurde aber von einem bürgerli-
chen Kronprinzen geschlagen: von
Mick Schumacher. Heute fährt
Habsburg-Lothringen für Aston
Martin bei den Tourenwagen-Mas-
ters. Den Doppeladler und die

Reichsfarben hat er beinahe iro-
nisch als Logos auf seinem Renn-
fahrer-Outfit umgesetzt. „Es ist
mir wichtig, dass man das Humo-
rige daran erkennt“, sagt er.
Die Öffentlichkeit schwankt in
ihrer Haltung gegenüber den jun-
gen Trägern alter Namen. „Es ist
vermutlich eher einer Sehnsucht
der Menschen nach Andersartigkeit
geschuldet, dass der Adel in seiner
klassischen Form noch wahrge-
nommen wird, als der Zahl dieser
kleinen Gruppe“, sagt der Historiker
Malinowski. „Wer als Bürgerlicher
ein erfolgreicher Investmentbanker,
Richter oder Universitätsprofessor
ist, hat nebenbei nicht noch tausend
Hektar Wald und geht zur Jagd.“
Doch diese Reste von Vormoderne
und dynastischem Denken könnten
auch von Wert für die heutige
Gesellschaft sein, glaubt der Adels-
forscher. „Wenn man in Wald inves-
tiert, dann wird der in 40 oder 60
Jahren erst lukrativ. Das ist genau
das Gegenteil vom Hedgefonds-
Manager. Die Dinge, die sich der ka-
pitalistischen Gewinnlogik entzie-

hen, diese Nachhaltigkeit – diese
Dinge machen den Adel attraktiv.“
Nicht selten scheitern auch Men-
schen mit klingendem Nachnamen.
Und wenn man sich als ein Bismarck
eine Überdosis Heroin spritzt, als ein
Hannover wie besoffen in die Ecke
pinkelt oder sich als Hohenzollern in
ein Busenwunder verguckt, tut man
dies unter großer Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit. Die eigene Ver-
wandtschaft schaut bei solchen Ent-
gleisungen auch mal gütig weg –
außer wenn Güter verloren gehen
könnten, die sich seit Jahrhunderten
im Familienbesitz befinden. Wenn es
um den Erhalt von Schlössern geht,
ist beinahe alles erlaubt. Selbst wenn
man sich dafür als angeblich heirats-
williger Märchenprinz im Boule-
vardfernsehen bei „Gräfin gesucht“
zum Affen machen muss.
So tobt zurzeit ein Familienkrieg
zwischen Ernst August Erbprinz von
Hannover und seinem gleichnami-
gen Vater, der als Skandalritter und
Ehemann Caroline von Monacos
weithin bekannt ist. Der Junior ver-
suchte nämlich, die stark renovie-
rungsbedürftige Marienburg in Pat-
tensen für einen symbolischen Euro
an das Land Niedersachsen zu ver-
kaufen, da er für den Erhalt nicht
weiter aufkommen konnte. Ein Ein-
spruch des Seniors stoppte den Deal.
Inzwischen arbeitet man an einer
Stiftungslösung; bis 2025 kommen
aus dem Landeshaushalt und vom
Bund jeweils 13,6 Millionen Euro.
Eine neue Betreibergesellschaft soll
auch die Jobs von 60 Mitarbeitern si-
chern. Als Geschäftsführer hat man
sich Leute mit klingenden Namen
geholt: einen Grafen von Harden-
berg und einen Herrn von Schöning.
Alexander Fürst zu Schaumburg-
Lippe, der auf seinem Schloss Bü-
ckeburg aus der Renaissancezeit als
Fürst firmiert, weiß nur zu gut, was
es bedeutet, ein solches Baudenk-
mal zu finanzieren und am Leben zu
erhalten. „Es existiert der ungebro-
chene Aberglaube, dass alle Adeli-
gen automatisch reich sind, und
zwar gerade wegen unserer Erhal-
tungslasten. Das ist widersinnig.“ Er
selbst wehrt sich zurzeit da-

„WER DEN ALTEN ADEL ABSCHAFFEN WILL, MÜSSTE DIE FRANZÖSISCHE LÖSUNG WÄHLEN“


Donatus zu
Schaumburg-
Lippe ist der
Stammhalter auf
Schloss Bücke-
burg. Mit seiner
Mutter Lilly
(M.) nimmt
er an spektaku-
lären Charity-
Aktionen teil

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