Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1
David Baum und Catrin
Bartenbach lernten bei
ihrer Recherche, dass
sich die Aristokraten
untereinander erstaunliche Spitznamen
geben: Putzi, Mausi und Gocki

pold Prinz von Bayern, der Cousin


des aktuellen Herzogs von Bayern.


Als Nachfahre der Schöpfer des


deutschen Reinheitsgebots braut er


natürlich Bier auf seinem Schloss


Kaltenberg unweit des Ammersees.


Seit 40 Jahren hält er alljährlich Rit-


terspiele ab. „Unsere Familie war


von 1180 an bis zum Ende des Ers-


ten Weltkriegs durchgehend an der


Regierung. 738 Jahre – das ist Rekord


in Europa“, erklärt von Bayern, wäh-


rend er über seinen Mittelalter-


markt spaziert.


Er lässt es sich nicht nehmen, das

Turnier, das von professionellen


Stuntmen inszeniert wird, selbst


hoch zu Ross zu eröffnen. Mit


Tradition habe das Spektakel


dennoch wenig zu tun. Es ist ein


Geschäft. „Wir machen Unterhal-


tung. Das ist ja nicht verboten.“


Zu seiner Markenwelt gehören


das „König Ludwig“-Bier und die


Porzellanmanufaktur Nymphen-


burg. Wenn eine Hotelgruppe auf


die Idee kommt, ein Haus in Mün-


chen „The Royal Bavarian“ zu tau-


fen, gibt es umgehend Anwaltspost


vom Bayern-Hauschef.


Doch es gehe ihm um mehr, als


nur die großen Namen der Familie


zu monetarisieren. „Viel wichtiger


ist, dass wir diese historischen Figu-


ren beschützen“, sagt Luitpold von


Bayern. „Ich beschäftige mich sehr


damit, dass die nicht kommerziel-


les Freiwild sind. Deshalb sichern


wir die gewerblichen Schutzrechte


auf diese Namen. Wir wollen ver-


meiden, dass deren Bild fremdbe-


stimmt ist. Es ist wichtig, dass man


Herr der eigenen Geschichte bleibt.“


In die reale Politik hat es indes


nur wenige Vertreter der einst


herrschenden Klasse gezogen. Die


wenigen – von Lambsdorff, von


Dohnanyi oder von Weizsäcker –


entstammen nicht ehemals regie-


renden Häusern. Nur der 2011 ver-


storbene Otto von Habsburg, der


noch als Kronprinz von Österreich


geboren wurde, war für die CSU ins


Europaparlament gezogen. Und


dann wäre da noch Hermann Otto


Solms, der eigentlich Prinz zu


Solms-Hohensolms-Lich heißt. Als


tan-
ziere
mich nicht
davon, es ist nun
mal die Geschichte meiner Familie.
Aber in unserer heutigen Gesell-
schaft empfinde ich es als unzeitge-
mäß und gesellschaftsfremd, adeli-
ge Titel zu führen.“
Trotzdem sieht sich Solms in der
Tradition der früheren politischen
Klasse: „Ich habe es gerade nach der
Nazidiktatur auch als historische
Verpflichtung gesehen, mich poli-
tisch zu engagieren.“ Nachdem sein
Vater im Weltkrieg gefallen war und
die Mutter einen bürgerlichen
Mann geheiratet hatte, spielten
aristokratische Gepflogenheiten
keine Rolle mehr. „Es ist keine
Klasse mehr – das sollte allen be-
wusst sein.“
Adelshochzeiten und Traditionen
sind aus seiner Sicht „ein Gesell-
schaftsspiel, mehr nicht“. Dass Fürs-

ten und Grafen weiterhin auf
Schlössern logieren und ein biss-
chen Hof halten, sei „Lokalkolorit“,
das man schätzen könne. „Der Staat
kann um jeden froh sein, der so ein
Kulturdenkmal erhält.“
Wenn von Preußen Lust aufs
Schlossleben bekommt, muss er
zurzeit noch 680 Kilometer von
Potsdam an den Rand der Schwä-
bischen Alb reisen. Die mächtige
Burg Hohenzollern ist der Stamm-
sitz des ehemals regierenden
Hauses Preußen, weithin sichtbar
thront sie auf einer Anhöhe. Seit
dem Mittel alter residieren die
Hohenzollern hier schon, doch
das Gemäuer im neugotischen
Stil stammt in seiner heutigen
Form aus der zweiten Hälfte des


  1. Jahrhunderts.
    Längst hat auch der Preußen-
    prinz hier ein Kulturprogramm
    gestartet, wo auch mal ein
    fürstlicher Cousin am Saxofon
    steht, zu trinken gibt es neuer-
    dings ein Preußenpils. Von
    einer Hollywood-Filmproduk-
    tion, die für Drehtage die Burg
    angemietet hatte, sind noch ein
    paar Requisiten übrig geblieben.
    Mit einem riesigen Stein, der in
    Wahrheit aus Pappmaschee ist,
    posiert der Prinz nun für staunen-
    de Gäste. Vierfacher Vater ist er
    inzwischen – die Erbfolge ist gesi-
    chert. Doch die Generation, die sich
    noch an die Zeiten des real existie-
    renden Adels erinnern kann, ist
    inzwischen verstorben. Von Gene-
    ration zu Generation verblassen die
    alten Denkmuster.
    Kürzlich sei seine kleine Tochter
    als „Prinzessin Elsa“ aus dem Dis-
    ney-Film „Die Eiskönigin“ verklei-
    det vor ihm gestanden, erzählt
    Georg Friedrich von Preußen. Und
    habe ihm freudestrahlend zugeru-
    fen: „Guck mal, Papa, heute bin ich
    eine echte Prinzessin!“ 2


früherer Vizepräsident des deut-
schen Bundestags hat er es proto-
kollarisch sehr weit nach oben in
der Bundesrepublik geschafft.
Beim Fototermin im Reichstags-
gebäude zeigt Solms bedeutungsvoll
auf den Balkon, von dem der Sozial-
demokrat Philipp Scheidemann 1918
die Republik ausrief – und der Herr-
schaft des Adels ein Ende be reitete.
Als Parlamentarier führt Solms den
aristokratischen Namen seiner Vor-
fahren, der im Jahr 1129 erstmalig
Erwähnung fand,
nicht mehr:
„Ich dis-

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