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ihnen in ihrem Buch „Die fabelhafte Welt
der Ameisen“ ein kleines Denkmal gesetzt.
Für gewöhnlich schätzen Gemeinden,
Landkreise und Naturschutzbehörden
Transparenz, um die Bevölkerung für die
Belange der Tierwelt zu sensibilisieren.
Umso überraschender kam die Absage aus
dem Schönefelder Rathaus, sie verbot es
Christina Grätz einen Tag vor dem geplan-
ten ersten Termin, sich von der Presse be-
gleiten zu lassen. Als man sein Anliegen
bei Maren Driessen von der Landschafts-
planung der Gemeinde Schönefeld selbst
noch einmal vorbrachte, lautete die Ant-
wort, man könne ja in einer Woche noch
einmal mit Dr. Haase über den für den Fol-
getag verbotenen Termin sprechen.
So viel stand danach fest: Als Anwalt der
Ameisen begreift sich Dr. Haase nicht.
Das siebte Nest
Am Ende, beim siebten Nest, erfährt der
Besuch dann doch eine Genehmigung.
Auftraggeber ist jetzt der Konzern EWE, der
als Energieversorger einen Gasanschluss
Sie zeigt auf das Nest, von dem eine blo-
ße Mulde geblieben ist, die Streu ist kom-
plett verschwunden. Vorsichtig beginnt
Grätz, sich mit dem Spaten hineinzugra-
ben, überall leuchten die weißen Puppen.
Sie zeigt auf die größeren Tiere, deren Gas-
ter, wie der Hinterleib heißt, vergrößert
sind und leuchten, als wären sie frisch ge-
wienert. „Schauen Sie, das ist eine Königin.
Wir haben eine Menge Puppen, das ist ein
vitales Nest, die Waldfräse hat die Lebens-
ader beschädigt, aber nicht durchtrennt.“
Immer tiefer dringen Grätz und Zapla-
ta in den Boden und damit das Nest ein, aus
der Mulde ist ein brunnenbreites, rund ein
Meter tiefes Loch geworden. Hektisch
verfrachten Brutpflegerinnen die weißen
Puppen immer tiefer in den Boden, ein bei-
ßender Geruch liegt nun über der gesam-
ten Mulde, die Insekten feuern mit ihren
körpereigenen Chemiewaffen aus allen
Hinterleibern. Der Kampf gegen jene, die
sie eigentlich retten wollen, er tobt nun.
Einige Stunden später, die Umsiedlung ist
längst abgeschlossen, wird Christina
ins neue Gewerbegebiet legen wird und
deshalb zwei Kilometer vom Amazon-
Gelände ein Nest umzusiedeln hat. Es ist
dieses siebte Nest, auf das sich Grätz mit
ihrem Partner, dem Biologen Markus Za-
plata, an jenem Dienstag im Mai zubewegt,
einen Tag nachdem der Bürgermeister
Haase beim Richtfest des neuen Sortier-
zentrums erklärt hat: „Für den künftigen
Erfolg des BER ist die Ansiedlung von
Logistik ein entscheidender Faktor.“
Für Christina Grätz ist für den künftigen
Erfolg der Neuansiedlung des Nestes vor
allem Umsicht ein entscheidender Faktor.
Zumal ihren kleinen Lieblingen nicht zum
ersten Mal in den vergangenen Monaten
ein schwerer Eingriff in ihren Lebensraum
bevorsteht. Eine Forstfräse hat das im Be-
reich der Gasleitungstrasse liegende Nest
beim Ausdünnen des Waldbestands quasi
geköpft. Überträgt man die Situation auf
des Menschen Lebensverhältnisse, so hat
eine Bombe die Bausubstanz einer Groß-
stadt dem Erdboden gleichgemacht. Für
Grätz nicht weniger als „eine Katastrophe“.
Die Inneneinrichtung
eines Ameisen
haufens: Bei der Kahl
rückigen Waldameise
dient ein Baum
stumpf zumeist als
Zentrum des Staates.
Die Ameisenkönigin –
bei der Kahlrückigen
sind es Hunderte –
hält sich in den Brut
kammern des Strunks
auf (1). Hier legt sie
Eier (2), um die sich
die Brutpflegerinnen
kümmern. Diese
bringen die Eier in
tiefer gelegene
Kammern (3). Sind
dort die Larven ge
schlüpft, verfrachten
sie die Arbeiterinnen
in andere Räume (4).
Dort verpuppen
sich die Larven (5),
bald schlüpft
die fertige Ameise (6)
In der Ordnung
liegt die Kraft:
Die Anatomie des
Ameisenhügels
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