Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1

AM WOCHENENDE


WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HMG MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 17./18. AUGUST 2019 75. JAHRGANG /33. WOCHE / NR. 189 / 3,70 EURO


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ALS BERUF


Diane Kruger erklärt,
wie sich die Arbeit beim
Film verändert hat.
Und warum sie ihr
weiterhin Spaß macht

Feuilleton, Seite 17

Bei vielen Wolken und vereinzelt Schau-
ern und Gewittern liegen die Temperatu-
ren zwischen 20 und 28 Grad. Mäßiger
Wind aus verschiedenen Richtungen. In
höheren Lagen und an der Küste stürmi-
sche Böen.  Seite 14 und Bayern

MIT IMMOBILIEN-,
STELLEN- UND
MOTORMARKT

Böse Trophäen


Eininternationales Abkommen soll wilde Tiere schützen, aber es wird weiter gejagt und


geschmuggelt. Was im Zoll hängen bleibt, ist eine Galerie der Grausamkeiten


von stefan braun

So schleppend es angefangen hat, so span-
nend ist esdoch noch geworden. Über
Wochen gab die SPD bei ihrer Kandidaten-
suche für den Parteivorsitz ein verheeren-
des Bild ab. Wochenlang wirkte es so, als
dränge es die prominentesten Sozialdemo-
kraten nicht an die Spitze, sondern mög-
lichst weit weg von dem, was Franz Münte-
fering mal als das „schönste Amt neben
Papst“ bezeichnet hatte. Die SPD war
nicht nur für sich gesehen kein schöner
Anblick. Weil Ministerinnen und Minis-
ter, Parteivizes und andere Prominente zö-
gerten, blieben nur die im Rennen, die das
Heil der SPD außerhalb der großen Koaliti-
on suchen. Es sah danach aus, als würde
der Kampf um die SPD-Spitze in einem
Trauerspiel enden. Und der Kampf um
den Verbleib in der Groko schien entschie-
den zu sein, bevor er begonnen hatte.
Binnen 24 Stunden hat sich das geän-
dert. Und diese Änderung könnte ihren Ur-
sprung dort genommen haben, wo die ver-
meintlich letzte Hoffnung der Koalitions-
befürworter starb. Als am Donnerstag
Bundesfamilienministerin Franziska Gif-
fey ihren Verzicht auf den Posten bekannt
gab, schien bei vielen Sozialdemokraten
der letzte Optimismus zu weichen. Nur
einen Tag später aber kündigten erst Pe-
tra Köpping und Boris Pistorius, beide be-
kannte Landesminister, via der Zeit-
schriftDer Spiegelihre Kandidatur an.
Kurz darauf wurde so auch bekannt, dass
Bundesfinanzminister Olaf Scholz entge-
gen bisherigen Aussagen um den Chefpos-
ten kämpfen möchte. Niemand kann
sagen, wie der Prozess endet. Aber seit
Freitag ist klar, dass sich noch nicht alle in
der SPD-Führung aufgegeben haben.
Für die SPD ist das eine lebenswichtige
Botschaft; für die Koalition ist sie bitter

nötig, um nicht sang- und klanglos auf ihr
Ende zuzusteuern. Selbst die Union muss
daraufsetzen, dass die SPD, die als Volks-
partei seit Jahrzehnten die Machtbalance
in der Republik mitbestimmt hat, nicht
einfach abtritt. Nur dann besteht für bei-
de die Möglichkeit zu zeigen, dass nicht
alles wertlos gewesen ist, was in andert-
halb Jahren Groko beschlossen wurde.
Entschieden ist freilich noch nichts. We-
der für die SPD noch für die Koalition. Be-
antwortet ist nicht einmal die Frage, mit
wem sich Scholz anschickt, den Vorsitz zu
erkämpfen. Klar scheint nur zu sein, dass
er es nicht alleine machen möchte. Und als
nahezu sicher kann gelten, dass ihn die Ab-
sage von Giffey eher getroffen als gefreut
hat. Die Familienministerin galt als beson-

ders geeignet, weil die ehemalige Bezirks-
bürgermeisterin von Berlin-Neukölln ne-
ben viel Leidenschaft und Großstadterfah-
rung auch den Charme des Neuen mitge-
bracht hätte. Außerdem zählt sie zu jenen,
für die Regieren immer besser ist und also
angestrebt werden muss. So hatte sie
auch argumentiert, solange sie mit einer
Kandidatur kokettiert hatte.
Scholz hätte sie als Mitstreiterin des-
halb gerne mit dabeigehabt. Nun lastet
die Verteidigung der Koalition fürs Erste
vor allem auf seinen Schultern. Zu groß
war Giffeys Sorge geworden, dass die
Überprüfung ihrer Dissertation eine Kan-
didatur und alle Debatten drumherum
belastet hätte. Bis heute weiß sie nicht,
wann und wie die Freie Universität Berlin

entscheiden wird. Aus Sicht mancher
Sozialdemokraten wirft das Fragen auf.
Dem Prüfausschuss der politischen Fakul-
tät liegen seit Monaten alle Unterlagen
vor. Trotzdem haben es die Vertreter der
politischen Wissenschaften noch immer
nicht geschafft, eine politisch derart bri-
sante und für Giffey wie die SPD so ent-
scheidende Frage zu lösen.
Offen ist nun die Frage, ob auch Außen-
minister Heiko Maas noch in den Wettbe-
werb um den Vorsitz einsteigt. Zeit hat er
dafür bis zum 1. September. Gleiches gilt
für Arbeitsminister Hubertus Heil und Ge-
neralsekretär Lars Klingbeil.
Es ändert aber nichts dran, dass nun
um die Zukunft der Groko gerungen wird.
Mit Scholz rückt die Frage ins Zentrum,
und das wird auch Pistorius und Köpping
zwingen, sich zu positionieren. Beide sind
amtierende Landesminister: sie als Inte-
grationsministerin in Sachsen, er als In-
nenminister in Niedersachsen. Und beide
stehen bislang für eine Verantwortungs-
ethik, die eher für als gegen einen Ver-
bleib spricht. Klare Aussagen dazu aber
haben sie noch nicht abgegeben. Sie wird
es frühestens am Sonntag geben. Dann
wollen sie sich gemeinsam vorstellen.
Die meisten anderen Paare, ob nun Ge-
sine Schwan und Ralf Stegner, Karl Lauter-
bach und Nina Scheer oder die Stadtober-
häupter von Flensburg und Bautzen, Si-
mone Lange und Alexander Ahrens, ste-
hen teilweise sehr eindeutig für einen Aus-
stieg aus der Groko. „Schnell raus aus der
großen Koalition“, heißt das Versprechen
von Scheer und Lauterbach. Bei Schwan
und Stegner klingt das vorsichtiger. Aber
dass sie mit Verve für einen Verbleib ein-
treten, gilt als unwahrscheinlich.
Der Kampf um die SPD und die Zu-
kunft der großen Koalition: Er hat neu
Fahrt aufgenommen.  Seiten 2 und 4

Hongkong– In Hongkong ist es am Frei-
tag zu neuen Protesten gegen die prochi-
nesische Regierung der Sonderverwal-
tungszone und die Führung in Peking ge-
kommen. Dabei nahmen nach Schätzun-
gen mehr als 25 000 Menschen teil. Am
Wochenende soll es weitere Protestmär-
sche geben. dpa  Seiten 4 und 8

TRANSFERS,


TITEL, TAMTAM


Die große Show
Bundesliga geht
wieder los, mit mehr
Umsatz als je zuvor.
Ist das noch Volkssport?

Die Seite Drei

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Xetra Schluss
11563 Punkte

N.Y. Schluss
25886 Punkte

22 Uhr
1,1092 US-$

Euro-Jackpot(16.08.2019)
5 aus 50:7, 20, 35, 42, 44
2 aus 10:3, 7 (Ohne Gewähr)

Die SZ gibt es als App für
Tablet undSmartphone:
sz.de/zeitungsapp

28 °/10°


Tel Aviv– Nach einem Einreiseverbot für
die muslimischen US-Abgeordneten Ras-
hida Tlaib und Ilhan Omar lässt Israel
Tlaib zwar für einen Familienbesuch ins
Westjordanland. Aber diese will nun
nicht reisen. Innenminister Arie Deri ha-
be Tlaib die Einreise nach Israel für einen
„humanitären Besuch ihrer 90 Jahre al-
ten Großmutter genehmigt“, teilte das Mi-
nisterium am Freitag mit. Tlaib erklärte
darauf, sie werde die Reise wegen der „re-
pressiven Bedingungen“ nicht antreten.
Israel hatte das Einreiseverbot damit be-
gründet, dass sich beide im US-Kongress
für Gesetze zum Boykott Israels einsetz-
ten. US-Präsident Donald Trump hatte Is-
raels Regierung zuvor per Tweet indirekt
aufgefordert, die Demokratinnen nicht
ins Land zu lassen.sz  Seiten 4 und 8

Wissen, Seite 34


FOTO: BRITTA JASCHINSKY/LAIF; SZ PHOTO; IMAGO

Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre ...

Umfragewerte seit der Bundestagswahl am 24. September 2017 in Prozent

0

5

10

15

20

25

30

35

SZ-Grafik; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer
2017 2018 2019

28 CDU/CSU

25

13

7
7

Grüne

AfD

Linke
FDP

32

11

21

12

10

10

13 SPD

Seit sich das Mobiltelefon vor etwa 25 Jah-
ren alsalltäglicher Gebrauchsgegenstand
zu etablieren begann, sind ihm viele Ein-
flüsse auf die Gesundheit nachgesagt wor-
den, zumeist schlechte. Mal wurde gearg-
wöhnt, der Gebrauch verursache Krebs
oder ein weiches Hirn, dann hieß es, das
Fernsprechgerät – ausgerechnet – töte
die menschliche Kommunikation, weil
nur noch schriftlich Mitteilungsschnipsel
ausgetauscht würden. Dass Handys Mord
und Totschlag verhindern können, hat da-
gegen noch keiner behauptet. Bis jetzt.
Die Ökonominnen Lena Edlund und Ce-
cilia Machado haben in einer Studie unter-
sucht, ob die Einführung tragbarer Telefo-
ne beim deutlichen Rückgang der Mordra-
ten in US-Großstädten eine Rolle spielte.
Dazu stellten sie die Zahl der Mobilfunk-
masten und die der tödlichen Gewaltdelik-
te zwischen 1970 und 2009 einander ge-
genüber. Mit eindeutigem Ergebnis: Al-
lein in den Neunzigerjahren, in denen die
meisten Masten errichtet wurden, sackte
in den Metropolregionen die Mordrate je

100 000 Einwohner von durchschnittlich
17,3 auf 9,5 Opfer ab. Das Minus war dort
am deutlichsten, wo sich die Mobilfunk-
versorgung am schnellsten verbesserte.
Dass ein Bezug besteht, zeigt sich un-
ter anderem daran, dass die Zahl der Be-
ziehungstaten unverändert blieb, wäh-
rend die der Morde im Drogen- und Gang-
Milieu drastisch sank. Zwar mag es weite-
re Ursachen gegeben haben, neue Polizei-
taktiken oder strengere Waffengesetze et-
wa. Edlund und Machado zufolge verän-
derte aber nichts das Drogengeschäft so
sehr wie die Verbreitung des Handys. Vor
dessen Erfindung wurden Rauschmittel

auf der Straße verkauft. Dealer und Kun-
de trafen sich an Orten, die die Polizei nur
schlecht überwachen konnte, etwa in Un-
terführungen oder in den Eingängen von
Sozialbauten. Da viele von ihnen Waffen
trugen, konnte jeder Streit ums Geld oder
die Qualität der Ware tödlich enden. Hin-
zu kamen Revierkämpfe zwischen Gangs
oder einzelnen Händlern.
Mit dem Handy veränderte sich die Si-
tuation vollkommen. Händler und Kunde
müssen ihr Geschäft seither nicht mehr
an einem festen, öffentlichen Ort abschlie-
ßen, vielmehr können Preis und Überga-
bestelle telefonisch festgelegt werden. Da-

mit geht der Verkauf weniger spannungs-
geladen über die Bühne, zudem sank die
Zahl der Überfälle auf Kleindealer und de-
ren Geldbeutel. Auch gewaltsame Gang-
Konflikte um einzelne Straßenzüge wur-
den obsolet. „Das Revier verlor seine Be-
deutung und damit auch der Revier-
kampf“, heißt es in der Studie, die vom re-
nommierten Forschungsinstitut NBER
veröffentlicht wurde. In ländlichen Regio-
nen, wo das Prinzip des „Reviers“ nie eine
große Rolle gespielt hatte, änderten sich
die Tötungsraten entsprechend weniger.
Im Jahr 2000 wurden in den USA etwa
10 000 Morde weniger verübt als 1990. Ed-
lund und Machado schätzen, dass allein
das Mobiltelefon bis zu 2900 Menschenle-
ben rettete. Eine reine Erfolgsstory ist die
Einführung des Handys aus ihrer Sicht
dennoch nicht, denn es hat Drogen zu-
gleich auch billiger und leichter verfüg-
bar gemacht: In dem Maße, in dem Mord-
delikte zurückgingen, schoss die Zahl de-
rer, die an einer Überdosis starben, in die
Höhe. claus hulverscheidt

Dax▲


+ 1,31%

Dow▲


+ 1,20%

Euro▼



  • 0,


DAS WETTER



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NACHTS

Scholz traut sich


Der Finanzminister willSPD-Chef werden. Damit lastet die Zukunft der großen Koalition nun


auf seinen Schultern. Denn die meisten anderen Kandidaten fordern den Bruch mit der Union


Neue Proteste


in Hongkong


Simsen statt schießen


Handys machen US-Städte sicherer. Im Drogenmilieu
zücken Kriminelle heute eher das Smartphone als die Waffe

TV-/Radioprogramm, Medien 42–
Forum & Leserbriefe 14
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel & Schach 36
Traueranzeigen 20, 21


(SZ)Es gibt in diesem gespaltenen Land
gottlob noch Dinge, die uns verbinden,
die A1 und die Münchner S-Bahn gehören
leider nicht dazu. Was uns stattdessen
wirklich verbindet, ist das Bedürfnis, im-
merzu irgendwohin zu müssen. In der Re-
gel läuft es so, dass man erst einen Ar-
beitsvertrag unterschreibt, sich leichtfer-
tig mit Freunden verabredet oder am Te-
lefon behauptet, etwas anderes als eine
freudige Zusage für das Gartenfest von
Tante Edeltraud sei zu wirklich keinem
Zeitpunkt eine realistische Option gewe-
sen. Dann kommt die Zeit, es kommt der
Aufbruch und es kommt alsbald auch: die
erste Vollbremsung. Warum, denkt der
Autofahrer, ist da, wo ich bin, immer hin-
ten, und wie kann es sein, dass sich mein
ganzes Leben anfühlt wie ein wandern-
des Stauende? Wieso, wundert sich der
Fahrradfahrer, steht dacarpe diemauf
der Heckscheibe vor mir und wie, ver-
dammt, soll ich den diem denn carpen,
wenn Autos ständig den Radweg kreu-
zen? Und was, fragt sich der Fußgänger,
ist das da drüben eigentlich für ein sur-
rendes Gestänge, und liegt darin viel-
leicht die Lösung aller Probleme?
Liegt sie natürlich nicht. E-Scooter ha-
ben zwar neue Dynamik in den täglichen
Stellungskrieg der Verkehrsteilnehmer
gebracht, aber damit auch neue Proble-
me. Die Stadt Mailand hat die Dinger des-
wegen gerade schon wieder verboten.
Und wenn in einem Land wie Italien, das
Verkehrsführung immer als Chaospraxis
zu organisieren verstand, so radikale
Maßnahmen ergriffen werden – was be-
deutet das für Deutschland?
In hiesigen Innenstädten bedeutet
Durchgangsverkehr inzwischen, dass
man nur zu Fuß noch irgendwie Strecke
machen kann. Eine umfassende asym-
metrische Demobilisierung hat das Land
lahmgelegt, aber Verkehrsminister
Scheuer (vom Typ her sonst eher Hupe im
Kreisverkehr) gibt Vollgas, um den Still-
stand nun mit einer Reform der Straßen-
verkehrsordnung zu überwinden. Das ist
löblich, aber wie grundsätzlich immer in
der Politik dürfen Interessenverbände
auch in Unkenntnis der Vorschläge sofort
sagen, diese gingen nicht weit genug.
Was aber ginge weit genug? Man stelle
sich vor, Scheuer schlüge vor, E-Scootern
von drei Fahrgästen an die Benutzung
von Busspuren zu erlauben. Beim Bun-
desverband der Stuntfrauen und -män-
ner wäre man begeistert. So vieles andere
ist noch denkbar: die Bevorzugung von
Fahrgemeinschaften politisch kontro-
vers denkender Menschen, skaliertes
Bußgeld je nach Radstand des Wagens
oder Obszönität seines Kühlergrills und
so weiter. Noch rauschhafter erscheint
einzig die Idee, alle blieben eine Weile ein-
fach mal komplett zu Hause und führen
nirgendwo hin. Was, bitte, würde man
wirklich verpassen? Vielleicht gar nicht so
viel. Die freie Fahrt für den freien Bürger,
sie besteht in ihrem Kern doch auch darin,
die Fahrt gar nicht antreten zu müssen.


Einreiseverbot für


US-Abgeordnete


Israel verwehrt zwei Politikerinnen
erst den Zutritt, dann lenkt es ein

4 190655 803708

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