Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1

D


ie Haustür ist zu, die Fenster
sind zu, aber die Schreie sind
bis nach draußen zu hören.
Ein heiseres Stakkato, voller
Zorn, tief aus einer Frauenkeh-
le: „Porno! Porno! Porno!“ Man drückt den
Knopf neben der Tür. Es läutet. Die Schreie
hören auf.
Es öffnet eine kleine, schmale Frau mit
Strickjacke. Ihr Haar ist grau, am Hinter-
kopf verknotet. Maria Hofmaier, Anfang
siebzig, flüstert: „Das bringt der Teufel fer-
tig. Dass die Claudia aufhört zu schreien,
wenn jemand ins Haus kommt.“
Sie bittet hinein. Der Flur ist vollgestellt
mit Kirchenfiguren, die Wand zugehängt
mit Heiligenbildern. Der Kreuzweg Jesu,
15 Stationen, alle in Holz gerahmt. Dazu
Weihwasserschalen, handgeschnitzte En-
gel, ein Hausaltar mit Kreuzen und Kerzen.
„Kommen Sie“, sagt Maria Hofmaier(alle
Namen der Familie geändert, Anmerkung
der Redaktion).Sie flüstert immer noch,
deutet auf die Tür zur Stube. Hinter trü-
bem Glas sitzt eine Frau am Esstisch, man
sieht nur ihre Umrisse. Die Frau betet.

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.

Gerade hat Claudia Hofmaier, Mitte vier-
zig, noch gebrüllt. Porno! Porno! Porno! Un-
christliches Zeug. Und jetzt? Sitzt dieselbe
Frau da und betet.

Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns vom dem Bösen.

Das Böse. Es lebt in diesem Haus, im Kör-
per ihrer Tochter, da ist Maria Hofmaier si-
cher. Sie schaut durchs Türglas und sagt:
„Das ist nicht die Claudia. Das ist der Teu-
fel, der sie steuert.“
Dies ist die Geschichte einer Besessen-
heit. Sie handelt von einer Mutter und ih-
rer Tochter, vom Kampf gegen Dämonen.
Dreieinhalb Jahre wird man die Hofmaiers
begleiten. Man wird sich sorgen, sich gru-
seln. Und vor allem rätseln, wie das sein
kann, dass im 21. Jahrhundert noch irgend-
wer meint, es gehe mit dem Teufel zu.

Februar 2016. Der erste Besuch bei Fami-
lie Hofmaier im Bayerischen Wald. Früher
Armenhaus, jetzt Vorzeigeregion. Im Win-
ter stempeln, im Sommer buckeln, auf Bau-
stellen in München, auf Kartoffeläckern in
Straubing. So war das bis in die Achtziger-
jahre, jeder Zweite war hier teilzeitarbeits-
los. Und jetzt? Boomt der Bayerwald. Mini-
male Arbeitslosigkeit, mehr als sieben Mil-
lionen Übernachtungen haben die Touris-
ten im Jahr 2017 gebucht. Diese Ruhe, die-
se Luft. Der Bayerische Wald ist ein Para-
dies. Und die Hölle.
Er streckt sich 100 Kilometer in die Län-
ge, bis nach Böhmen, fast 1500 Meter in die
Höhe. Es gibt Moore, Schluchten, dazu Hän-
ge voller Baumskelette, totenstarr, Opfer
des Borkenkäfers. Bis ins 19. Jahrhundert
war die Welt hier wie zugenagelt. Die Men-
schen fühlten sich der Natur ausgeliefert.

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DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 11


BUCH ZWEI


Erlöse


uns


von dem


Bösen


Eine Mutter, eine


Tochter, ein alter


Volksglaube und


die Frage: Wie kann


es sein, dass im



  1. Jahrhundert


noch irgendwer meint,


es gehe mit dem


Teufel zu? Eine


Geschichte aus dem


Bayerischen Wald


text: andreas glas
fotos: jakob berr

Früher war die Welt hier wie
zugenagelt. Und heute?
Diese Ruhe, diese Luft
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