Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
interview: david steinitz

S


eit sie 2017 für „Aus dem Nichts“
in Cannes die Goldene Palme als
beste Schauspielerin gewonnen
hat, erlebe sie karrieretechnisch
einen zweiten Frühling, erzählt
Diane Kruger. Die Drehbücher, die sie ange-
boten bekomme, hätten endlich nichts
mehr mit jener Helena zu tun, der schöns-
ten Frau der Welt, mit der sie 2004 in „Tro-
ja“ ihren Durchbruch hatte. Die 43-Jährige
ist nach Berlin gekommen, um ihren Thril-
ler „Die Agentin“ vorzustellen, der am



  1. August im Kino startet. Darin spielt sie
    eine israelische Spionin, die für einen ge-
    fährlichen Auftrag nach Iran geschickt
    wird. Beim Interview spricht die gebürtige
    Niedersächsin, die vor allem in Frankreich
    und den USA lebt, ein schönes Deutsch mit
    sanft französischer Note und amerikani-
    schen Einsprengseln.


SZ: Wie bereitet man sich denn auf einen
Film über eine Geheimagentin im Auftrag
des Mossad vor? Man kann ja vermutlich
keine Spione anrufen und fragen, wie die
das so machen?
Diane Kruger: Doch, das ging! Ich habe mit
einigen ehemaligen Mossad-Agenten spre-
chen dürfen. Und ein paar Tage lang haben
wir auch eine Art Agenten-Basistraining in
Israel gemacht. Damit ich mich ein biss-
chen einarbeiten konnte, wie sich dieses
Leben anfühlt.


Zum Beispiel?
Ich habe einen falschen Pass mit anderem
Namen bekommen und sollte damit am
Flughafen von Tel Aviv einreisen. Das ist
natürlich kein spektakulärer Stunt, und
ich wusste ja, dass sich die Sache notfalls
aufklären ließe. Aber ich hatte doch ein ge-
wisses Herzklopfen, schon mit diesem Si-
cherheitsnetz, und da kann man sich dann
gut vorstellen, wie nervös man wird, wenn
man ganz im Ernst in bestimmte Länder
mit falschem Pass einreisen will. In Iran
möchten Sie nicht an der Grenze mit einem
gefälschten Ausweis erwischt werden.
Was hat noch zur Ihrem Agentinnentrai-
ning gehört?
Ich sollte einen wildfremden Menschen
auf der Straße ansprechen und ihn dazu
bringen, mich von A nach B zu bringen.
Sehr merkwürdig. Noch komischer hat es
sich angefühlt, bei einer fremden Person
an der Tür zu klingen und sie zu überzeu-
gen, dass man reinkommen und auf den
Balkon gehen darf. Von dort aus habe ich
dann dem Filmteam gewinkt, um zu bewei-
sen, dass ich es geschafft habe. Das fand


ich alles sehr unangenehm, einfach irgend-
welchen armen, freundlichen Menschen
ins Gesicht zu lügen, dass könnte ich un-
möglich als Beruf machen.
Leuten etwas vorzumachen ist doch Ihr
Job als Schauspielerin, damit verdienen
Sie Ihr Geld!
Das stimmt. Aber wenn mir jemand eine
Lüge nicht abnimmt, hält mir deshalb kei-
ner eine Waffe an den Kopf. In der Schau-
spielerei geht es nicht um Leben oder Tod.
Außerdem kann ich nach Drehschluss die
Rolle ablegen und nach Hause gehen.
Wenn Sie als Agent in ein anderes Land ein-
geschleust werden, kann das jahrelang so
gehen mit dem Leben in einer anderen
Identität.
Gewöhnt man sich als Schauspielerin
eigentlich daran, dass einen beim Drehen
100 Crewmitglieder anglotzen, während
man eine intime Szene meistern soll?
Es geht mittlerweile zumindest besser als
am Anfang meiner Karriere. Da hatte ich
große Schwierigkeiten, den Zirkus drum
herum auszublenden. Aber es bleibt nach
wie vor merkwürdig, von 100 Menschen an-
gestarrt zu werden, während man jeman-
den küsst.
„Die Agentin“ entstand teilweise an Origi-
nalschauplätzen. Wie waren die Drehar-
beiten in Israel?
Sehr beeindruckend, aber auch sehr an-
strengend. Wir waren im Sommer da, Juni
oder Juli, es hatte meistens über 40 Grad,
bei einigen Szenen, die wir in der Wüste ge-
dreht haben, auch über 50 Grad. Das
schlaucht ganz schön. Außerdem ist die is-
raelische Filmindustrie, was die Logistik
angeht, nicht ganz so durchprofessionali-
siert wie zum Beispiel in Amerika. Die
Crew war vergleichsweise klein, es war ein
Abenteuer.
Danach sind Sie nach Deutschland weiter-
gezogen und haben in Leipzig gedreht.
Das war im Vergleich fast wie Urlaub!
Sind Sie noch nervös am ersten Drehtag
oder legt sich das mit den Jahren?
Ich bin immer noch wahnsinnig nervös,
der erste Drehtag ist meistens furchtbar.
Das geht vielen Schauspielern so, und ich
glaube, das wissen auch die meisten Regis-
seure. Deshalb werden für den ersten Dreh-
tag eher einfache Szenen terminiert, die
man später für den Schnitt braucht, zum
Warmwerden. Von rechts nach links über
die Straße gehen, solche Sachen. Wobei,
ich habe auch schon erlebt, dass Regisseu-
re gerade wegen dieser Nervosität gleich
eine besonders schwere Szene auf den ers-
ten Tag legen.
Bei welchem Film denn?
Bei „Leb wohl, meine Königin!“ musste ich
gleich am ersten Drehtag eine irre lange
Szene spielen, es waren bestimmt 15 Dreh-
buchseiten Dialog am Stück, ein Albtraum.
Da schläft man in der Nacht davor wahr-
scheinlich nicht so gut.
Keine Sekunde.
Haben Sie Rituale zur Vorbereitung?

Wenn es denn geht, genug Schlaf. Ich bin
niemand, der viel ausgeht und Party
macht, während ich drehe. Das geht ein-
fach nicht, gerade wenn man die Hauptrol-
le hat und fast in jeder Einstellung zu se-
hen ist. Bei den Dreharbeiten zur „Agen-
tin“ sind die anderen oft abends essen ge-
gangen, ich habe mich lieber ins Hotel zu-
rückgezogen. Gut, da war ich schwanger,
aber auch ohne Schwangerschaft gehe ich
es während eines Drehs lieber ruhig an.
Klingt nach deutscher Zuverlässigkeit.
Dann bereiten Sie sich bestimmt auch
gern gründlich vor?
Oh ja, so es denn möglich ist. Bei diesem
Film hatte ich vier Monate zur Vorberei-
tung, das ist im Filmgeschäft außerge-
wöhnlich lang. Einmal hatte ich zwischen
zwei Projekten nur eine Woche Zeit, da
kommt man dann vollkommen durchein-
ander mit den Rollen.
Können Sie Ihre Filmcharaktere privat
schnell wieder ablegen?
Das kommt auf den Film an. Bei „Aus dem
Nichts“ fiel mir das sehr schwer, danach
habe ich monatelang nichts gearbeitet und
bin in ein schwarzes Loch gefallen. Diese
Dreharbeiten hatten mich sehr mitgenom-
men.
Mit Fatih Akin wollen Sie aber trotzdem
bald wieder drehen, man munkelt, es soll
um Marlene Dietrich gehen...
Ja, dieses Projekt ist in der Entwicklung,
wir arbeiten am Drehbuch und wollen das
auf jeden Fall machen. Details möchte ich
aber noch nicht verraten.
Sie sind nun schon ein Weilchen im Ge-
schäft, haben auf der ganzen Welt ge-
dreht. Wie hat sich die Filmindustrie ver-
ändert, seit Sie dabei sind?

Als ich angefangen habe, war die Kinoland-
schaft insgesamt noch deutlich bunter, zu-
mindest in den USA, wo heute ja fast nur
noch Superheldenfilme gedreht werden.
Das gilt zumindest für das Mainstream-
kino. Trotzdem ist es gerade heute sehr auf-
regend, als Schauspielerin zu arbeiten,
weil durch Netflix, Amazon und andere
neue Anbieter so viel produziert wird wie
niemals zuvor. Das heißt, es gibt nicht nur
mehr zu spielen, also mehr Jobs, sondern
auch viele qualitativ hochwertige Projekte.
Es gibt mehr Auswahl.

Sie bekommen mehr Angebote als früher?
Auf jeden Fall. Wobei das natürlich nicht
nur an der Filmindustrie liegt, sondern
auch daran, dass ich mich entwickelt habe.
Damals habe ich nicht so viele tolle Projek-
te angeboten bekommen wie seit „Aus
dem Nichts“.
Aber Sie waren doch schon davor jahre-
lang bestens im Geschäft!
Ja, aber „Aus dem Nichts“ hat trotzdem
viel verändert. Der Film war überhaupt der
größte Karrieresprung, den ich je gemacht
habe. Die Auszeichnung als beste Schau-

spielerin beim Filmfestival in Cannes hat
viel verändert für mich, wie die Menschen
mich wahrnehmen.
Kommen die Angebote gleichermaßen
aus den USA, Frankreich und Deutschland
oder aus einem Land besonders?
Merkwürdigerweise kommt aus Deutsch-
land immer noch am wenigsten. Seit „Aus
dem Nichts“ hatte ich vielleicht zwei, drei
Angebote von hier. Die haben mich dann
aber nicht so begeistert, dass ich zugesagt
hätte. Dabei würde ich mich freuen, wenn
mehr aus Deutschland käme.
Und wie steht es im Superheldenfilmland
USA, haben Sie schon Angebote von Mar-
vel bekommen?
Nicht wirklich. Ich würde prinzipiell auch
gar nicht Nein sagen, aber ich glaube, ich
bin zu alt für diese Filme.

Also bitte!
Doch wirklich. Wobei, die böse alte Comic-
Hexe könnte ich vielleicht noch spielen.
Was ist der wichtigste Ratschlag, den Sie
als Schauspielerin bekommen haben?
Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon!
Das hat Ed Harris mal zu mir gesagt, wenn
ich mich recht entsinne.
Das gilt vermutlich nicht nur fürs Filme-
machen.
Klar. Es gibt Höhen und Tiefen, und man
muss lernen durchzuhalten.
Wann haben Sie das erste Mal in der Pra-
xis gelernt, dass das Leben kein Sprint ist,
sondern ein Marathon?
Als „Troja“ ins Kino kam, weil der Film in
Amerika nicht so aufgenommen wurde,
wie ich mir das gewünscht hatte. Es gab
sehr viele negative Kritiken, für den Film,
für mich. Und ich hatte unterschätzt, was
für Rollen einem angeboten werden, nach-
dem man Helena von Troja gespielt hat, die
schönste Frau der Welt. Damals fühlte es
sich so an, als sei meine Karriere vorbei,
nachdem sie gerade erst angefangen hatte.
Es gab definitiv Momente, in denen ich
dachte, oh je, ich lasse es lieber sein.
Und dann?
Bin ich nach Frankreich zurück, wo ich Fil-
me machen konnte, wie ich sie machen
wollte. Es hat ein paar Jahre gedauert, aber
durch diesen Weg habe ich auch in den USA
irgendwann wieder andere Rollen jenseits
des Helena-Schemas bekommen.
Gehen Sie selbst noch viel ins Kino?
Ich versuche es zumindest, bestimmte Fil-
me muss man einfach im Kino sehen.
Ansonsten hänge ich aber vor Netflix und
betreibe Binge-Watching wie alle anderen
auch.

„Ich bin immer noch
nervös,der erste Drehtag
ist meistens furchtbar.“

Im vergangenen Monat, kurz nachdem er
sein Amt als britischer Premierminister
angetreten hatte, kündigte Boris Johnson
als Teil seiner Post-Brexit-Strategie die
Einrichtung von zehn Freeports im Verei-
nigten Königreich an. Dies werde „das
Wachstum ankurbeln und Tausende Jobs
für hochqualifizierte Arbeitskräfte in be-
nachteiligten Landesteilen schaffen“, ver-
sprach Johnson. Eine Initiative, die teilwei-
se auf sehr positives Echo stieß. So zeigte
sich ein Sprecher des Hafens von Bristol
hocherfreut: Die Zollfreilager hätten sich
„als erfolgreiches Mittel erwiesen, um
Investitionen und Arbeitsplätze an einer
Reihe von Standorten auf der ganzen Welt
zu fördern“. Sie böten „das Potenzial, die
Zahl der Arbeitsplätze weiter zu erhöhen
und den Wohlstand zu steigern“. Seit die-
sem Monat gibt es im Handelsministeri-
um ein eigenes Beratergremium, das sich
allein der Einrichtung von Freeports wid-
men soll.
Aus Sicht des Kunsthandels sind Free-
ports eine Grauzone. Sie liegen zwar auf
dem Gebiet eines Staates, zollrechtlich
aber außerhalb. Hier werden keine Ein-
fuhrkosten erhoben, wer hier was lagert,
ist von außen sehr schwer zu ermitteln.
Für die Briten ist der Kunstmarkt ein wich-
tiger Wirtschaftsbereich – weit wichtiger
als etwa für Deutschland. Allein 2018 wur-
den auf der Insel mit Kunsthandel rund
14Milliarden Dollar umgesetzt, mit ent-
sprechenden Steuereinnahmen.
Die Freeports würden diesen Einkünf-
ten jedoch nichts hinzufügen, ihre Attrak-
tivität beruht ja gerade auf Steuervermei-
dung. Aus Sicht des Kunsthandels ginge
es daher wohl vor allem darum, dass das
Großbritannien als Umschlagplatz für


Kunstwerke aus Drittländern außerhalb
der EU attraktiv bleibt, mit niedrigen Steu-
ern, wenig Papierkram und ohne allzu
strengen Kontrollen des Woher und Wo-
hin. Teile der britischen Berichterstat-
tung suggerieren, dass EU-Regularien
Freihäfen bislang verhinderten. Das ist
nicht der Fall. In der EU existieren rund
80Freeports, obwohl ein Bericht des Euro-
päischen Parlaments im vergangenen
März zu dem Ergebnis kam, dass diese
allmählich abgeschafft werden sollten.
Tatsächlich gab es von 1984 bis 2012 auch
britische Freeports, in Liverpool, South-
ampton, Tilbury, Sheerness und am Flug-

hafen Prestwick. (Auf der Isle of Man, für
die als „crown dependency“ andere Re-
geln gelten, gibt es noch immer einen.)
Dass die Zollfreizonen vor sieben Jah-
ren abgeschafft wurden, lag an der zuneh-
menden Sorge, sie könnten für Steuerver-
meidung und Geldwäsche missbraucht
werden. Ein Bericht des Wissenschaftli-
chen Dienstes des Europäischen Parla-
ments vom Oktober vergangenen Jahres
bestätigte genau diese Risiken. Daher mel-
det der auf Sicherheitsfragen spezialisier-
te britische Thinktank „Royal United Ser-
vices Institute“ (RUSI) jetzt angesichts der
Regierungspläne auch ernste Bedenken
an: Freihäfen böten zwar zweifellos „inter-
essante Geschäftsvorteile“, doch in jüngs-
ter Zeit habe die UNESCO immer wieder
vor dem florierenden Handel mit gestohle-
nen Antiquitäten gewarnt, die über Freihä-

fen gelagert und verschifft wurden. Ein
besonders spektakulärer Fall waren die
als Raubkunst identifizierten archäologi-
schen Relikte im Wert von bis zu 9 Millio-
nen Euro, die 2014 im Genfer Freeport
beschlagnahmt wurden.
In Wirklichkeit geht es Boris Johnson
und seiner Handelsministerin Liz Truss
wohl auch gar nicht so sehr um die Etablie-
rung von Freihäfen wie in Luxemburg und
Genf, die als Lagerungsfestungen fragwür-
dig erworbener Kunst gelten. Das Vorbild
sind vielmehr „foreign trade zones“ in Sin-
gapur und den Vereinigten Staaten. Hier
können Produkte hergestellt und Import-
Export-Aktivitäten betrieben werden,
ohne dass die im Rest des Landes für Roh-
stoffe, Waren und Dienstleistungen anfal-
lenden Zölle und Steuern erhoben wer-
den. So sollen Investoren angezogen und
Arbeitsplätze geschaffen werden. Untersu-
chungen von RUSI haben gezeigt, dass die-
se geringe Kontrolle reichlich Gelegenheit
bietet, hier illegale Waren herzustellen,
zusammenzubauen, umzuladen, neu zu
etikettieren und zu verpacken. Zudem wer-
den von hier häufig Waren direkt in ande-
re Länder geschmuggelt, unter Umge-
hung der Gesundheits- und Sicherheits-
standards, von Einfuhr- und Mehrwert-
steuern ganz zu schweigen.
Der Innenpolitische Sprecher der
Labour-Opposition, Barry Gardiner, be-
schreibt diese mögliche Zukunft als
„Unterbietungswettbewerb“, angesichts
dessen sich „Geldwäscher und Steuerhin-
terzieher die Hände reiben“. In jedem Falle
würde es in die Vision jener Brexit-Befür-
worter passen, die von einem „Singapur
an der Themse“ träumen.
alexander menden

„Es gab definitiv Momente,
in denenich dachte,
oh je, ich lasse es lieber sein.“

Singapur an der Themse


Paradiesfür Kunstschmuggler: Boris Johnson will Freihäfen einrichten


Lügen


als Beruf


Schauspielerin Diane Kruger über ihr


Spionagetraining für den


Thriller „Die Agentin“ und den Wandel


im internationalen Filmgeschäft


Steuerhinterzieher rieben
sich schon die Hände,
heißt es aus der Opposition

DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 FEUILLETON 17


Hallo Deutschland? Diane Kruger hätte gern mal zu tun in diesem Land. Es muss auch
keine Superheldenrolle sein, die Premiere wäre sicher trotzdem ein Hingucker.FOTO: AFP

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Du, ich brauch dringend


deine Hilfe«, flüstert der


Lotto-Otto dem Franz ins Ohr.


Und schon steckt er mittendrin


in seinem zehnten Fall,


der Eberhofer.


GROSSES GEWINNSPIEL: franz-eberhofer.de/gewinn

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