Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
Ein Jahr vor Olympia testen die
Vielseitigkeitsreiter, wie die Pferde
Tokios Hitze vertragen  Seite 40

von johannes knuth

N


ach den Spielregeln des Ringens
war die Sache klar: Punktsieg für
Michael Lehner. Auch wenn der
Unterlegene später reklamierte, dass er
ja gar nicht richtig Ernst gemacht habe,
als er den Widersacher kurz im Würge-
griff hatte. „Wenn ich zugedrückt hätte,
wär’s schlimm geworden“, sagte Werner
Franke; er sei früher immerhin Offizier
der schweren Pioniere gewesen.
Wie traurig nur, dass das, was sich am
Donnerstag rund um einen Pressetermin
des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins (DOH)
in Berlin abspielte, kein neckischer Ring-
kampf war – sondern die Eskalation ei-
nes Konflikts, in dem Dopingopfer seit
Längerem mit Dopingopfern zanken, Auf-
klärer mit Aufklärern. Nun waren zwei
dieser sportpolitischen Schwergewichte
aneinandergerasselt: Hier Werner Fran-
ke, Professor der Molekularbiologie, Ge-
sicht der west- und ostdeutschen Doping-
aufklärung, der seine Sicht beim DOH-
Termin vortragen wollte. Dort Michael
Lehner, Doktor des Rechts, der Franke
einst vertrat, mittlerweile dem DOH vor-
steht und den 79-Jährigen nun mit der
Kälte eines Türstehers vom Hof drängte.
Auch wenn er dafür sicher keinen Punkt-
sieg geltend machen konnte oder wollte.


Der Streit hatte sich, grob gesagt, an
der Frage entzündet, ab wann ein Doping-
opfer des DDR-Sports eigentlich ein Do-
pingopfer ist, das der Bund finanziell ent-
schädigen muss. Und wie so oft in derarti-
gen Fragen gibt es darauf Antwort in vie-
len Geschmacksrichtungen. Da sind eins-
tige Athleten, denen die blauen Kraft-
pillen des DDR-Sports im Kindesalter als
Vitamine angedreht wurden; da sind die,
die wussten, dass sie nachhalfen, aber
erst viel später erfuhren, dass die Chemie
auch Organe und Seelen zerfraß; da sind
die, die sich selbst Tabletten besorgten,
obwohl ihre Trainer sie vor Spätfolgen ge-
warnt hatten; da sind auch die, die nicht
mitmachten und aus dem System versto-
ßen wurden. Nein zu sagen, das war mög-
lich, aber es war mit Repressalien verbun-
den – ist da also nur der ein Opfer, der
sich wehrte? Oder auch, wer in den Anabo-
likatopf griff, aber in einem Gestrüpp aus
Abhängigkeiten oder Unwissen?
Doch anstatt das alles sachlich zu ver-
handeln, verirrten sich die Kontrahenten
zuletzt immer tiefer in Eitelkeiten. Eine
Fraktion um Franke warf Ines Geipel vor



  • selbst staatlich anerkanntes Dopingop-
    fer und bis zum Dezember Vorstand des
    DOH –, sie würde den Opferbegriff zu
    sehr dehnen, Opferzahlen frisieren. Gei-
    pel konterte das immer aufbrausender,
    ehe Lehner sie an der DOH-Spitze ablös-
    te. Franke wiederum äußerte auch stich-
    haltige Kritik, er bezweifelte etwa, ob
    Traumata genetisch vererbt werden kön-
    nen. Doch das verblasste spätestens hin-
    ter der Eskalation, in die beide Seiten nun
    sehenden Auges schlitterten. Und jetzt?
    Der Anti-Doping-Kampf war in
    Deutschland bis vor Kurzem meist Privat-
    sache, zumindest der wirkungsvolle. Der
    bundesdeutsche Sportadel tankte einst
    bei Dopingärzten im Breisgau nach, abge-
    schirmt von der Politik; im Osten wurde
    per Staatsplan nachgeholfen. Nach dem
    Mauerfall wurde all das hastig übergan-
    gen; es lag an Kronzeugen und Aufklä-
    rern wie Franke, aus den Ruinen der ver-
    sinkenden DDR jene Belege zu heben, oh-
    ne die es heute auch keine Dopingopfer-
    hilfe gäbe. Sport und Politik? Reagieren
    noch immer schleppend auf Enthül-
    lungen. Ihr Anti-Doping-Kampf bleibt
    oft ein Anti-Doping-Management, das ge-
    rade so viel vom Problem zeigt, dass das
    Geschäft nicht zu sehr beschädigt wird.
    In dieser Gemengelage braucht es wei-
    ter beides: Aufklärer wie Franke, die stets
    wie Eisbrecher durch das Packeis des
    Schweigens pflügten, und Vereine wie
    den DOH, der Opfern dieser Aufklärung
    eine feste Stimme gibt. Was es nicht
    braucht, sind Akademiker, die ihre Eisbre-
    cher-Qualitäten im Ringkampf erproben.


von sebastian fischer

München– Die Saison war kurz davor zu
beginnen, da sah Joshua Kimmich schon
die Meisterschale. Er lief auf sie zu, beim
Bundesliga-Eröffnungsspiel ist sie ja auf
dem Rasen ausgestellt. Der Rechtsvertei-
diger des FC Bayern schlug sich dreimal
auf die Brust. Als gelte es sich einzustim-
men, nun etwas zu beweisen, fast trotzig.

Der FC Bayern hat am Freitag nicht ver-
loren, er hat beim 2:2 (1:2) gegen Hertha
BSC auch nicht besonders schlecht ge-
spielt. Aber der deutsche Meister hat am
ersten Spieltag der 57. Bundesliga-Saison
noch nicht bewiesen, die Dominanz der
vergangenen Jahre einfach weiter auszu-
strahlen zu können. Und das passte natür-
lich zu den vergangenen Wochen.
Der Eindruck der Saisonvorbereitung
war ja eher der gewesen, dass die Münch-
ner nur bedingt bereit sind für diese Sai-

son, in der sie zum achten Mal in Serie am
Ende die Schale gewinnen wollen. Es ging
lange darum, dass dem deutschen Meis-
ter die Verstärkungen fehlen, allen voran
Leroy Sané von Manchester City, der nun
am Kreuzband verletzt ist, anstatt zum FC
Bayern gewechselt zu sein. Am Freitag
deutete sich an, dass nach der Leihe von
Ivan Perisic von Inter Mailand und Ge-
rüchten über die bevorstehenden Trans-
fers von Mario Madzukic von Juventus Tu-
rin und Michael Cuisance von Borussia
Mönchengladbach auch Philippe Coutin-
ho vom FC Barcelona zur Leihe nach Mün-
chen wechseln könnte, ein Spieler der
höchsten Kategorie also. Doch am Freitag
standen noch mal die Spieler der vergan-
genen Saison auf dem Platz.
Die Aufstellung der Bayern sah fast so
aus, als wäre die vergangene Saison ein-
fach weitergegangen. In Benjamin Pavard
stand ein neuer Innenverteidiger anstelle
von Jérôme Boateng in der Startelf, an-
sonsten spielten zehn Fußballer, die auch
in der Vorsaison schon da waren. Änderun-

gen waren in Details wahrnehmbar: Niko
Kovac ließ eine etwas offensive Variante
des 4-3-3-Sytems spielen, mit einem statt
zwei Sechsern, Thiago begann hinter Co-
rentin Tolisso und Thomas Müller.
Wer die Berliner Startaufstellung sah,
der musste sich auch an die vergangene
Saison der Bayern erinnert fühlen, an ein
3:3 gegen Düsseldorf im November 2018,
das damals die Kritik an Kovac laut wer-
den ließ. Damals schoss Dodi Lukebakio
alle drei Tore für den Außenseiter, in der
Sommerpause wechselte der Angreifer
für 20 Millionen Euro zur Hertha. Und es
war noch mal Lukebakio, der mit seinem
vierten Tor im zweiten Spiel in der Münch-
ner Arena wieder traf, und damit den
Abend für den FC Bayern zu einem unge-
mütlichen machte.
Der Favorit hatte mit großer Dominanz
begonnen, ausgesprochen offensiv, über
die immer wieder so elegant wie rasant
zum Tor dribbelnden Flügelspieler Serge
Gnabry und Kingsley Coman. Nach 24 Mi-
nuten, mit der dritten Münchner Torchan-

ce, traf Robert Lewandowski nach Vorlage
von Coman. Auch Berlin hatte ein paar Ge-
legenheiten, erst wirkte es noch wie Zu-
fall. Doch dann nutzte die Hertha häufiger
den Raum, den die offensiven Müller und
Tolisso preisgaben. Lukebakio wurde in
der 36. Minute von Müller nicht angegrif-
fen, Vedad Ibisevic fälschte seinen Schuss
aus der Distanz ins Tor ab. Und nur drei Mi-
nuten später lief Marko Grujic plötzlich al-
lein aufs Tor zu, als er sich schneller als
sein Gegenspieler Pavard von einem Zu-
sammenprall erholte und von Ibisevic den
Ball in den Lauf gepasst bekam. Grujic
traf. Plötzlich sangen die Berliner Fans in
München davon, Spitzenreiter zu sein.
Es war eine überraschende Wendung ei-
nerseits, doch es war auch ein Anflug von
fehlender Souveränität. Mindestens war
es nun ein Test für die Bayern zu einem un-
gewohnt frühen Zeitpunkt der Saison. Die
Auftaktspiele in den vergangenen vier Jah-
ren hatte der Meister jeweils mit mindes-
tens zwei Toren Vorsprung gewonnen. Ko-
vac wurde an der Seitenlinie energischer.
Schon kurz vor der Pause hätten die
Münchner einen Elfmeter bekommen
können, Herthas Niklas Stark schubste Co-
man im Strafraum. Sie bekamen ihn
schließlich in der zweiten Halbzeit zuge-
sprochen, Grujic hatte Lewandowski um-
gerissen und Schiedsrichter Harm Os-
mers nach Ansicht der Videobilder auf
den Punkt gezeigt, Lewandowski traf in
der 60. Minute zum Ausgleich.
Es war nun ein Spiel, in dem der FC Bay-
ern klar dominierte, er trug Angriff nach
Angriff vor, er kam auch weiterhin zu
Chancen – einmal lief Müller im Straf-
raum quer und verpasste den Moment zu
schießen, einmal vergab Tolisso, einmal
Lewandowski, einmal Gnabry. Es war da-
mit aber auch ein Spiel, in dem ein Ein-
wechselspieler den Unterschied ausma-
chen kann. Auf der Bank der Münchner sa-
ßen allerdings in der Mehrzahl Nach-
wuchsfußballer, Sarpreet Siongh oder
Kwasi Wriedt. Kovac wechselte erst weni-
ge Minuten vor Schluss Renato Sanches
für Müller und Alphonso Davies für Gna-
bry ein. Sie trafen nicht mehr.

München– Es waren erst wenige Minu-
ten gespielt, da zeigte sich schon, mit wel-
cher Aufgabe er an diesem Abend betraut
sein würde. Benjamin Pavard, aufgestellt
als linker Innenverteidiger neben Niklas
Süle, nahm Dodi Lukebakio ins Visier, er
pirschte sich von hinten heran, er fuchtel-
te mit dem Fuß zwischen den Beinen sei-
nes Gegenspielers. Lukebakio stemmte
sich mit allem dagegen, was der 1,87 Me-
ter große Hertha-Angreifer entgegenzu-
stemmen hatte, aber Pavard fuchtelte so
lange, bis er den Ball zu einem Mitspieler
gebracht hatte.
Die Bewachung Lukebakios genoss ho-
he Priorität, hatte er doch in der vergange-
nen Saison für Fortuna Düsseldorf drei
Treffer in der Münchner Arena erzielt. Ei-
ne Aufgabe übrigens, bei der Jérôme Boa-
teng damals keine allzu gute Figur abgab,
was wiederum einen Teil dazu beigetra-
gen haben könnte, dass Boateng am Frei-
tag nicht in der Startformation stand. Pa-
vard jedenfalls fuchtelte noch ein paar
Mal im Rücken des Berliner Angreifers,
er fing zahlreiche Pässe auf ihn ab und
sorgte dafür, dass dieser leicht entnervt

die Seite wechselte, von der rechten auf
die linke Stürmerposition. Es war der Mo-
ment, in dem das Spiel kurz zugunsten
der Berliner kippte. Lukebakio traf in sei-
ner neuen Arbeitszone mit einem Distanz-
schuss (36. Minute), der Ball wurde von
seinem Sturmpartner Vedad Ibišević ab-
gefälscht. Wenig später stieg Pavard zum
Kopfballduell mit Marko Grujić hoch, sie
prallten mit den Köpfen aneinander und
Pavard blieb stehen, Grujic hingegen er-
zielte das 2:1. Es blieb Pavards einziger
aber gravierender Makel bei diesem 2:2,
bei dem er sein Bestes gab, den nach Dort-
mund abgewanderten Mats Hummels zu
imitieren, mit einer führenden Rolle im
Münchner Spielaufbau und vielen fla-
chen Vertikalpässen ins Mittelfeld.

In diesem Münchner Transfersommer
voller Wirrungen und Wendungen ist ei-
ne Frage ja immer weiter in den Hinter-
grund gerückt: Werden sich die 35 Millio-
nen Euro, die der FC Bayern für den Ver-
teidiger Benjamin Pavard, 23, gezahlt
hat, auf Anhieb als eine bereichernde In-
vestition erweisen? Und wenn ja: Wo? Pa-
vard kann innen und außen verteidigen,
er ist so etwas wie ein Alleskönner, der
erst noch nachweisen muss, dass er das al-
les auch bei einem Spitzenklub wirklich
gut kann. Pavard ist Weltmeister mit
Frankreich und Absteiger mit Stuttgart,
er spielte eine fabelhafte erste und eine
eher dürftige zweite Bundesliga-Saison,
eine ähnliche Diskrepanz war auch in eini-
gen Vorbereitungspartien und dem gu-
ten Pokalspiel in Cottbus zu beobachten.
Nun gehört es zu den großen Aufgaben
des Trainers Niko Kovac, sich demnächst
für eine der vielen Abwehrvarianten zu
entscheiden. Halblinks spielt nämlich
auch Lucas Hernández, der noch nicht
ganz fitte Münchner Rekordzugang, am
liebsten. thomas hürner

FOTO: YOHEI OSADA / IMAGO

Johannes Knuth ist froh,
dass erim Zivildienst war
statt in der Pioniertruppe.

Ein Makel


zu viel


BenjaminPavards wechselhaftes
Liga-Debüt für die Bayern

Kalte Waschung


Der neue Präsident ist wohl gefunden. Aber wer beim DFB
übernimmt die internationalen Posten – und wie steht
der Verband zum Konflikt von Uefa und Fifa?  Seite 38

DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 HMG 37


SPORT


Bedingt angriffsbereit


Der FC Bayern spielt zum Auftakt der neuen Bundesliga-Saison nicht schlecht, kommt aber nicht über ein 2:2
gegen Hertha BSC hinaus – und bleibt fürs Erste den Beweis schuldig, die Dominanz der Vorsaison fortzusetzen

Der FC Bayern steht direkt vor der Ver-
pflichtungdes brasilianischen National-
spielers Philippe Coutinho. Ein Spre-
cher des FC Barcelona bestätigte der SZ
am Freitag, dass der FC Bayern und Bar-
ça sich grundsätzlich über ein Leihge-
schäft einig seien. Der Spieler sei eben-
falls willens, nach München zu wech-
seln. Unterschrieben sei aber noch
nichts. Der Radiosender RAC 1 meldete
in Spanien, dass Coutinho am Sonntag
nach München fliegen werde, um den
Medizincheck zu absolvieren. Der
27-Jährige stand am Freitagabend nicht
im Kader des Titelverteidigers FC Barce-
lona im Eröffnungsspiel der spanischen
Liga bei Athletic Bilbao. Am Dienstag
hatten die Münchner den kroatischen
WM-Finalisten Ivan Perisic von Inter
Mailand ausgeliehen. SZ, SID

Die Begeisterung über das erste Jahr in
der Bundesligamacht Union Berlin
keinen Deut unpolitischer  Seite 39

Benjamin Pavard.
FOTO: CHRISTOF STACHE / AFP

DOPING-OPFER-HILFE

Ringkampf


der Akademiker


Coutinho kommt


Der Anti-Doping-Kampf war in


Deutschland immer Privatsache,


der DOH eine der besten Ideen


Lewandowski reicht nicht
Die Datenzum Eröffnungsspiel in München

Am Samstag um 22 Uhr erscheint
die digitaleAusgabe
Sport am Wochenende sz.de/sport-we

Sport digital


München: Neuer – Kimmich, Süle, Pavard, Ala-
ba –Thiago – Thomas Müller (85. Sanches), To-
lisso – Gnabry (86. Davies), Lewandowski, Co-
man. – Trainer: N. Kovac.
Berlin: Jarstein – Klünter, Stark, Rekik – Grujic,
Darida – Leckie, Duda (78. Skjelbred), Mittel-
städt – Lukebakio (68. Selke), Ibisevic (63. Ess-
wein). – Trainer: Covic.
Tore: 1:0 Lewandowski (24.), 1:1 Lukebakio (36.),
1:2 Grujic (38.), 2:2 Lewandowski (60./Foulelf-
meter nach Videobeweis). – SR: Osmers (Han-
nover). – Gelb: Müller, Pavard, Lewandowski –
Darida, Grujic, Mittelstädt. – Zuschauer: 75 000.
Nummer 9 trifft: Sieht fast wie eine Verteidigerbewegung aus, was Robert Lewandowski tut, ist aber ein Rekordtor des Münchner Stürmers. FOTO: SVEN HOPPE / DPA

Schon das zweite Gegentor für Manuel Neuer in dieser Saison: Marko Grujic
(links) umkurvt den Bayern-Torwart. FOTO: DANIEL KOPATSCH / GETTY

15 Minuten Grabesstille
FOTO: ANDREAS GORA / DPA

Trennung der Ämter

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