Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
von oliver meiler

B


ei der Piazza Navona? Oder viel-
leicht beim Campo de’ Fiori?
Oder in den Gassen von Traste-
vere? Wer an Rom denkt, an sei-
ne Plätze und Kirchen, seine
Brunnen und antiken Monumente, seine
Platanen und Pinien, der denkt wohl, dass
da jeder mittendrin wohnen möchte. In
der ganzen Pracht, umgeben von Geschich-
te und Romantik.
Nun, die Römer selbst leben eher nicht
so gerne im alten Rom. Natürlich gibt es
welche, die da wohnen, auch prominente.
Theaterdirektoren, Minister, Fernsehmo-
deratoren, Schauspieler, Parlamentarier
aus allen Ecken des Landes. Als der Fußbal-
ler Daniele De Rossi eine Wohnung gleich
gegenüber des Castel Sant’ Angelo kaufte,
war das eine Sensation. Die Einwohner-
zahl im alten Kern der Stadt geht stetig zu-
rück.


Das liegt nicht nur an den Preisen. Das
Zentrum ist unpraktisch, es gibt da kaum
Parkplätze, natürlich schon gar keine un-
terirdischen: Wer hier gräbt, stößt immer
auf Antike. Das ist zwar schön, aber wenn
mal die Archäologen mit ihren Pinselchen
aufmarschieren, erstarrt alles für Jahre.
Darum gräbt keiner. In den alten Mauern
des „Centro storico“ ist es im Sommer
auch ein paar Grad wärmer, außer auf den
sieben Hügeln. Und dann sind da noch die
Touristen, Schwärme davon, jedes Jahr
sind es noch mehr. Neuerdings fahren sie
mit Segways durch die Gassen, ziemlich
wacklig. Sie führen sich auf, als gehöre die
Stadt ihnen.
Durch das starke Wachstum des Touris-
mus sind auch die Immobilienpreise ge-
stiegen, nicht nur die der Wohnungen: Die
werden immer öfter in B&Bs – Bed &
Breakfast – und Airbnb umfunktioniert.
Auch die Mietpreise der Laden- und Res-
taurantlokale steigen dramatisch. Und so
schließen viele alte, kleine Geschäfte, die


sich das nicht mehr leisten können: Schrei-
ner, Mechaniker, Früchtehändler, „Tavole
calde“ – so nennt man unprätentiöse, aber
oftmals gute italienische Imbisse. Sie ver-
schwinden, und mit ihnen ein Stück Identi-
tät und Alltagskultur im Viertel. An ihrer
Stelle gibt es jetzt alle paar Dutzend Meter
eine Gelateria, eine Eisdiele, oder einen
Souvenirladen. Alles für Touristen, wer
möchte da noch leben?
Die einigermaßen vermögenden Römer
wohnen deshalb viel lieber in den zen-
trumsnahen Vierteln, in Monteverde zum
Beispiel, in Prati, im Quartiere Trieste, wo
die Straßen breiter und die Touristen et-
was weniger sind. Zur Miete wohnt in Itali-
en nur, wer sich keine Wohnung leisten
kann oder keine von seinen Eltern ver-
macht bekam. Immobilien sind die liebste
Anlage der Italiener. Bei den Betuchteren
gehört es zum guten Ton, den Kindern eine
Wohnung zu kaufen. Meistens im selben
Viertel, damit sie in der Nähe bleiben. Für
die Kinder ist das eine Starthilfe. Und die
haben viele bitter nötig, weil die Löhne, die
hier am Anfang einer Karriere bezahlt wer-
den, jungen Menschen selten zur Autono-
mie verhelfen.
Das Eigenheim ist sakrosankt, der Miet-
markt entsprechend dürftig. In derPorta
Portese, der römischen Anzeigenzeitung
für alles, was einer gerne kaufen oder ver-
kaufen möchte, ist die Sektion für Miet-
wohnungen immer viel kleiner als jene der
Kaufwohnungen. Ein Teil davon, jener mit

den hohen Fantasiepreisen, ist für die Ex-
pats gedacht: Botschaftsangestellte etwa,
und davon gibt es eine ganze Menge, ent-
senden doch viele Staaten Leute für die
Vertretung in Italien und solche für den
Heiligen Stuhl, dazu Angestellte der Ernäh-
rungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen, Sehnsüchtige je-
der Provenienz.

Besichtigungstermine sind immer Er-
lebnisse, nicht ausschließlich im erfreuli-
chen Sinne. Die Wohnungen sind dann
meistens ungeputzt. Es kann auch mal vor-
kommen, dass ungewaschenes Geschirr
im Spülbecken steht, und man möchte lie-
ber nicht wissen, wie lange schon. Oder es
passiert einem, dass auch bei der Schlüssel-
übergabe noch Möbel des Vorgängers he-

rumstehen und die Schränke voll sind, in
den Zimmern und in der Küche.
Ein Erfahrungsbericht: Der Umzugswa-
gen stand schon unten. Der Besitzer, ein
Adliger mit zwei Hunden, organisierte
dann schnell ein halbes Dutzend Freunde,
die den ganzen Kram durchs Treppenhaus
wegbrachten, inklusive eines schreckli-
chen Kronleuchters, während die Umzugs-
leute die Kartons mit einem Warenlift die
Fassade hochzogen, zum Fenster im Eltern-
zimmer. Die einen rein, die anderen raus,
es hat gerade so geklappt.
Den Römern sind nur die eigenen vier
Wände wichtig, buchstäblich. Wie das
Haus von außen aussieht, kümmert nur
wenige. Auch das Treppenhaus muss nicht
immer perfekt sein. Ganz zu schweigen
von der Straße: Oft sind in den besten
Wohngegenden die Straßen und Gehsteige
besonders schmutzig, die Müllcontainer
überborden. Das hat natürlich damit zu
tun, dass die städtische Müllabfuhr in ei-
nem beklagenswerten Zustand ist, aber
nicht nur. Im großen Lamento der Römer
über Dreck und Dekadenz wird gern ver-
gessen, dass sie selbst ziemlich wenig da-
für tun, dass es besser wird. Es gibt lobens-
werte Vereinigungen und Initiativen, aber
insgesamt mangelt es dramatisch am Sinn
fürs Kollektive.
Wer es sich leisten kann, der wohnt in ei-
nem Haus mit einem „Portiere“, einem
Hausmeister. Es gibt sie noch immer in vie-
len Palazzi. Sie putzen nicht nur den Haus-

eingang und schauen, dass niemand rein-
kommt, der nicht hineingehört. Portieri
sind im besten Fall die Seele eines Hauses.
Sie wissen alles, auch den Klatsch, schlich-
ten Fehden unter Bewohnern, nehmen die
Pakete entgegen oder gießen die Pflanzen,
wenn man nicht zu Hause ist. Wichtig ist
den Römern auch ein Aufzug im Haus.
Wohnungen in Häusern ohne Aufzug ge-
hen für gewöhnlich viel billiger weg. Wenn
eine Wohnung in einem hohen Stockwerk
mit viel Licht und sogar noch etwas Aus-
sicht scheinbar unter Preis annonciert ist,
bedeutet das meist: kein Aufzug.
Nach einer Weile wird man Experte im
Lesen von Inseraten. Weil die Italiener, al-
le, gerne in der erweiterten Familie essen,
an lang gezogenen „tavolate“, wie Tafelrun-
den genannt werden, soll der gemeinsame
Bereich in einer Wohnung möglichst groß
sein. In den Annoncen heißt es dann „salo-
ne doppio“, „salone triplo“ oder gar „salo-
ne quadruplo“, was natürlich nicht bedeu-
tet, dass es in der Wohnung zwei, drei oder
gar vier Wohnzimmer gibt, sondern dass
dieser eine Salon zwei, drei oder vier Mal
so groß ist wie ein üblicher.
Präziser wäre es, wenn die Größe in Qua-
dratmetern angegeben wäre, zumal das
Übliche ja kein universeller Standard ist,
nicht einmal in Italien. Doch das klänge
dann wohl nach weniger. Wichtig ist auch,
dass Schlaf- und Wohnbereich getrennt
sind, wenn möglich mit Zwischentüren
und Pufferzonen. Weil in italienischen

Wohnungen die Küche zentral ist, sollen
die wunderbaren Ausdünstungen und Ge-
rüche, die ihr entweichen, die Gemächer
nicht erreichen. Küchen sollten groß be-
messen sein, auch gerne mal größer als
das Schlafzimmer.
Ginge man von den schönen Katalogen
italienischer Möbelfirmen aus, könnte
man der Vermutung verfallen, dass die Ita-

liener inmitten modernen Designs wohn-
ten, hell und minimalistisch. Doch diese
pauschale Vermutung ist weit gefehlt, das
Gegenteil ist wahr: Die Italiener mögen
dunkle, polierte Möbel, Antiquitäten,
schwere Teppiche und Vorhänge, einen
großen Fernseher an sehr prominenter
Stelle, viele Bilder an den Wänden. Die
Wohnungen sind Familienschreine, jedes
Stück hat seinen Platz. Die jüngere Genera-
tion ist etwas moderner, dank des bekann-
ten schwedischen Ausstattungshauses.
Aber die teuren Möbel und Küchen aus den
italienischen Designkatalogen sind wohl
vor allem für den Export gemacht.
Terrassen und Balkone sind zwar be-
liebt, gerade wenn man von ihnen über die
Dächer Roms sieht, doch nur wenn sie ei-
nem alleine gehören. Gemeinschaftsterras-
sen, sogenannte „terrazze condominiali“,
stehen meist leer. Da geht niemand rauf,
da und dort hängen noch die Wäscheleinen
aus einer Zeit, als man die Wäsche noch
aufs Dach zum Trocknen brachte. Es gibt
auch ganz wunderbare Gemeinschaftster-
rassen, solche mit Sicht auf die Kuppel von
San Pietro, die man von weit her sieht, weil
ja in dieser Stadt nichts höher sein darf als
die Zentralkirche der Katholiken. Im
Abendlicht ist sie kurz orange eingehüllt,
mächtig und sanft. Allein dafür würde es
sich lohnen. Die Romantik Roms aber, sie
ist den Römern viel weniger wichtig als
den vielen Sehnsüchtigen aus dem Nor-
den.

Die SZ berichtet in einer neuen Serie in loser Folge
über das Thema Wohnen in wichtigen Metropolen
derWelt.

Die Wohnungen sind
Familienschreine. Jedes Stück
hat seinen Platz

Skyline von Rom, im Hintergrund das Viktor-Emanuel-Denkmal. Die Stadt lockt immer mehr Touristen an, weshalb vermögende Italiener nicht mehr so gern im Zentrum wohnen. FOTO MAURITIUS IMAGES / WESTEND61 / CARMEN STEINER

Besichtigungstermine sind
immer ein Erlebnis, aber
nicht immer ein erfreuliches

Blauer Himmel über dem Campo de‘ Fiori und seinen traditionellen Gebäuden. Der Platz liegt im historischen Stadtviertel Parione. FOTO: IMAGO / SCHÖNING

DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 45


BAUEN & WOHNEN


Rom


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N


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N

IN

...

Römische Tafelrunden


Immobilien sinddie liebste Geldanlage der Italiener. Wer es sich leisten kann, kauft seinen Kindern eine Wohnung.


Die Familien versammeln sich gern in riesigen Salons.In der Hauptstadt ist das nicht anders als auf dem Land, nur teurer


30 Jahre
Markterfahrung
Thomas Aigner, Geschäftsführer

http://www.aigner-immobilien.de
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