Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
von verena mayer

Z


u Birken fallen einem hierzulan-
de vor allem zwei Dinge ein: Pol-
lenallergie und Holz, aus dem
man billige Möbeln oder Span-
platten macht oder das gleich ver-
heizt wird. Die wenigsten wissen, dass das
Interessanteste an der Birke außen herum
ist, die Rinde nämlich. Ein Material, das
wärmt und Wasser abweist, das sowohl an-
tibakterielle als auch dämmende Eigen-
schaften hat, das sich biegen und zuschnei-
den lässt. Kurz: ein Stoff, wie geschaffen
für Design.
Eine Gestalterin hat die Rinde der Bir-
ken dann auch für sich entdeckt, genauer
gesagt: sibirische Birkenrinde. Das liegt
daran, dass die Birkenarten, deren Rinde
man abziehen und verarbeiten kann, vor al-
lem in Russland, Kanada, Skandinavien
und im Baltikum heimisch sind. Und es
liegt daran, dass die Designerin selbst aus
Sibirien stammt, dem Landstrich der un-
endlich weiten Birkenwälder, schneebe-
deckt im Winter, weiß und grün im Som-
mer.
Anastasiya Koshcheeva heißt sie, zum
Interview bittet sie in einen Gewerbehof in
Berlin-Kreuzberg. Im knallgelben Trakt
im letzten Hinterhof war früher eine Eierli-
kör-Fabrik, jetzt hat Koshcheeva dort zwi-
schen Start-ups und einer Sammelstelle
für alte Bücher ihre Werkstatt und ein Bü-
ro. Koshcheeva, 32, kam vor dreizehn Jah-
ren nach Deutschland. Eigentlich wollte sie
nur die Sprache lernen, dann blieb sie aber,


um in Coburg und Potsdam Produktdesign
zu studieren. Sie weiß noch genau, wie ihre
Mutter ihr vor der Abreise sibirische Spezia-
litäten mitgab, damit sie die Heimat nicht
vergisst. Die Mutter packte sie in eine die-
ser Dosen, die man überall in Sibirien als
Souvenir kaufen kann, braun und rund,
mit einem Holzdeckel und folkloristischen
Verzierungen darauf. Weil das klobige Teil
nicht unbedingt ihrem Geschmack als an-
gehende Designerin entsprach, habe sie es
im hintersten Schrank verstaut, sagt Kosh-
cheeva. Erst mehrere Jahre später fiel es
ihr wieder in die Hände – und die Kekse
und Pinienkerne darin waren immer noch
frisch. Die Dose war aus Birkenrinde.
Da begann Koshcheeva sich näher für
den Werkstoff zu interessieren, der so ty-
pisch für ihr Heimatland ist. Sie wuchs in
der Großstadt Krasnojarsk auf, Holz und
Handwerk waren in ihrem Leben allgegen-
wärtig, ihr Vater und ihr Großvater arbei-
teten als Tischler, der Großvater auch als
Künstler. Und die Familie hatte, wie so


viele Russen, eine Datscha auf dem Land.
Dort wurde im Frühsommer die Birkenrin-
de geerntet, und auf der Terrasse stand
frisch gezapftes Birkenwasser. Die Birke
sei allgegenwärtig in Russland, sagt Kosh-
cheeva. Sie gelte als Symbol der russischen
Seele, stehe für Leben, Erneuerung und
Weiblichkeit, früher schrieb man ihr magi-
sche Kräfte zu. Die russische Literatur ist
voll von Geschichten über Birken, vor eini-
gen Jahren kam ein Roman der deutsch-
russischen Autorin Olga Grjasnowa her-
aus, er heißt: „Der Russe ist einer, der Bir-
ken liebt“.
Doch von dieser Liebe ist nicht mehr
viel übrig. Mit dem Ende der Sowjetunion
verfiel auch das Handwerk. Heute geht es
den Birken in Sibirien wie überall sonst:
Sie werden gefällt, um minderwertiges
Nutzholz zu gewinnen, die Rinde wird da-
bei nicht selten verbrannt. Nur im Kunst-
handwerk existiert die Birkenrinde noch,
meistens wird sie von Familien verarbei-
tet, die zu Hause am Küchentisch Körbe,
Behälter, Pantoffeln und Souvenir-Kitsch
daraus machen. Die innere Seite der Rinde
wird dabei nach außen gekehrt, weil sie
glatter und dunkler ist.
Koshcheeva nimmt die Rinde so, wie sie
am Baum wächst, samt den natürlichen
Maserungen und Auswüchsen. Die kombi-
niert sie mit kantigem Holz oder knalloran-
gen Nähten, sie macht Geflechte für metal-
lene Hocker daraus, Armbänder für Uhren
oder Schirme für Leuchten – eine tech-
nisch anmutende Formgebung, die das Or-
ganische der Rinde zugleich ergänzt und
kontrastiert. Oder Koshcheeva schneidet
große, rechteckige Platten aus der Birken-
rinde, presst sie flach und macht daraus
Wanddekoration – die rauen, weißen und
grauen Flächen mit den vielen Wucherun-
gen und Fasern haben etwas von abstrak-
ten Kunstwerken.
Als Designerin könne man sich kein bes-
seres Material wünschen, sagt Anastasiya
Koshcheeva. Weil man nie wisse, auf was
für Formen und Muster man beim Abschä-
len der Birkenrinde stoße, jedes Stück sei
anders, ein Original. Und erst der Rohstoff
selbst: Es gibt wenig, wofür man Birkenrin-
de nicht verwenden kann. Sie ist weich und
biegsam wie Kork oder Leder und dennoch
robust, weshalb man sie nicht besonders
aufwendig pflegen muss. In der Steinzeit
hat man das Pech aus der Birkenrinde als
Klebstoff verwendet, schon Ötzi trug ein
zylinderförmiges Gefäß aus Birkenrinde
bei sich. Später hat man aus Birkenrinde
Schuhe, Kleidung und Taschen herge-
stellt, man hat sie geerntet, um Dächer zu
dämmen oder Kanus zu bauen. In Behäl-
tern aus Birkenrinde wurden Brot, Fleisch
und Honig aufbewahrt, weil das Material
Lebensmittel frisch halten kann. Kein
Wunder, dass Birkenrinde gern als „Kunst-
stoff des Mittelalters“ bezeichnet wird.

Wie so oft ist es das moderne Design,
das auf der Suche nach etwas Neuem auf ei-
nen alten Werkstoff stößt. Einfach sei das
jedoch nicht gewesen, sagt Koshcheeva.
Bei der Ernte wollte man sie als Frau nicht
dabeihaben, und die wenigen Produzen-
ten für Birkenrinde, die es noch gibt, konn-
ten sich nicht vorstellen, was sie über-
haupt mit der Rinde anfangen wolle. Kosh-
cheeva hat dann begonnen, sich in Sibirien
selbst Leute zu suchen und auszubilden.
Das Geld dafür hat sie sich Werkstück für
Werkstück erarbeitet, die sibirische Fami-
lie gab auch ein wenig Kapital dazu. Ihre

Prototypen baut sie in Berlin, gefertigt
wird in Russland. Nur ihren Sessel „Sibir-
jak“, ein mit Birkenrinde bespanntes Me-
tallgestell, macht sie immer noch selbst.
Weil sie das Handwerk liebe, sagt Kosh-
cheeva, aber auch weil die großen Stücke
Birkenrinde, die es braucht, um Lehne und
Sitzfläche zu gestalten, zu selten und kost-
bar seien, um sie aus der Hand zu geben.
Seit 2014 ist ihr Name einer größeren
Szene bekannt, Koshcheeva wurde mehr-
fach ausgezeichnet, zuletzt mit dem De-
signpreis Brandenburg. Inzwischen hat sie
auch ein eigenes Label, „Moya“, so wie das
russische Wort für „mein“ in der weibli-
chen Form, und vertreibt ihre Stücke in ei-
nem Online-Shop. Die Käufer ihrer Möbel
und Behälter kommen aus dem gesamten
Spektrum, sagt Koshcheeva, junge Design-
Fans seien genauso darunter wie ältere
Gutverdiener.
In ihrem Berliner Büro springt Kosh-
cheeva nun auf und holt sibirische Birken-
rinde aus dem Regal. Große und kleinere
Stücke, man sieht die Schichten, die sich
wie bei einer Zwiebel abziehen lassen, ein
warmer Geruch von Wald liegt in der Luft.
Schnell wird einem klar, wie zeitgemäß
das Material ist. Design definiert sich nicht
mehr nur dadurch, wie formschön oder ori-
ginell ein Produkt ist. Sondern auch da-
durch, wie sehr es die Bedingungen reflek-
tiert, unter denen es entstanden ist. Oder
wie gut es die Welt mitdenken kann, für
die es entworfen wurde.
Die Birkenrinde steht für einen anderen
Umgang mit Ressourcen. Man kann sie ern-
ten, ohne dass der Baum abstirbt, es ist ein
Material, das nachwächst und von dem
nicht viel übrig bleibt, wenn man es verar-
beitet. Ein Stoff, der eine Lösung ver-
spricht in einer Welt, in der man von Mikro-
plastikpartikeln umgeben ist und in den
Meeren der Müll herumschwimmt. Viel-
leicht wird aus dem Kunststoff des Mittel-
alters ja so etwas wie das Plastik des neuen
Jahrtausends.

Zwischen Baum und Borke: Die sibirische Designerin
AnastasiyaKoshcheeva an ihrem Arbeitsplatz und einige ihrer
Werkstücke aus Birkenrinde.FOTO: PEDRO GETHING,FRIEDER REUTER

Die Birke steht für Leben und


Weiblichkeit, früher schrieb man


ihr magische Kräfte zu


Nachhaltige Ressource:
Birkenrinde kann man ernten,
ohne dass der Baum stirbt

Baum im Raum


Birkenrinde ist ein Material mit erstaunlichen


Eigenschaften und langer Kulturgeschichte: Eine junge Designerin


in Berlin überträgt es in zeitgemäße Formensprache


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