Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
Laim– Für Laimer Verhältnisse ist dieses
Tempo rekordverdächtig: Erst knapp zwei
Jahre ist es her, dass sich die Initiative „in-
laim“ gegründet hat. Seither hat ein Team
um Petra Stockdreher, Ruth Wassermann
und die beiden Grünen-Politikerinnen Eri-
ka Sturm und Lisbeth Haas bereits reich-
lich Menschen im Viertel bewegt: etwa
beim Urban-Gardening-Projekt nahe der
Geflüchtetenunterkunft an der Hans-Tho-
nauer-Straße, beim internationalen Som-
merpicknick oder diesen März bei dem ob
seiner Poesie und Experimentierlust auf-
sehenerregenden Kunst- und Musikpar-
cours „Open space“.

Durch „puren Zufall“, sagt Petra Stock-
dreher, habe sich jetzt überraschend die
Möglichkeit ergeben, als Stützpunkt für
das inzwischen weitreichende Netzwerk ei-
nen Stadtteil- und Kulturladen in einem
Genossenschaftsbau mitten im Viertel an-
zumieten. 50 Quadratmeter, „kleine Mie-
te, stabile Verhältnisse“. Zügiges Handeln
sei gefragt gewesen, weshalb sie, Stockdre-
her, bereits unterschrieben habe. Der
schwarz-roten Mehrheit im Bezirksaus-
schuss (BA) Laim ist dieses Tempo zu
hoch: Sie verweigert der Initiative im ers-
ten Anlauf die finanzielle Unterstützung,
um die diese für die Erstausstattung gebe-
ten habe. Denn bereits im September soll
in dem Laden erstmals „Programm ohne
Konsumzwang“ für die Laimer angeboten
werden.

Nach reichlich hitziger Diskussion ist
die Entscheidung gegen einen schnellen
Zuschuss im Laimer Bezirksausschuss ge-
fallen. Hartnäckig hatten sich sowohl SPD
als auch CSU geweigert, über die beantrag-
te Unterstützung für die Möblierung in Hö-
he von knapp 8000 Euro an diesem Abend
ein Urteil zu fällen. Ihnen fehle „Detailbe-
ratung“ (Martha Mertens, SPD) und „Über-
legung im kleineren Zirkel“ (Josef Mögele,
SPD). Alexandra Gaßmann (CSU) verweist
darauf, „dass wir von allen Initiativen, die
sich bei uns melden, konkrete Ausführun-
gen wollen und würden bitten, dass wir
das im gemeinsamen Gespräch klären“.
Zu dem Zeitpunkt halten die Ausschuss-
mitglieder bereits die detaillierte Kosten-
auflistung und konkrete Bedarfsbeschrei-
bung als Antrag in Händen. Petra Stockdre-

her sitzt mit in der Sitzung, verweist dar-
auf, „dass wir den Laden relativ schnell be-
ziehen und bespielen können müssen“.
Die Miete finanziere man über eigene Mit-
tel und Förderungen.
Im September soll sich bereits die Tür
an der Guido-Schneble-Straße 24 im hüb-
schen Block der Baugenossenschaft des
Verkehrspersonals 1898 e. G., Laims ältes-
ter Genossenschaft, öffnen. Stühle und Ti-
sche im Haus wären dann ganz schön. Mit
so einer Anlaufstelle, erklärt sich Stockdre-
her, habe „inlaim“ die Möglichkeit, die „Ak-
tivitäten im Stadtteil zu verstetigen“ und
sie für gemeinschaftliche wie künstleri-
sche Aktionen zu nutzen. Das Kulturrefe-
rat hat diese bereits in der Vergangenheit
unterstützt und auch künftige Förderung
versprochen. Etwa für diesen Herbst,

wenn das junge Netzwerk seine Ergebnis-
se der „Laimer Touren“ kunstvoll präsen-
tieren will – eine Umfrage zu Gegenwart
und gewünschter Zukunft im Viertel, die
zusammen mit Studierenden der Hoch-
schule München durchgeführt worden ist.
Vor diesem Hintergrund und der grund-
sätzlichen finanziellen Möglichkeit des BA
( „Wir haben 142000 Euro in unserem Bud-
get“) plädiert Renate Spannig (Grüne) für
eine Unterstützung des Laden-Antrags.
„Da findet Begegnung statt. Wir haben
sonst nix in Laim.“ Fraktionskollege Da-
niel Haas schlägt zur Güte vor, die gut
4000 Euro an Küchenkosten erst mal aus
dem Abstimmungspaket zu nehmen und
den restlichen Zuschuss sofort zu gewäh-
ren, „damit sichergestellt ist, dass im Sep-
tember eröffnet werden kann“. Für Heidi

Schiller (Grüne) „sind 1300 Euro für Mobili-
ar keine Luxusausstattung. Wir sollten sie
einfach mal loslegen lassen und anschau-
en, wie so was angenommen wird.“ Doch
die Grünen-Fraktion kann sich nicht
durchsetzen.
SPD und CSU beharren auf eine vorge-
schaltete Gesprächsrunde im August.
Haas’ Kompromiss wird gar nicht erst auf-
gerufen. Seine Kollegin Jutta Hofbauer
wettert: „Das Gespräch brauchen wir
dann gar nicht, wenn dann auch nix ent-
schieden wird.“ Zur Empörung der Grü-
nen wird daraufhin auch nicht mehr über
eine Gesprächsrunde abgestimmt. Möge-
le und Gaßmann verweisen auf Formalia
im Sitzungsablauf. Im Laimer Bezirksaus-
schuss scheint der Kommunalwahlkampf
eröffnet zu sein. andrea schlaier

von stefan salger

F


ür die Polizeikollegen wie den
späteren Althegnenberger Bür-
germeister Reiner Dunkel ist es
„der schwärzeste Tag in der gan-
zen Karriere“. Auch die Bevölke-
rung im Kreis Fürstenfeldbruck ist scho-
ckiert, als vor gut 30 Jahren, am 26. März
1989, ein Mann in der Polizeiinspektion
Fürstenfeldbruck einen Beamten er-
schießt und einen weiteren durch einen
Schuss verletzt.
Es beginnt am frühen Morgen völlig
harmlos: Auf Höhe der Kreisstadt kontrol-
liert der 27 Jahre alte Grafrather Polizist
Erich Reicherzer gegen ein Uhr gemein-
sam mit einem Kollegen einen Kleintrans-
porter. Der offensichtlich betrunkene Fah-
rer wird zur Inspektion gebracht, die da-

mals noch neben der Polizeihochschule
an der Fürstenfelder Straße liegt. Ein Arzt
nimmt Blut ab, anschließend nimmt Rei-
cherzer die Personalien des 36 Jahre alten
Mannes auf. Es stellt sich heraus, dass der
verheiratete Prospektverteiler in Dachau
gemeldet und wegen eines Ladendieb-
stahls bereits zur Fahndung ausgeschrie-
ben ist. Während der Beamte Formulare
ausfüllt, zieht der 36-Jährige plötzlich ei-
ne Pistole und feuert auf Reicherzer. Der
wird in Kopf und Bauch getroffen, ist auf
der Stelle tot. Der 27 Jahre alte Kollege Rei-
cherzers stürmt in den Vernehmungs-
raum, wird bei dem folgenden Schuss-
wechsel am Unterarm getroffen. Dem Tä-
ter gelingt zunächst die Flucht.
Obwohl sofort Ausfallstraßen und
Bahnhöfe gesperrt werden, schafft es der
Täter zum Münchner Hauptbahnhof. Völ-
lig unbemerkt steigt er um fünf Uhr in ei-
nen Zug nach Freilassing ein. Vom Reini-
gungspersonal wird er in Freilassing schla-
fend aufgefunden. Bei der Durchsuchung
habe man eine Pistole, Kaliber 7,65, gefun-
den, heißt es später im Polizeibericht. Es
gibt eine andere Version der Festnahme.
Sie stammt von Reiner Dunkel. Der erin-
nert sich, dass die Kollegen, die den schla-
fenden Schwarzfahrer damals bei Freilas-
sing mit auf ihre Dienststelle nahmen, zu-
nächst gar nicht gewusst hätten, um wen
es sich da handle – und auch nicht, dass

dieser eine geladene Pistole dabei hatte.
Der 36-Jährige sei aber offenbar selbst so
geschockt und durcheinander gewesen,
dass er keinen Widerstand mehr leistete.
Dunkel, heute 62 Jahre alt und seit zwei
Jahren im Ruhestand, erinnert sich an die-
se furchtbare Zeit noch sehr gut: Am Tat-
tag, dem Ostersonntag, fährt er um kurz
vor sieben Uhr gemeinsam mit einem Kol-
legen zum Dienst und wundert sich, dass
über der Stadt ein Polizeihubschrauber
kreist und überall Bereitschaftspolizisten
stehen. „Ja, spinnen die“, denkt er zu-

nächst. „Machen die ausgerechnet am Os-
tersonntag eine Übung?“ Dann kommt
die Hiobsbotschaft vom Dienstgruppenlei-
ter: „Den Reicherzer ham’s erschoss’n.“
Für Dunkel bleibt die Welt stehen. Den
Kollegen kennt er gut, hat mit ihm oft Fuß-
ball gespielt. Der wollte demnächst heira-
ten und nach Schöngeising ziehen. Es ist
ein Schock. Noch heute kann er nicht fas-
sen, dass der tote Kollege viele Stunden
lang in der großen Blutlache liegen gelas-
sen wurde. Und die Kollegen der Nacht-
schicht werden nicht abgelöst – heute sei

so etwas undenkbar. Aber damals gibt es
noch keine psychologische Betreuung.
Dunkel schüttelt den Kopf, wenn er daran
denkt, wie der damalige Innenminister
Edmund Stoiber versucht habe, sich zu
profilieren. „Das alles hat mich geprägt“,
sagt Dunkel. „Das zeichnet einen fürs Le-
ben.“
Könnte so etwas heute noch passieren?
Leider ja, warnt Dunkel. Die Kontrolle da-
mals sei doch eine ganz normale Kontrolle
gewesen, Routine. Und gerade Routine
könne gefährlich werden. Michael Fischer

von der Fürstenfeldbrucker Polizeiinspek-
tion stimmt zu. Es gebe diesen Spagat
„zwischen Bürgerfreundlichkeit und Ei-
gensicherung“. Völlige Sicherheit gibt es
für Polizisten nicht. Das zeigen solche To-
desfälle im Dienst, wie es sie in den zu-
rückliegenden Jahren auch in Erding und
Augsburg gegeben hat.

Außer Spesen nichts gewesen


ZurEröffnung eines Kulturladens benötigt die Initiative „inlaim“ dringend einen Zuschuss, doch die Kommunalpolitiker können sich nicht einigen


Der 36 Jahre alte Täter
nach seiner Festnahme
(links). Für den
Polizisten und späteren
Bürgermeister
Reiner Dunkel (oben) ist
der 26. März 1989
der schlimmste Tag
seiner Karriere.
Die Schüsse fallen im
damaligen „Hauptpos-
ten“ der Landpolizei
Oberbayern. Das Haus
wird mittlerweile von
der Stiftung Kinderhilfe
genutzt (unten).
FOTOS: GÜNTHER REGER

Obermenzing– Eine offene Werkstatt
mit dem ägyptischen Karikaturisten Wa-
lid Taher gibt es im Sommerferienpro-
gramm in Schloss Blutenburg. An diesem
Samstag, 17. August, und Sonntag, 18. Au-
gust, jeweils von 14 bis 17 Uhr kann man
einem der bekanntesten Grafik-Desi-
gner und Kinderbuchillustratoren der
arabischen Welt bei der Arbeit zuschau-
en, eine Anmeldung ist nicht erforder-
lich. Das Schloss Blutenburg findet sich
am Seldweg 15. Walid Taher ist gerade als
Gast der Stadt in München, um an den
Vorbereitungen für eine Ausstellung in
der Internationalen Jugendbibliothek
über aktuelle arabische Illustrations-
kunst mitzuwirken. jlk


Die spektakulärsten
Kriminalfälle
SZ-Serie · Teil 17

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Alle Fälle der Tatort-Serie sind
vom27. August an als Dossier im
digitalen Kiosk der SZ verfügbar.

Neuaubing– Der kleine Weg neben der
Bodenseestraße 200 ist nur ein Pfad, ver-
bindet aber die Ausfallstraße mit dem
Überlinger Weg und ermöglicht Fußgän-
gern und Radlern eine ruhige Route zwi-
schen Aubing und dem Südwesten Mün-
chens – abseits der viel befahrenen Li-
mes- und Brunhamstraße. Derzeit ist der
Pfad aber mit einem Bauzaun versperrt
und überdies so zugewachsen, dass ein
Durchkommen kaum möglich ist. Au-
bings Lokalpolitiker fordern, die Absperr-
gitter anders zu positionieren und den
Wildwuchs zu beschneiden. eda


Gräfelfing– Ein Hausnotruf ist für viele
ältere Menschen eine Möglichkeit, trotz
körperlicher Einschränkungen lange in
der gewohnten Umgebung zu leben,
denn auf Knopfdruck können sie Hilfe ho-
len. Nun kooperieren die beiden großen
Sozialverbände in der Erzdiözese Mün-
chen und Freising, Caritas und Malteser-
Hilfsdienst, um noch mehr Menschen ei-
nen Hausnotruf zu ermöglichen. Nach
dem Start der Zusammenarbeit in Mün-
chen und einigen Landkreisen können In-
teressierte nun auch im gesamten Münch-
ner Westen bis Allach und Lochhausen
und im Würmtal bei der Caritas München-
West ein Hausnotrufgerät erhalten. Über
diesen tragbaren Notrufsender kann Hil-
fe angefordert werden. Je nach Situation
fahren Mitarbeiter des Hausnotruf-
Teams, Angehörige oder der Rettungs-
dienst los. Weitere Informationen bieten
die Malteser, Geschäftsstelle Gräfelfing,
Telefon 85 8080-20 oder die Caritas Mün-
chen-West, Telefon 829 92 00. jae


Freiham– Die Realschule auf dem neuen
Bildungscampus in Freiham startet zu
Schuljahresbeginn im September nur
mit der Klassenstufe 5. Zwar gab es im
Vorfeld 31 Anmeldungen für eine sechste
Klasse. Doch das waren dem Kultusminis-
terium zu wenige. „Die Entscheidung,
noch keine sechste Jahrgangsstufe einzu-
richten, ist in erster Linie eine Entschei-
dung zum Wohle der Schülerinnen und
Schüler“, sagt Ministeriumssprecher Da-
niel Otto. Denn bei dieser geringen Schü-
lerzahl könnte „die Realschule höchstens
zwei Wahlpflichtfächergruppen in der
Jahrgangsstufe 7 anbieten“. Auch andere
Ergänzungs-, Förder- und Differenzie-
rungsangebote wären nur unzureichend
umsetzbar. „Dem Anspruch, allen Münch-
ner Kindern eine gleichwertige Ausbil-
dung zu ermöglichen“, erklärt er, könne
man damit „nicht gerecht werden“.
Eltern, die im Münchner Westen le-
ben, hatten sich gefreut, mit der Real-
schule in Freiham endlich eine Alternati-
ve zu den völlig überfüllten Realschulen
in der Gegend für ihre Kinder zu bekom-
men. Diese Hoffnung ist nun vorerst pas-
sé. Bedenken, keinen Schulplatz zu erhal-
ten, müssten die Familien aber keine ha-
ben, betont Otto. „Das Referat für Bil-
dung und Sport und die zuständige
Dienststelle des Ministerialbeauftragten
für die Realschulen in Oberbayern-West
haben dafür Sorge getragen, dass an den
infrage kommenden Schulen (Anne-
Frank-Realschule, Realschule an der Blu-
tenburg, Carl-Spitzweg-Realschule und
gegebenenfalls auch an der Staatlichen
Realschule Unterpfaffenhofen) Plätze in
der 6. Jahrgangsstufe zur Verfügung ste-
hen.“ ellen draxel


Der SPD fehlt es an
„Detailberatung“, der CSU an
einem Vorabgespräch

Karikaturist


aus Ägypten zu Gast


Klein, aber


wichtig


Tödliche Schüsse bei der Vernehmung


Vorgut 30 Jahren ereignet sich in Fürstenfeldbruck ein Polizistenmord, der bis heute nachwirkt. Es fängt alles ganz harmlos an, als
eine Streife den angetrunkenen Fahrer eines Kleintransporters auf die Wache bringt. Als dieser befragt wird, zieht er plötzlich eine Waffe

Hilfe


auf Knopfdruck


In kürzester Zeit hat die Initiative „inlaim“ schon einige Kunstprojekte wie das Open space (links) auf die Beine gestellt. Auch Räume für einen Kulturladen an der
Guido-Schneble-Straße 24 (rechts) sind gefunden. Allein es fehlt an einem Zuschuss für die Erstausstattung. FOTOS: SEBASTIAN GABRIEL, PRIVAT

Zu wenige


Anmeldungen


Neue Realschule in Freiham
startet nur mit fünften Klassen

WESTEN UND WÜRMTAL


R8 STADTVIERTEL PGS Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019, Nr. 189 DEFGH

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