Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
von sebastian beck

M


anchmal ist es ein Kreuz mit der
Kolumnenschreiberei. An guten
Tagen geht es von selbst, an
schlechten Tagen haut man als Autor den
Kopf vor Verzweiflung gegen die Büro-
wand. Bis Mittwoch stand das Thema
fest. Es sollte sich – witzig! – um Partner-
wahl auf dem Land drehen und hier spezi-
ell um die Kollnburger Bürgermeisterin
Josefa Schmid, die imÄrzteblattfür ihr
Dorf einen Arzt und für sich einen Mann
sucht. These: Weil im Bayerischen Wald
so wenige Leute wohnen, finden sie dort
auch nur schwer eine/n Frau/Mann. Eine
Kollegin verwies darauf, dass sowieso al-
le auf Tinder unterwegs seien, und im In-
ternet gibt es bekanntlich keine Einödhö-
fe, Entfernung spielt da keine Rolle. The-
ma erledigt.
Eine zweitägige Recherchefahrt ent-
lang der A 94 über Passau nach Waldkir-
chen, rauf nach Sankt Englmar und run-
ter nach Straubing und Landshut erbrach-
te folgende Ausbeute: Vor dem Super-
markt in Ampfing sind sich zwei alte Frau-
en darüber einig, dass ein gemeinsamer
Bekannter ein „so a Orschloch“ sei. Perles-
reut ist gar nicht so übel. Im Bayerwald
machen sich gleichermaßen Borkenkäfer
und Toskanahäuser breit, schwer zu sa-
gen, was schlimmer ist. In Waldkirchen
gibt es ein stylisches Restaurant, das su-
per Steaks brät. Sollte man aber ange-
sichts der ganzen Fleischklimaethikde-
batten nicht mehr an die große Glocke
hängen. Scheidet aus. Abstecher nach
Kollnburg, wo Josefa Schmid lebt: Super
Aussicht vom Burgturm, aber insgesamt
nicht glossentauglich. Sankt Englmar:
Wer hat nur dieses Aparthotel auf den Pre-
digtstuhl gesetzt? Andererseits kann
man auch nicht dauernd schreiben, dass
in Niederbayern das Land verschandelt
wird, sonst sind die Leser genervt und Hu-
bert Aiwanger schreibt wieder, dass die
SZ ein Organ der städtischen Elite sei.
Scheidet daher leider als Thema aus. Zwi-
schen Straubing und Landshut ziehen die
Gurkenflieger über die Felder. Es regnet.
Wahrscheinlich sind alle anderen auf
dem Gäubodenfest oder auf Tinder oder
auf Mallorca. Die Dorfdurchfahrten men-
schenleer. Aber das hat jetzt schon wie-
der so einen melancholischen Touch.
Scheidet daher aus. Vielleicht ist Lange-
weile auch nur eine Sonderform des
Glücks. Das wäre jetzt echt ein Thema,
aber leider fehlt dafür der Platz.


von maximilian gerl

D


ie Sicherheitseinweisung ist
kurz. Nur ein paar Wolken hän-
gen am Morgen über Thürin-
gerberg im österreichischen
Vorarlberg. Der Helikopter
steht vor dem Hangar bereit. Vorne ragt ei-
ne Metallstange hervor, an ihrer Spitze
sind ein Laserscanner und zwei Kameras
befestigt. Hinten wartet der Heckrotor.
„Wenn du da hinkommst,“ sagt Pilot Gis-
bert Strolz, „ist’s nicht so gut.“ Geograf Flo-
rian Haas prüft ein letztes Mal die Kabel,
die sich von der Messanlage ins Cockpit
winden. Zeit zum Abheben. Zeit, dorthin
zu fliegen, wo der Klimawandel längst
sichtbar ist.
Drei Stunden werden Haas und Strolz in
der Luft verbringen. Aus der Vogelperspek-
tive wollen sie die Alpen vermessen und
das, was übrig ist vom vermeintlich ewi-
gen Eis. Der Flug ist Teil eines deutsch-ös-
terreichischen Forschungsprojekts, das
von der Katholischen Universität Eichstätt
koordiniert wird. Denn der Klimawandel
wird die Bergwelt verändern; die Frage ist
nur, wie. Genau das wollen Wissenschaft-
ler nun herausfinden.
Der Helikopter vibriert, als er sich in die
Höhe hebt. Vorarlberg wird klein. Spiel-
zeugzüge rauschen durch die Landschaft.
Weiter im Osten, in Tirol, verschwindet
das Inntal unter einer Wolkendecke, ein-
zig durchstoßen vom Dreieck des Tschir-
gant. Strolz, Jahrgang 1968, fliegt für eine
Helikopterfirma, mal Touristen, mal Bau-
material. Haas – Jahrgang 1971, zusam-
mengebundene Haare, Bändchen am
Handgelenk – leitet die Messung. Ähnli-
che Flüge hat er unter anderem im Liba-
non und über der Donau übernommen.
Als einmal die Geräte streikten, ließ er sich
kurzerhand selbst mit der Kamera an die
Kufen binden. Er erzählt es so, als sei das
nichts Besonderes.

Eine Minute Fliegen kostet 37 Euro. An-
hand der Tankanzeige lässt sich verfolgen,
wie Forschungsgeld verrinnt. Die Vermes-
sung ist Teil des Projekts Sehag; das steht
für „Sensitivität hochalpiner Geosysteme
gegenüber dem Klimawandel ab 1850“.
Fünf Hochschulen sind beteiligt; mehr als
zwei Millionen Euro hat ihnen die Deut-
sche Forschungsgemeinschaft für den An-
fang bewilligt. Michael Becht ist Projekt-
sprecher und Professor für Physische Geo-
grafie in Eichstätt. Der Lehrstuhl, an dem
auch Haas beschäftigt ist, forscht zu Um-
weltprozessen – vom Einfluss des Mikro-
plastiks auf Ökosysteme bis hin zu Gefah-
ren durch eine Gletscherschmelze. „Dass

es den Klimawandel gibt, weiß man“, sagt
Becht. „Jeder, der sehen will, kann ihn se-
hen.“ Der Gletscherschwund in den Alpen
sei dramatisch. Seine Auswirkungen aber
auch zu quantifizieren, sei schwierig. Zu
wenige Daten. So gesehen betreiben die
Eichstätter Grundlagenforschung. Drei Tä-
ler wollen sie fotografisch aufnehmen und
mit Laserscannern vermessen. Später wer-
den daraus 3-D-Modelle der Täler entste-
hen. Die Daten können die Forscher außer-
dem mit aktuellen und historischen Fotos
vergleichen. Bis ins Jahr 1850 wollen sie so
zurückgehen und Veränderungen sicht-
und messbar machen. Das können sich
dann Klimatologen in Bremen zunutze ma-
chen, um ihre Prognosemodelle zu verfei-
nern. Oder Biologen in Innsbruck und Hy-
drologen in München, um den Einfluss des
Klimawandels auf Pflanzen und Flüsse
besser zu verstehen. „Lernen aus der Ver-
gangenheit für die Zukunft“, sagt Becht.
Der Flug führt Haas und Strolz ins Hor-
lachtal, ein Seitental des Kaunertals. Der
Eingang liegt über dem Stuibenfall, ein bei
Touristen beliebtes Wasserspektakel.
Haas interessiert sich für ein Gebiet von
rund 60 Quadratkilometern am Ende des
Tals, oberhalb der Ortschaft Niederthai.
Die Gipfel ragen bis zu 3287 Metern auf.
Auf der Hochalm weiden Kühe, darüber ist
es karg. Schneereste schmelzen vor sich
hin. An den Hängen liegt Schutt. Haas hat
einen Laptop auf dem Schoß, die Messda-
ten laufen in Echtzeit ein. Er hat eine Karte
des Areals mit Linien überzogen, ein Ras-
ter, das es in gleichbleibender Höhe und
mit niedriger Geschwindigkeit abzuflie-
gen gilt. „150 Meter, 45 Knoten“, sagt
Strolz. 45 Knoten entsprechen etwa 80
Stundenkilometern. Der Laser erfasst bis
zu zehn Punkte pro Quadratmeter. Ein Bo-
denteam hatte am Morgen eine Antenne
im Tal installiert, sie dient als Fixpunkt
und später der Fehlerkorrektur.
Das Horlachtal wurde von Fernern ge-
formt. Heute ist die Gegend kaum verglet-
schert. Während der Kleinen Eiszeit zwi-
schen dem 15. und 19. Jahrhundert stießen
die Gletscher noch einmal vor. Ab etwa
1850 setzte eine Schmelzperiode ein, die
bis etwa in die 1930er-Jahre anhielt. An Ril-
len im Gestein lässt sich erkennen, wie
weit danach das Eis im Horlachtal reichte.
Heute endet es viele Meter oberhalb. Da-
zwischen ist loses Geröll, ein bisschen Be-
wuchs. Die Temperaturen in den Alpen
steigen schneller als in vielen anderen Re-
gionen der Erde. Zwischen 1980 und 2008
lagen sie im Mittel um 0,67 Grad Celsius
höher als im Zeitraum zuvor. Was nach we-
nig klingt, alarmiert Wissenschaftler.
Denn alles hängt mit allem zusammen.
Verändert sich ein Ökosystem, sind Aus-
wirkungen auf andere wahrscheinlich.
Seit den 1990er-Jahren hat der Glet-
scherschwund neue Ausmaße erreicht.
Noch können es die Forscher nicht bewei-
sen, aber in der Theorie sind die Auswir-
kungen dramatisch. Beispiel Erosion: Wo
Gletscher abschmelzen, wird lockerer
Schutt freigesetzt. Bei Starkregen müsste
also die Gefahr von Muren steigen. Oder
Gletscherwasser: Wenn weniger davon im
Sommer ins Tal gelangt, müssten Flüsse
wärmer und die Pegelstände niedriger wer-
den. Kanäle wäre nur eingeschränkt schiff-
bar, Flusswasser könnte zum Kühlen von
Industrieanlagen zu heiß sein.

Alarm gellt durch den Hubschrauber. Al-
les gut, beruhigt Strolz; wenn die Maschi-
ne zu schnell sinke, warne das System. Der
Pilot fliegt Schleife um Schleife. Teils folgt
er so knapp der Hangkante, dass jedes
Steinchen zum Greifen nah zu sein
scheint. Von Gipfelkreuzen fotografieren
Bergsteiger. Auf einem Grat flieht eine
Gams mit Jungtieren vor dem Rotoren-
lärm. Im benachbarten Grastal tauchen im
Braun der Berge graues Eis und blaues
Wasser auf. Vor ein paar Jahren habe der
Gletscher direkt in den See gekalbt, sagt
Haas. Nach einer Kurve wird ersichtlich,
dass es dazu nicht mehr reicht. „Jetzt ist es
nur noch ein Fleckerl“, sagt Strolz.
Gern hätten die Eichstätter auch die bay-
erischen Berge vermessen, böten die Fer-
ner an der Zugspitze nicht so ein trauriges
Bild. Becht schätzt, bis 2050 dürften in
den Alpen die kleineren Gletscher unter-
halb von 3200 Metern verschwunden sein.
„Die großen am Venediger oder Ortler wer-
den noch eine Weile bestehen.“

Mittag. Strolz muss tanken. Er steigt hö-
her auf und navigiert über die Gipfel gen
Brennerautobahn. „Servus, die Oscar Golf
Alfa“, funkt er, „komme talseitig zu euch.“
Bei Gschnitz steht ein Tankwagen, die Heli-
kopterfirma fliegt dort Baumstämme ins
Tal. Haas ist mit den Messergebnissen zu-
frieden. Am Nachmittag wird er noch ein-
mal einige Stellen abfliegen, zur Sicher-
heit. Am nächsten Tag will er das Martell-
tal in Südtirol erkunden, das Gebiet liegt
am Ortler und ist stark vergletschert. Ein
Gegensatz zum Horlachtal und darum für
die Forscher so interessant. Die Daten, etli-
che Gigabyte, schickt Haas an die Uni
Wien zur Bearbeitung: „Das wird etwas
dauern, bis die fertig sind.“
Sehag läuft bis 2023. Im besten Fall wis-
sen die Forscher dann mehr über die Berg-
welt und was mit ihr mal sein wird. Zuvor
steht aber weitere Bildrecherche an. Frü-
her sei nicht so konsequent fotografiert
worden, sagt Becht, zum 19. Jahrhundert
hin werde das Material für das Horlach-
und Martelltal dünn. Einige Aufnahmen
fand er schon in Archiven, etwa beim Deut-
schen Alpenverein. Viele weitere, glaubt
er, gelte es zu entdecken; sie ruhten ver-
steckt in Privatbesitz, in Fotoalben, auf
Speichern. „Für uns sind das Schätze.“ Tat-
sächlich waren Gletscher bei Alpentouris-
ten stets ein beliebtes Motiv. Bald könnten
sie auch ein rares sein.

Wer historische Fotos aus den Untersuchungsge-
bieten besitzt, erreicht die Forschungsgruppe per
E-Mailunter [email protected].

Der Autor ist immer noch
auf derSuche nach
der idealen Wirtschaft.

Der Gletscherschwund
in den Alpen sei dramatisch,
sagt Professor Michael Becht

München– Für eine erfolgreiche Digitali-
sierung muss nach Ansicht der SPD-
Landtagsfraktion jede Schule in Bayern
mit einem professionellen IT-Systembe-
treuer ausgestattet werden. „Die vorhan-
denen Lehrkräfte können dies nicht leis-
ten – schon alleine aufgrund des eklatan-
ten Lehrermangels in Bayern“, sagte Frak-
tionschef Horst Arnold der Deutschen
Presse-Agentur. Es müsse sichergestellt
sein, dass die Digitalisierung professio-
nell begleitet werde und technische Pro-
bleme gegebenenfalls schnell beseitigt
werden können. Arnold warf der Staatsre-
gierung vor, die Finanzierung der Digitali-
sierung nur dem Bund und den Kommu-
nen zu überlassen. „Was wir brauchen, ist
eine kräftige bayerische Offensive für di-
gitale Bildung – mit einer verlässlichen
Landesförderung und IT-Systembetreu-
ern an jeder Schule“, sagte Arnold.
Kultusminister Michael Piazolo (Freie
Wähler) sieht die Schulen hingegen bes-
tens auf die Herausforderungen vorberei-
tet: „Mit einer Milliarde Euro bringen wir
die Digitalisierung an den bayerischen
Schulen kraftvoll voran und greifen den
Sachaufwandsträgern bei ihren Investiti-
onen massiv unter die Arme.“ Schon
18000 digitale Klassenzimmer seien ein-
gerichtet und mehr als die Hälfte der
Schulen mit WLAN ausgestattet worden.
„Wir unterstützen die Kommunen bei ih-
ren Aufgaben, sowohl bei der Hardware-
beschaffung als auch im Bereich War-
tung und Pflege.“ Grundsätzlich sind Ein-
richtung und Unterhaltung der IT-Infra-
struktur nach geltendem Recht Teil des
sogenannten Sachaufwands – also Aufga-
be der Schulträger und nicht des Landes.
Nach Angaben des Ministeriums unter-
stützt der Freistaat aber die Kommunen,
indem er etwa aus Bundesmitteln zum Di-
gitalpakt auf regionaler Ebene eine pro-
fessionelle Netzwerk-Administration
und Wartung aufbaut. Ferner stünden
170 Experten zur Beratung von Schulen
und Trägern zur Verfügung. dpa


Die Forscher setzen auf
private Fotoalben.
„Für uns sind das Schätze.“

UNTER BAYERN

Expedition in


die Langeweile


Ewiges Eis, ade


Forscher der Universität Eichstätt vermessen


die Alpen und ihre Gletscher aus der Luft –


und machen den Klimawandel sichtbar


IT-Betreuer für


jede Schulegefordert


Abflug: Vom Helikopter aus vermessen Forscher
den Klimawandel in den Alpen. Das Martelltal in Südtirol (u.)
ist vergleichsweise stark vergletschert. Florian Haas
kontrolliert den Laserscanner.FOTOS: ANTON BRANDL/OH

DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 R11


BAYERN


Da wächst was heran


Die Haare und Bärte der
Oberammergauer Laiendarsteller
sprießenund sprießen Seite R13
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