Süddeutsche Zeitung - 17.08.2019

(Jacob Rumans) #1
von dunja ramadan

Kuwait– Umm Badr krempelt die Ärmel
ihres schwarzen Umhangs hoch. „Da!“, sie
zeigt auf eine Narbe in der Größe eines
Centstücks auf ihrem Arm. Das Geräusch,
als der irakische Soldat die glühende Ziga-
rette in ihr Fleisch drückte, hat sich in ihr
Gedächtnis gebrannt. Sie hat vier von die-
sen Narben, eine am Oberschenkel und
zwei an Stellen, die sie nur flüsternd
nennt, obwohl sonst niemand im Raum
ist. Selbst wenn sie vergessen wolle, was
sie alles für Kuwait geopfert habe, ihr Kör-
per erinnere sie täglich an den Oktober


  1. Damals, wenige Monate nach dem
    Einmarsch der irakischen Truppen ins
    Nachbarland Kuwait, war sie Mitte drei-
    ßig. Sie verteilte während des Krieges
    heimlich Flugblätter gegen die Besatzer –
    und wurde erwischt. Sie verlor ihr ungebo-
    renes Kind, als sie gefoltert wurde. „Aber
    Gott liebt mich“, sagt sie heute. „Ich verlor
    so viel Blut, dass die Soldaten mich nicht
    anfassen wollten.“ Tränen sammeln sich
    in den Ecken ihres Gesichtsschleiers.
    Als die Welt im August 1990 vom Be-
    ginn des zweiten Golfkriegs erfuhr, stan-


den die Panzer des irakischen Machtha-
bers Saddam Hussein bereits auf der Corni-
che von Kuwait-Stadt. Nach dem fast acht
Jahre andauernden Krieg gegen Iran war
der Irak hoch verschuldet und hatte es auf
die Öleinnahmen des benachbarten Klein-
staats abgesehen. Die kuwaitische Herr-
scherfamilie um Scheich Jaber al-Ahmed
al-Sabah setzte sich bereits im Morgen-
grauen ins saudische Exil ab. Doch Umm
Badr blieb und leistete Widerstand. Heute
lebt sie in einer Blechhütte in einem der
Elendsviertel westlich von Kuwait-Stadt.

Die 65-Jährige gehört zu den mittlerweile
etwa 200000 Bidoun im Wüstenstaat:
Staatenlose, deren Name auch ihren Zu-
stand beschreibt. Bidoun bedeutet im Ara-
bischen „ohne“ – die Menschen leben oh-
ne Papiere, ohne Recht auf Bildung oder
Gesundheitsversorgung, ohne sicheren Ar-
beitsplatz. Und vor allem auch: ohne jegli-
che Perspektive.

Die meisten Bidoun wohnen nur weni-
ge Kilometer westlich von Kuwait-Stadt,
wo die Menschen gern deutsche Sportwa-
gen vor sandfarbenen Privatvillen parken,
wo die Eisengitter so hoch sind, dass man
keinen Blick ins Innere der Häuser erha-
schen kann. Bei den Bidoun hingegen
drängt sich ein Blechcontainer an den
nächsten. Die Sonne prallt auf die zusam-
mengeschusterten Dächer, die so eng bei-
einanderstehen, dass man von einem aufs
das nächste springen könnte. Schwarze
Graffiti ziehen sich durch die Siedlung,
nur wenige ohne Rechtschreibfehler. Sprü-
che wie „Warte ab, ich werde mein Leben
neu beginnen und dich zum Fremden ma-
chen, so wie ich es anfangs war“ oder „Wo
ist diese Liebe und ein fürsorgliches
Herz?“. Nur vereinzelt wehen kuwaitische
Flaggen auf den Blechhütten. Ein Bekennt-
nis zu einem Staat, der Teile seiner Bewoh-
ner nicht anerkennt – und sie am liebsten
gar nicht erst im Land hätte.
Ausgerechnet in Kuwait, das wegen sei-
nes Ölreichtums zu einem der wohlha-
bendsten Länder der Erde gehört. Das je-
dem frisch verheirateten Paar ein günsti-
ges Grundstück bereitstellt, einen Groß-

teil der laufenden Energiekosten über-
nimmt und jedem seiner eine Million Bür-
ger kostenlose Gesundheitsversorgung
stellt sowie die Schul- und Universitätsbil-
dung bezahlt.
Von so einem Leben konnte Ayed Ha-
mad Moudath nur träumen. Der 20-jähri-
ge Bidoun kam nach erfolglosen Behörden-
gängen so verzweifelt nach Hause, dass er
sich vergangenen Juli in seinem Zimmer
erhängte. Damit reanimierte er eine Debat-
te in Kuwait, die das Land schon einmal ge-
führt hat: Wütende Bidoun zogen auf den
Hurriya-Midan, den „Freiheitsplatz“, ein
sandiger Parkplatz, nahe den Blechhütten
der Kleinstadt Taimaa. Das Schicksal der
Bidoun, die 2011 im Zuge des sogenannten
Arabischen Frühlings erstmals aufbegehr-
ten, war zurück in den Schlagzeilen. Der
Sprecher der kuwaitischen Nationalver-
sammlung, Marzouq al-Ghanim, gab dar-
aufhin bekannt, man wolle das Problem
der „illegalen Einwohner“ bis zum Ende
des Sommers lösen. Aus Regierungskrei-
sen ist von einer symbolischen Anzahl an
Einbürgerungen zu hören.
Hadeel Buqrais kann darüber nur den
Kopf schütten. Die 38-Jährige dokumen-

tiert Menschenrechtsverletzungen der Re-
gierung. Sie sitzt in einem menschenlee-
ren, eiskalten Café. Ihre Staatsbürger-
schaft schützt sie vor einer Verhaftung,
aber verwarnt wurde sie schon etliche Ma-
le. Sie erwartet sich nicht viel von den Ver-
sprechungen. In den vergangenen Jahr-
zehnten habe sich das Leben der Bidoun
immer weiter verschlechtert, sagt sie.
Nachdem Kuwait 1961 die Unabhängig-
keit von Großbritannien erlangt hatte, eta-
blierte die Herrscherfamilie Sabah ein Na-
tionalstaatsgesetz, für das sich die Einwoh-
ner innerhalb von zwei Jahren registrieren
lassen mussten. Das Problem: Viele waren
Beduinen, sie lebten da, wo ihre Viehher-
den grasten. Sie beantragten keine Papie-
re, manche hielten es nicht für nötig, konn-
ten sie doch weder schreiben noch lesen.

Andere bekamen es wegen ihres abgeschie-
denen Wohnorts wohl nicht mit. Wieder
andere sollen Jahre später aus den Nach-
barländern wie dem Irak oder Iran einge-
wandert seien, wähnten sie doch die vielen
Vorteile, die ein Leben in dem ölreichen
Land so mit sich brachten. In Kuwait wer-
fen viele Menschen den Bidoun bis heute
vor, ihre ursprünglichen Pässe zerrissen
zu haben, um diese Annehmlichkeiten zu
genießen. Buqrais kann diesen Vorwurf
nicht verstehen. Ihre Vorfahren kämen
aus der Türkei und aus Iran – die gesamte
Region habe Wanderbewegungen erlebt.
Sie habe nur Glück gehabt, dass ihre Vor-
fahren sich registrieren ließen.
Bis 1986 arbeitete die Mehrheit der Bi-
doun noch als Sicherheitskräfte, in Armee
und Polizei. Doch 1987 änderte die Regie-
rung ihren Status von „nicht registriert“
zu „illegalen Einwanderern“, entzog ihnen
alle Rechte. Eingepfercht zwischen Iran
und dem Irak, die gegeneinander Krieg
führten, war die Sorge vor einer schiiti-
schen Übermacht nach der Islamischen Re-
volution 1979 im Kleinstaat groß. Rund 80
Prozent der Bidoun sind Schiiten.
Die Geschichte der Bidoun ist aller-
dings keine rein kuwaitische. Auf der arabi-
schen Halbinsel führte die Entdeckung
der Ölfelder zu einer schnellen Verstädte-
rung, zum plötzlichen Wohlstand von Ge-
sellschaften, die gerade noch von den Unsi-
cherheiten des Beduinenlebens geprägt
waren. In den Vereinigten Arabischen Emi-
raten etwa lebten vor 2008 noch mehrere
Zehntausend Bidoun. Um sie von den groß-
zügigen Sozialleistungen auszuschließen,
die eine Staatsbürgerschaft mit sich brin-
gen würde, zahlten die Emirate der komori-
schen Regierung Hunderte Millionen Euro
für die Ausstellung von Pässen. Die Komo-
ren sind ein armer Inselstaat vor der ost-
afrikanischen Küste. Die Emirate konnten
so behaupten, das Problem der Staatenlo-
sen bei sich gelöst zu haben. Weltweit sind
etwa zehn Millionen Menschen ohne Pass,
die Vereinten Nationen wollten dies bis
2024 geändert haben.
Umm Badr hat keine Hoffnung mehr.
„Ich will einfach nur hier raus“, sagt sie
und greift nach ihrem Gehstock. Sie könne
nicht sterben in dem Wissen, dass ihre Kin-
der dieses Leben weiterführen müssen.
„Wir leben in so einem reichen Land. Und
ich sage: Ich will euer Geld nicht, aber ich
will meine Würde zurück.“

Bern– Als kleiner Junge hatte Adrian Gas-
ser eine clevere Idee. In der Kirschenzeit
verriet er seinen Schulkameraden für ei-
ne Gebühr von zwei Franken, welche Bäu-
me besonders viele Früchte tragen. Auf
Kosten der Bauern machte er so ein or-
dentliches Geschäft. „Ich habe etwas ver-
kauft, was mir nicht gehörte“, erzählt Gas-
ser, „und das ist nicht in Ordnung.“
Rund 70 Jahre nach dem Kirschenhan-
del nimmt Adrian Gasser, Immobilienent-
wickler und einer der reichsten Schwei-
zer, nun viel Geld in die Hand, um ein ähn-
liches Geschäftsmodell per Volksabstim-
mung zu stoppen: die Praxis der Richter-
ernennung in der Schweiz. Im Moment
werden die Richter am Bundesgericht in
Lausanne vom Parlament gewählt, nach
Parteienproporz. Jede Partei darf also ge-
mäß ihrer Stärke eine bestimmte Zahl
von Richtern aufstellen, die in der Regel
gewählt werden – eine über die Jahrzehn-
te etablierte, ungeschriebene Regel. Das
allein ist nicht ungewöhnlich; auch in
Deutschland haben Legislative und Exe-
kutive viel Einfluss auf die Richterwahl,
weshalb oft CDU- und SPD-nahe Kandida-
ten das Rennen machen. Doch in der
Schweiz gelten noch zwei weitere Regeln,
die zumindest Zweifel an der Unabhängig-
keit der Justiz wecken.

Um von einer Partei aufgestellt zu wer-
den, müssen künftige Bundesrichter Mit-
glied dieser Partei werden und ihr nach
der Wahl jährlich einen bestimmten Geld-
betrag überweisen, die sogenannte Man-
datssteuer. Auch Parteimitglieder, die ein
politisches Amt ausüben, entrichten die-
se Steuer. Sie kann je nach Partei mehrere
Tausend, aber auch mehrere Zehntau-
send Franken betragen und ist eine wichti-
ge Einnahmequelle der Parteien, da es in
der Schweiz keine staatliche Finanzie-
rung gibt. Und obwohl auch die Mandats-
steuer nirgendwo gesetzlich festgehalten
ist, zahlen die Richter sie in aller Regel –
weil sie ansonsten um ihr Amt fürchten
müssten. Bundesrichter müssen sich

nämlich alle sechs Jahre neu wählen las-
sen.
Adrian Gasser findet, das erinnert an
Schutzgelderpressung. Die Parteien ver-
kaufen seiner Ansicht nach ein Amt, das
ihnen in einem Rechtsstaat nicht gehört.
„Eine Demokratie braucht eine klare Ge-
waltenteilung. In der Schweiz sind Politik
und Justiz aber auf katastrophale Weise
verquickt.“ Tatsächlich bestimmen die
Parteien nicht nur über die Bundesrichter-
posten, sondern beeinflussen die Richter-
besetzung auch auf den übrigen Justizebe-
nen. Mit Ausnahme des Kantons Fri-
bourg, wo 2010 das Prinzip der Wieder-
wahl abgeschafft wurde, gelten in den
Kantonen und Gemeinden ähnliche Re-
geln wie auf Bundesebene.
Mit seiner Kritik an diesem System ist
Adrian Gasser nicht allein. Einzelne Rich-
ter stimmen ihm zu („solche, die nicht
mehr wiedergewählt werden wollen“, wie
er sagt), und auch aus der Schweizer
Rechtswissenschaft kommt immer wie-
der Kritik. Vor allem der Parteienzwang

und die Möglichkeit der Abwahl aus politi-
schen Gründen seien „sehr problema-
tisch“ für die richterliche Unabhängig-
keit, sagt Martina Flick, Politologin und
Justizexpertin an der Uni Bern. Selbst die
Staatengruppe gegen Korruption des Eu-
roparats (Greco) hat die Schweiz schon
mehrfach für ihr Richterwahlsystem ge-
rügt. Einzig die Parteien halten sich bis-
lang zurück mit Positionierungen. Dabei
lieferte eine von ihnen jüngst den Beweis
dafür, dass es um die Unabhängigkeit der
Schweizer Bundesrichter nicht gut be-
stellt ist: In einem Verfahren zur Groß-
bank UBS hatte ein SVP-Richter im Juli ge-
gen die Linie seiner Partei entschieden –
und musste sich von den Oberen seiner
Partei mit Abwahl drohen lassen.
Unternehmer Gasser will solche Vorfäl-
le nicht länger hinnehmen. Im vergange-
nen Jahr begann er, Unterschriften für ei-
ne Abstimmung über eine andere Ernen-
nung der Bundesrichter zu sammeln.
Künftig, so seine Idee, soll es eine Fach-
kommission geben, bei der sich Juristen
bewerben können. Sind sie geeignet, lan-
det ihr Name in einem Losverfahren. Der
Zufall, nicht die Parteimitgliedschaft, soll
also darüber bestimmen, wer Bundesrich-
ter wird. Außerdem schlägt Gasser vor,
die Wiederwahl abzuschaffen, um die
Richter von der Gunst des Parlaments un-
abhängig zu machen. 100000 Unterschrif-
ten sind nötig, damit das Volk über diese
Verfassungsänderung abstimmen darf;
Gasser und sein Initiativkomitee haben
nach eigenen Angaben bereits mehr als
125000 beisammen und wollen sie in we-
nigen Tagen einreichen.
Ob sich eine Mehrheit der Schweizer
für Gassers Vorschlag aussprechen wird,
wird sich erst bei der Abstimmung in ein
bis zwei Jahren zeigen. Expertin Martina
Flick gibt zu bedenken, dass die Schweiz
in internationalen Studien zwar schlecht
abschneidet, wenn es um die formale Un-
abhängigkeit der Justiz geht. Doch diesel-
ben Studien zeigen auch, dass es faktisch
kaum zu Problemen kommt: „In der Pra-
xis funktioniert das Schweizer System
recht gut.“ So respektierten Politik und Be-
hörden Entscheidungen der Justiz in aller
Regel, und auch die Wiederwahl der Rich-
ter sei kein Problem. isabel pfaff

Singapur– Nur wenig sickert durch über
die bittere Lage im indisch-kontrollierten
Teil von Kaschmir, die Sicherheitskräfte
haben das Gebiet weitgehend abgeschot-
tet, die Mobilfunknetze abgeschaltet und
Ausgangssperren verhängt. So sollen Un-
ruhen im Keim erstickt werden. Doch dies
erwies sich schon in früheren Jahren als
schwierig, wenn Wut, Zorn und Verzweif-
lung hochkochten im westlichen Himala-
ja. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch jetzt
aus den wenigen Berichten, die trotz der
Beschränkungen aus dem Krisengebiet
durchsickern. Ein Reporter der Agentur
AFP wurde am Freitag Zeuge von Zusam-
menstößen zwischen Hunderten aufge-
brachten Kaschmiris und indischen Si-
cherheitskräften. Die Protestierenden
warfen mit Steinen und trugen Wellblech
wie Schilde vor sich her, um sich gegen
Gummigeschosse der paramilitärischen
Polizei zu schützen, auch Tränengas kam
demnach zum Einsatz.
Die ZeitungThe Indian Expressberich-
tete über einen Brief, den Iltija Mufti,
Tochter der früheren Ministerpräsidentin
von Kaschmir, an den indischen Innenmi-
nister Amit Shah geschrieben hat. Die jun-
ge Frau berichtet, sie sei festgenommen
worden, nachdem sie mit Reportern ge-
sprochen hatte, zudem äußerte sie Angst
um das Wohl ihrer Eltern, die ebenfalls
verhaftet sind: „Bei allem Respekt, ich ver-
stehe nicht, warum ich dafür bestraft wer-
de, für die Kaschmirer zu sprechen, deren
Stimmen erstickt werden. Ist es ein Ver-
brechen, den Schmerz, die Qualen und die
Entwürdigung auszudrücken, der wir aus-
gesetzt sind?“ Dies ist kein Einzelfall. Na-
hezu alle politischen Führer in Kaschmir
sitzen inzwischen in Haft, selbst jene, die
früher mit Delhi kooperierten.
Der Staat kann sich in Kaschmir auf ein
drakonisches Sicherheitsgesetz stützen.
Seit zwölf Tagen hält Indien die Täler
noch eiserner im Griff als in früheren Zei-
ten, und das hat einen Grund: Am 5. Au-
gust hatte die hindu-nationalistische Re-
gierung in Delhi mit einem Streich der Re-
gion Kaschmir die in der Verfassung ver-
ankerte Autonomie entzogen, sie will den
indisch kontrollierten Teil radikal neu ord-
nen. Damit löst sie ein Wahlversprechen
ein, der Schritt ist bei vielen Indern popu-

lär, im überwiegend muslimisch bevölker-
ten Kaschmir aber dürfte das Vorgehen
die Wut und Angst derer noch steigern,
die Indien schon seit Jahren als eine arro-
gante Besatzungsmacht betrachten.
Der jüngste Vorstoß Indiens belastet
die Beziehungen zu Pakistan erheblich.
Beide Seiten streiten seit der Unabhängig-

keit um die Berge von Kaschmir. Delhi
und Islamabad kontrollieren jeweils nur
einen Teil des strategisch wichtigen Gebie-
tes, wobei die Pakistaner gerne den
Schutzpatron für die muslimische Bevöl-
kerung geben und Delhi vorwerfen, Indi-
en würde das Selbstbestimmungsrecht
der Kaschmirer unterdrücken.
Pakistans Premier Imran Khan ist seit
Tagen über das Vorgehen Indiens in Rage.
Nun hat er durchgesetzt, was Indien gerne
vermieden hätte: Am Freitag wurden auf
Drängen Pakistans, unterstützt von Chi-
na, Beratungen im UN-Sicherheitsrat an-
gesetzt. Sie werden die Krise kaum ent-
schärfen, markieren aber einen diplomati-
schen Erfolg für Khan, der den jüngsten
Vorstoß Indiens global anprangern will.
Auch US-Präsident Donald Trump sicher-
te in einem Telefonat Khan zu, mit Indi-
ens Premier Narendra Modi über einen Ab-
bau der Spannungen zu sprechen.
Modi versprach derweil eine ruhmrei-
che Zukunft für das Berggebiet. Nepotis-
mus und Korruption würden verschwin-
den. Wenige Tage zuvor hatte Innenminis-
ter Amit Shah sogar behauptet, mit dem
Entzug der Autonomie werde der Terror
besiegt. Wie das gehen soll, hat er nicht er-
klärt. Klar ist nur: Indiens Frust über die
zunehmende Radikalisierung in Kasch-
mir ist gewaltig. Delhi macht dafür Islama-
bad verantwortlich, es betrachtet Pakis-
tan als Paten des Terrors. arne perras

Rio de Janeiro– Auch Norwegens Regie-
rung stoppt angesichts steigender Abhol-
zungszahlen im brasilianischen Amazo-
naswald seine Fördergelder zum Wald-
schutz. Mittel in Höhe von 33,3 Millio-
nen US-Dollar für den Amazon Fund
würden eingefroren, teilte die Regierung
Norwegens mit. Deutschland will 35
Millionen Euro für den Waldschutz zu-
rückhalten. Davon ist der gemeinsam
mit Norwegen finanzierte Amazon Fund
nicht betroffen. Im Juni hatte das staatli-
che Klimainstitut Inpe einen Anstieg der
Abholzungen um 88 Prozent festgestellt,
im Juli sogar um 278 Prozent. kna


Vor den Villen der Kuwaiter
parkenSportwagen – Bidoun
wohnen in Containern

Im Schatten der Villen


Ohne Papiere, ohne Recht, ohne Perspektive – das ist die Situation der staatenlosen Bidoun in Kuwait.
Nun demonstrieren sie für Anerkennung. Doch das reiche Emirat kommt ihnen kaum entgegen

Bis 1986 hatten viele Bidoun
Arbeit beim Staat – dann wurde
ihnen ihr Status entzogen

Ende der Erpressung


Eine Schweizer Initiative will den Einfluss der Politik in der Justiz zurückdrängen


Tiefe Gräben


Die Kaschmir-Krise beschäftigt nun den UN-Sicherheitsrat


Nicht die Parteimitgliedschaft
soll bestimmen, wer künftig
ins Amt gewählt wird

Pakistans Premier
Imran Khan warnt
seinen indischen
Kollegen Modi. Ihn
werde die Aufhebung
des Sonderstatus
der Kaschmir-Regi-
on noch teuer zu
stehen kommen,
sagte Khan.FOTO: AFP

Kopenhagen– Dänische Politiker ertei-
len einem von US-Präsident Donald
Trump ins Spiel gebrachten Kauf Grön-
lands(FOTO: AP)durch die Vereinigten Staa-
ten eine deutliche Abfuhr. „Es muss sich
um einen Aprilscherz handeln“, sagte
der frühere Ministerpräsident Lars
Løkke Rasmussen am Freitag. „Wenn er
das wirklich in Betracht zieht, dann ist


das der letzte Beweis, dass er verrückt
geworden ist“, betonte der außenpoliti-
sche Sprecher der Dänischen Volkspar-
tei, Søren Espersen, im Gespräch mit
dem Sender DR. „Der Gedanke, dass
Dänemark 50000 Bürger an die Vereinig-
ten Staaten verkauft, ist völlig lächer-
lich.“ Insidern zufolge hatte Trump mit
Beratern und Mitarbeitern über einen
Kauf von Grönland gesprochen. Einige
Berater hätten dies als Witz abgetan,
sagten zwei mit der Angelegenheit ver-
traute Personen der Nachrichtenagen-
tur. Andere hätten die Idee aber ernster
genommen. Zunächst hatte dasWall
Street Journalüber die Grönland-Ge-
spräche berichtet. Trumps Idee ist nicht
ganz neu: Einer seiner Vorgänger, Präsi-
dent Harry Truman, hatte bereits 1946
einen Kauf Grönlands für 100 Millionen
Dollar angeregt. Grönland hat den Sta-
tus eines autonomen Territoriums von
Dänemark. reuters


Seoul– Nordkorea hat offenbar wieder
Raketenwaffen getestet und einen Dia-
log mit Südkorea für die nächste Zeit
ausgeschlossen. Zwei Projektile seien
von der Ostküste abgefeuert worden
und im Meer eingeschlagen, teilte der
südkoreanische Generalstab am Freitag
mit. Ein Sprecher des nordkoreanischen
Wiedervereinigungskomitees erklärte,
Verhandlungen mit Südkoreas Präsident
Moon-Jae In seien sinnlos, weil es nichts
zu besprechen gebe. Die beiden Geschos-
se flogen nach südkoreanischen Anga-
ben etwa 230 Kilometer weit und bis zu
30 Kilometer hoch und landeten im
Meer. Unklar war, ob es sich bei den
Projektilen um ballistische Raketen oder
um Raketenartillerie handelte. Die Ab-
schüsse am Freitag waren die sechsten
Starts seit Ende Juli. ap


Norwegen stoppt Zahlungen


Tel Aviv/Berlin– Deutschland hat zu-
sätzliche Zahlungen an Tausende Holo-
caust-Überlebende zugesagt. Die deut-
sche Regierung habe Israel darüber
informiert, schrieb Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu am Donnerstag auf
Twitter. Es gehe um Hunderte Euro pro
Monat pro Person. „Das ist wichtig, das
haben die Überlebenden verdient“,
schrieb Netanjahu. Das deutsche Finanz-
ministerium bestätigte, mehr als 5000
Betroffene sollten monatlich zusätzliche
Leistungen erhalten. Die Summe hänge
davon ab, wie viel Entschädigungsrente
sie derzeit aus Deutschland bezögen.
Netanjahu dankte der Bundesregierung.
Auch Israel habe seine Hilfen für die
Menschen erhöht, erklärte er. dpa


Rom– Die Europäische Kommission
fordert eine verbindliche Lösung für
Migranten, die im Mittelmeer aus See-
not gerettet werden. „Die Situation, dass
Menschen tage- und wochenlang auf
See festsitzen, ist unhaltbar“, sagte eine
Sprecherin der Brüsseler Behörde am
Freitag. EU-Flüchtlingskommissar Di-
mitris Avramopoulos lobte das Angebot
von sechs EU-Ländern, darunter
Deutschland, die Menschen an Bord der
Open Armsaufzunehmen. Die Kommissi-
on stehe bereit, bei der Koordinierung
zu helfen, „sobald eine Lösung für die
Ausschiffung gefunden ist“, schrieb er
auf Twitter. Obwohl alle Migranten an
Bord verteilt werden könnten, verbietet
Italiens rechter Innenminister Matteo
Salvini derOpen Armsdie Einfahrt in die
italienischen Häfen. Zeitweise waren 160
Gerettete an Bord. Nach und nach wur-
den einige von ihnen aus gesundheitli-
chen Gründen nach Malta und Italien
gebracht. Südlich von Sizilien wartet
zudem das RettungsschiffOcean Viking
in internationalen Gewässern mit 356
geretteten Migranten. dpa, sz


DEFGH Nr. 189, Samstag/Sonntag, 17./18. August 2019 HMG POLITIK 9


Die Bidoun – staatenlose Bewohner von Kuwait – gehen schon seit Jahren für mehr Rechte auf die Straßen. Manche tragen trotz ihres Frusts Flaggen des Emirats.
Der Staat wacht darüber, dass so wenige Bilder wie möglich von diesen Protesten nach außen dringen. FOTO: YASSER AL-ZAYYAT/AFP

Das Bundesgericht in Lausanne im Kan-
ton Waadt. FOTO: BOTT/KEYSTONE/DPA

Dänen empört über Trump


Nordkorea feuert Raketen ab


Mehr Geld für Überlebende


Rettungsschiff wartet weiter


AUSLAND

Free download pdf